Freitag, 21. Mai 2010

Wölfisch für Hundehalter

Um es gleich vorweg zu sagen, das neue Buch von Günther Bloch und Elli Radinger "Wölfisch für Hundehalter: Von Alpha, Dominanz und anderen populären Irrtümern" gehört zu dem Besten, was seit langem zum Thema Hund gelesen habe. Es gelingt auf unterhaltsame Art, ein Gefühl und Verständnis für den Wolf und den Hund zu entwickeln, wie kaum ein anderes. Es hilft unmittelbar, die Partnerschaft praktisch zu vertiefen. Es gibt wichtige Hinweise, den Wolf, den Hund und uns selber besser zu verstehen. Ein paar Einblicke hatte uns Günther Bloch schon in dem Interview am 13. April hier im Blog gegeben. Nun zu dem Buch selbst.

Wir lernen Wölfisch und Wölfe kennen. Bloch und Radinger lassen uns an ihren über 20 Jahren Erfahrungen und Kompetenz in der Beobachtung wild lebender Wölfe in den USA und Kanada teilhaben. Wir lernen Wölfe verstehen. Dabei erfahren wir viel Neues und auch so manches erstaunliche.
Spiel - Copyright Peter A. Dettling/KOSMOS Verlag

Mir war bis dato nicht bewusst, dass Wölfe alte, kranke und verletzte Mitglieder ihrer Gruppe ohne weiteres mit Nahrung versorgen, sie umsorgen, und hierfür sogar große Mühen schultern. Wir lernen außerordentlich viel über ihr vielschichtiges soziales Leben. Wölfe sind keine Dominanz-Monster, deren tägliches Streben und Handeln nur darin besteht, in der Rangfolge auf Alpha zu steigen. Schon vor dem Buch hatte ich mir diese flache, einschichtige und einseitige Sicht unserer Wölfe und nachfolgend Hunde nie angenommen. Aber nach dem Buch weiß ich viel besser, warum solche Theorien und Schulen rein gar nichts taugen, vielmehr die Partnerschaft Mensch - Hund erheblich belasten können.

Dabei geben Bloch und Radinger nie ein verklärtes Bild der Wölfe und Hunde. Grenzen setzen und körperliche Signale gehören fest zum sozialen Repertoire, deren man sich auch bedienen muss. Wärme, Spielfreude, nonverbale Kommunikation, Verantwortung übernehmen, Mut und Einsatz für die Gruppe zeigen, sind aber - wie auch sozialer und sexueller Rang - die entscheidenden Bindemittel im sozialen Gefüge der Wölfe. Wölfe, die Gruppenchef sind, haben mehr Verantwortung, mehr Pflichten, mehr Risiken im Dienste der Gruppe und die übernehmen sie auch.

Der Titel trifft präzise die Wirkung des Buches. Man taucht wunderbar in die Welt der Wölfe ein, lernt sie zu lesen, zu verstehen. Man lernt zugleich, sich von Irrtümern, die wie in eine Wand gemeißelt immer wieder von vermeintlichen Fachleuten kolportiert werden, zu befreien. Ich würde darauf wetten, dass auch gestandene Hundekenner so manches Neues entdecken werden. Man entwickelt schließlich einen neuen Respekt zu und eine gewisse Bescheidenheit vor diesen Tieren, die mit der Menschheit seit zig Jahrtausenden so eng verwoben sind. Und durch das Verständnis des Wolfes versteht man seine vermenschlichten Ur-Enkel sogleich auch viel besser. Dabei werden Hunde an keiner Stelle verwölfischt oder als gezähmte Wölfe dargestellt. Hunde sind keine Wölfe mehr, aber sie waren es einmal.

Radinger und Bloch betonen ausdrücklich, dass ihr Buch "kein Hundeerziehungsbuch" sei. Aber es sehe es als ein Hundepartnerschaftsbuch. Mit dem Verständnis dieses Buches ist man wesentlich besser gerüstet, eine echte Partnerschaft zu seinem Hund aufzubauen. Und erst eine echte Partnerschaft zu seinen Hunden eröffnet die ganzen Facetten der Schönheit dieser einmaligen Beziehung zweier Arten.

Aber Halt! Günter Bloch erwähnt seine Beobachtungen über Wölfe und Raben. Es gehört zu den vielen erstaunlichen "Geheimnissen" der Wölfe, dass auch sie die Fähigkeit haben, eine bewusste Partnerschaft zu einer anderen Art einzugehen. Es gibt Gruppen von Wölfen, die über Generationen hinweg unmittelbar mit Gruppen von Raben zusammenleben. Vielleicht hat so auch die Partnerschaft zum Menschen begonnen, sind auf diesem Wege aus Wölfen Hunde geworden. Doch dazu mehr in einem späteren Beitrag.
Zwei Arten - Copyright Peter A. Dettling/KOSMOS Verlag

Soweit zu dem Buch.
Ich möchte aber noch etwas eigenen Senf hinzugeben.

Wenn wir etwas Wölfisch gelernt und verstanden haben, wird erst bewusst, was wir alles an unserem Hund verlieren können. Hunde haben es nicht verdient, durch Drill oder Konditionierung mit Leckerlies quasi zu Automaten herabgewürdigt zu werden. Hunde sind individuelle, vielschichtige, sozial agierende Wesen, weit jenseits der einfachen Denkschemen von materieller Belohnung, Gewalt und Gehorsam, Unterordnung und Dominanz, alpha und omega.

Es ist die Ironie der Geschichte, dass der Wolf, der gerade in unserer christlich geprägten Kultur und Ideologe als ein Symbol des Bösen und des Teufels missbraucht wurde, dass gerade dieser Wolf anscheinend viel mehr von den Eigenschaften hat, die der Mensch gerne für sich exklusiv beansprucht wie:

  • Solidarität
  • soziale Kompetenz
  • Empathie
  • für die Gemeinschaft da sein
  • Schwachen helfen
  • teilen
  • soziale Freude mit anderen erleben als hohes Gut

Bei Wölfen Realität. In unserer heutigen Gesellschaft, naja, das mag jeder selbst beurteilen.


Wölfisch für Hundehalter gehört in jede Bibliothek eines am Hund interessierten Menschen. Es hat das Zeug, zu einem Klassiker zu werden.


Wölfisch für Hundehalter: Von Alpha, Dominanz und anderen populären Irrtümern
Günther Bloch und Elli Radinger
Franckh-Kosmos Verlag
ISBN 3440122646
192 Seiten
EUR 19,95