Sonntag, 1. November 2015

Tierisch beste Freunde

Ein Beitrag zu meinen/unserem neuen Buch.
Ist sie wirklich etwas Besonderes, die Beziehung zwischen Mensch und Hund? Oder ist es nur Sentimentalität vereinsamter Großstadtmenschen, die von inniger Bindung zwischen Mensch und Hund schwärmen? Diese Frage war lange kein ernsthaftes Thema weiter Teile der Naturwissenschaften. Regelmäßig wurde das Verhältnis Mensch-Hund als trivial erklärt, Besonderheiten dieser Beziehung zweier Spezies als Einbildung der Hundefreunde, als wissenschaftlich unhaltbar abqualifiziert. Zusammen mit Daniela Pörtl, Ärztin im Bereich Neurologie und Psychiatrie, habe ich dieses Thema in unserem neuen Buch genauer beleuchtet.
Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin
von Daniela Pörtl und Christoph Jung
Es klingt zunächst ganz banal. Aus dem Wolf ist einzig durch den Bezug zum Menschen der Hund entstanden. Also kann man den Hund auch nur verstehen, wenn man ihn im Kontext Mensch anschaut. Dieser Kontext ist im wahrsten Sinne des Wortes steinalt. Er beginnt bereits in der Altsteinzeit, kurz nachdem die ersten modernen Menschen Europa erreichten und Schritt für Schritt eroberten. Wir müssen also schauen, wie Menschen und Wölfe zu jener Zeit lebten. Im harten Überlebenskampf in der Mammutfauna der Eiszeit beanspruchten Mensch und Wolf exakt dasselbe Biotop. Und sie jagten mit den gleichen kollektiven Methoden dasselbe Großwild, etwa Mammut und Bison. Diese unmittelbare Konkurrenz im Kampf ums Überleben ist alles andere als eine gute Voraussetzungen für Freundschaft! Nichtsdestotrotz muss es zumindest bei einigen Wolfsrudeln und Menschen-Clans "gefunkt" haben. Sonst gäbe es heute keine Hunde.
Wölfe im Yellowstone jagen einen Wapiti Hirsch (c NPS)
In unserem Buch schauen wir, welche mentalen Funktionen diese Verbindung zweier unmittelbar konkurrierenden, ebenbürtigen Beutegreifer überhaupt möglich machten. Es sind bei beiden Spezies sehr ähnliche elementare Grundfunktionen kooperativer Sozialität, die aus einer Kommunikation und Zusammenarbeit innerhalb der eigenen Art, also innerhalb des Wolfsrudels und innerhalb der Gruppe eiszeitlicher Jäger schließlich eine zwischenartliche ermöglichte. Und tatsächlich sind diese Funktionen noch heute lebendig, sichtbar und bis in die neurobiologischen Abläufe hinein nachweisbar. Hormone wie Cortison, Serotonin oder Oxytocin wirken bei Hunden und Menschen inner- und zwischenartlich sehr ähnlich. Und nicht nur diese. Man kann die Vorgänge der Hundwerdung vor mehr als 30.000 Jahren noch heute in den psychodynamischen, neurobiologischen und epigenetischen Vorgängen nachvollziehen. Dabei zeigt sich auch, dass die Veränderungen, die aus dem Wolf einen Hund werden ließen, nicht hinreichend mit einfachen genetischen Gesetzmäßigkeiten wie Mutation und Selektion auf Zahmheit erklärt werden können.

Mensch und Hund sind viel enger miteinander verzahnt, als wir gemeinhin denken und in unserer Kultur zu denken "erlaubt" ist. Die produktiven Funktionen des Hundes als Jagdhelfer, Beschützer, Hüter, Treiber, Zugmaschine und viele mehr begleiteten die Menschheit bereits seit zig tausenden Jahren, als sie schließlich die ersten antiken Kulturen hervorbrachte. Schon allein aufgrund dieser Funktionen kann man ihn als Katalysator für die Entwicklung der Menschheit bezeichnen. Daher verdient der Hund eine viel höhere Wertschätzung in unserer Gesellschaft. Ganz daneben sind die unsäglichen Verunglimpfungen, die er seit ein paar hundert von Jahren durch manche Religion erfahren muss.
Daniela Pörtl und Zander
In unserem Buch arbeiten wir heraus, dass eine weitere "Funktion" sehr wahrscheinlich noch viel einschneidender war und - im Kern - noch heute ist. Die Freundschaft zum Hund half und hilft der Menschheit beim Stressabbau. Die Kooperation mit dem Wolf im Überlebenskampf der Eiszeit gab den Menschen mehr Sicherheit und senkte damit den Stresslevel (beim zum Hund werdenden Wolf ebenso). Das tendenziell sinkende Stressniveau ließ die kognitive, kulturelle und soziale Kompetenz des Menschen aufblühen und begünstigte zudem Gesundheit und Fertilität. So fällt der sprunghafte Fortschritt der Menschheit in der "Aurignacien" genannten Steinzeit-Epoche genau in die Zeit, wo der Beginn der Kooperation mit dem Wolf vermutet wird. Heute noch lassen sich diese Wirkungen des Hundes auf den Menschen, die uns sozialer, entspannter, mental leistungsfähiger und gesünder werden lassen, feststellen und zum Beispiel in unseren Hormonen messen. Der Hund tut uns gut.

Wir kommen zum Schluss, dass der Hund ganz eng mit uns Menschen und unserem Wohlbefinden verbunden ist. Deshalb ist "Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin" auch ein Buch über Menschen. Den Hund kann man nicht ohne den Menschen, dessen Geschichte, Kultur, Psyche, Neurobiologie verstehen. Zumindest ein Stück weit gehört auch der Hund dazu, wenn wir uns mit der Entwicklung unserer eigenen Spezies beschäftigen. Last but not least wollen wir uns auch an dieser Stelle beim Schattauer-Verlag, Stuttgart, für das Engagement zur Herausgabe dieses Buchs und bei Andreas Kieling für sein Geleitwort bedanken.

November 2015
Daniela Pörtl und Christoph Jung


aktuelle Infos rund um das Thema gibt es auf Twitter:
twitter.com/Chr_Jung
@Chr_Jung


Ergänzung 16.11.15:

Dr. Bertrams BücherBord - Folge 2: "Tierisch beste Freunde"

Der verlegerische Geschäftsführer des Schattauer Verlags, Dr. Wulf Bertram, gibt in der VideoPodcastReihe "Dr. Bertrams BücherBord" Buchempfehlungen zu Neuerscheinungen aus dem renommierten Stuttgarter Medizinverlag.

In Folge 2 geht es um "Tierisch beste Freunde" von Christoph Jung und Daniela Pörtl. Mit seinem Hund Baloo gibt Dr. Bertram einen kleinen Einblick, wieso sich Mensch und Hund so "tierisch gut" verstehen ...