Freitag, 3. Juli 2020

Der beste und der älteste Freund des Menschen

Vor drei Jahren Jahren fanden sibirische Wissenschaftler auf einer Insel im Polarmeer - Schochow genannt - einen Schlitten und direkt daneben die Überreste von 11 Hunden. Das Erstaunliche: 10 dieser 11 Hunde konnten einem sehr einheitlichen Typ zugeordnet werden. Es war der Typ eines Schlittenhundes ähnlich dem heutigen Siberian Husky oder Malamute. Der elfte war ein schwerer Typ, deutlich zu unterscheiden. Mit den Methoden der Archäologen wurden die Fossilien schließlich auf ein Alter von 9.500 Jahren geschätzt. Die Wissenschaftler um Wladimir Pitulko und Aleksej Kasparow kamen zu dem Schluss, dass „man annehmen kann, dass Schlittenhundeteams in Sibirien bereits vor 15.000 Jahren aktiv gewesen sein könnten.“ Es gilt als der bis dahin älteste Nachweis von spezialisierten Hunden, so etwas wie erste Hunderassen. Es dokumentiert eine Kultur der Zusammenarbeit von Mensch und Hund bereits in der Altsteinzeit.
Hundeschädel von der Schochow-Insel (Foto: Elena Pawlowa)
Die Spur der Gene

In diesen Tagen erhält diese Untersuchung eine große Bestätigung. Einer internationalen Forschergruppe um Mikkel-Holder Sinding von der Universität Kopenhagen gelang es, das komplette Genom dieser Hunde zu sequenzieren. So kann man ungeahnte Einblicke in die frühe Vergangenheit gewinnen. Diese Hunde sind tatsächlich ganz eng verwandt mit den heutigen Schlittenhunden, am meisten noch mit den heutigen Grönlandhunden. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass es in der ganzen langen Zeit keine Kreuzungen mit Wölfen gegeben hat. Zwar gab es Flaschenhälse und einiges hin- und her über die tausenden von Jahren hinweg, doch es besteht eine direkte Linie der heutigen Schlittenhunde zu denen aus der Altsteinzeit.

Wie entstand der Hund?

Das wirft ein weiteres Licht auf die Frage, wie der Hund entstanden ist. War er ein Schmarotzer auf den ersten Müllkippen der Menschheit - wie es Wissenschaftler aus den USA um Coppinger oder Österreich um Range und Marshall-Pescini beschreiben und gerne auch den Medien verbreitet wird? Bereits 2008 in der ersten Auflage von „Schwarzbuch Hund - Die Menschen und ihr bester Freund“ habe ich begründet, weshalb ich dieses Modell ablehne und eine Kultur der Zusammenarbeit als Triebkraft der Domestikation des Wolfes hin zum Hund annehme. Mit „Tierisch beste Freunde - Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin“ habe ich 2014 zusammen mit der Neurologin und Psychiaterin Daniela Pörtl diese Annahme umfassend und allseitig begründet und das Modell der „Aktiven sozialen Domestikation des Hundes“ vorgeschlagen. Schließlich veröffentlichten wir den Artikel "How old are (Pet) Dog Breeds?", wo wir der Entstehung der Hunderassen genauer nachgehen.
Partnerschaft baut Stress ab

Der Hund ist tatsächlich nicht nur der beste, vielmehr auch der älteste Freund des Menschen. Man jagte zusammen, man wachte gemeinsam über das Lager, Welpen und Kinder spielten miteinander, man wärmte sich gegenseitig in den kalten Nächten. Durch diese Partnerschaft entstand nicht nur der Hund. Auch die Evolution des Menschen wurde maßgeblich vorangetrieben. Schließlich konnte das Leben durch diese interspezifische Partnerschaft für beide Seiten entspannter angegangen werden. Das Stressniveau konnte gesenkt werden. Das wiederum ist eine entscheidende Grundlage für die Entwicklung sozialer Toleranz. So wurde in unserer Psyche die Grundlage für die modernen Gesellschaften vorbereitet.

Unsere Denkweise - in der Praxis ohne Respekt vor den Tieren

Es ist kein Zufall, dass das Modell vom Hund als Schmarotzer im Müll eine so große Verbreitung findet, obgleich es hierzu keinerlei direkte Beweise gibt, ja alle Grundannahme infrage gestellt werden können. Es gab damals nicht einmal die zu Grunde gelegten Müllkippen. Der Mensch der Altsteinzeit verwertete alles. Und wenn Müll trotzdem mal anfiel, wurde dieser nicht gleich am Lager deponiert, eben um keine Beutegreifer anzulocken. Das Modell vom Hund als Schmarotzer passt allerdings hervorragend in unsere heutige Denkweise, die real von einer Missachtung gegenüber den Tieren geprägt ist. Eine Denkweise, die das Vegetieren von Milliarden Leben in der Massentierhaltung zulässt, die ein ungekanntes Artensterben verursacht. Für die Zukunft unserer eigenen Spezies täte es nur gut, die Leistung der Tiere mit Respekt anzuerkennen.

Ich stehe auf dem Standpunkt, dass wir ohne die Hilfe von Hund, Katze, Pferd noch in der Steinzeit verharren würden. Wir haben ihnen viel zu verdanken und es gibt nur eine Zukunft: gemeinsam.

Artikel in wissenschaftlichen Journals von uns zu diesem Thema:

  • Pörtl D., Jung C. (2019) Physiological pathways to rapid prosocial evolution - Hier wird die Rolle der Epigenetik und der sozialen Interaktivität bei der Domestikation des Hundes diskutiert. Biologia Futura Vol 70, Issue 2 (publ. 30.07.2019; open access; Editor-in-Chief: Adam Miklosi)
  • Jung C. (2019) Why cod don't like to sunbathe: Quantity and quality in the animal kingdom. Animal Sentience 23(49) Kommentar zu "Why do we want to think humans are different?"
  • Jung C., Pörtl D. (2019) How old are (Pet) Dog Breeds? Pet Behaviour Science No 7 2019 open access
  • Jung C., Pörtl D. (2019) Qualzucht - warum wir unsere Lieblinge quälen. TIERethik - Zeitschrift zur Mensch-Tier-Beziehung 01/2019 - Hier ein Bericht dazu in der Zeitschrift "Mensch-Heimtier
  • Jung C., Pörtl D. (2018) Scavenging Hypothesis: Lack of evidence for Dog Domestication on the Waste Dump. Dog Behavior Vol 4, No 2 2018 DOI: https://doi.org/10.4454/db.v4i2.73
    Hier wird das Modell von einer Domestikation des Hundes auf der Müllkippe und die Modelle vom Wesen des Hundes als Aasfresser grundlegend und allseitig widerlegt. Das Modell der "Aktiven sozialen Domestikation des Hundes" wird als konstruktive Lösung vorgestellt. open access / kostenloser Download

Ein Artikel von Christoph Jung