Montag, 10. Oktober 2016

Tod und Trauerbewältigung beim Tod des Hundes

Mit dem Hundemagazin HundeWelt führte Christoph Jung, Diplom-Psychologe und Hundefreund, nachfolgendes Interview zu einem Thema, das alle Hundefreunde irgendwann ganz persönlich betrifft, wovor Viele Angst haben, ein schmerzvolles Thema: Wenn unsere lieben Hunde gehen müssen...

HundeWelt: Was ist eigentlich unter Trauer zu verstehen?

Christoph Jung: Trauer ist eine unserer elementaren Gefühlslagen. Trauer wird in der Regel durch den Verlust eines wichtigen Mitglieds des sozialen Umfelds ausgelöst. Wir sind hochsoziale Lebewesen. Bricht hier etwas weg, so geht ein Teil von uns selbst, ein Teil unserer Identität verloren. Trauer ist ein Prozess unserer Psyche, den wir ernst nehmen und zulassen müssen. Nur so kann der Verlust verarbeitet werden.

HundeWelt: Darf man um seinen Hund trauern?

Christoph Jung: Hunde zählen zu unserem engsten sozialen Umfeld. Nicht wenigen Menschen steht ihr Hund sogar näher als manche Mitglieder ihres menschlichen Umfelds. In der Regel haben wir eine intensive emotionale Bindung mit unserem Hund. Sein Verlust, sei es durch Tod, Scheidung oder andere Umstände erzeugt in uns das Gefühl der Trauer. Wie stark das Gefühl ist, hängt von vielen Faktoren ab. Der Hund ist jedenfalls auch objektiv ein wichtiger Sozialpartner des Menschen. Unsere Evolution ist seit mehr als 30.000 Jahren aufs Engste verzahnt. Das spiegelt sich unbewusst in unseren Gefühlen wieder.
HundeWelt:  Wann ist der richtige Zeitpunkt, Abschied zu nehmen?

Christoph Jung: Mehr als 80% aller Hunde werden vom Tierarzt über die Regenbogenbrücke geschickt. Das heißt, es ist eine bewusste Entscheidung. Wir müssen uns damit abfinden, wenn die Zeit gekommen ist. Wir sollten diese Herausforderung positiv annehmen und die letzten gemeinsamen Tage innig und bewusst erleben. Dies anzuerkennen ist zugleich die erste Phase der Trauerarbeit. Es ist oft schwer, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Spätestens wenn unser Hund keine Lebensfreude mehr zeigt, ist es soweit. Da darf man nicht egoistisch sein. Ich selbst habe, wenn das Ende absehbar war, mit meinem langjährigen Tierarzt die Verabredung getroffen, dass er dann zu uns nach Hause kommt.

HundeWelt:  Viele Menschen halten das Trauern um einen Hund für übertrieben Sie sagen, es sei schließlich nur ein Tier. Was denken Sie darüber?

Christoph Jung: Im Christentum wie im Islam ist einzig der Mensch das von Gott auserwählte Geschöpf. Heute noch vertreten Geistliche, dass Trauergefühle für ein Tier unangemessen seien, dass dies ein Privileg des Menschen für Menschen sei. Diese Einstellung spiegelt sich in der landläufigen Meinung wieder, es sei schließlich nur ein Tier. Trauer um einen Hund findet in unserer heutigen Gesellschaft nur verhalten Akzeptanz. Die Trauerkultur ist hier verloren gegangen. Das war früher anders. Das zuweilen schlechte Ansehen des Hundes in den vergangenen Jahrhunderten ist ein Sonderfall der Geschichte der Menschheit. In den vielen tausend Jahren davor hatte der Hund ein hohes Ansehen.

HundeWelt:  Wie denken Sie darüber, Hunde in Gräbern zu bestatten?

Christoph Jung: Ein Grab ist eine Gedenkstätte für die Überlebenden, ein Platz zum Trauern, eine Ehrerbietung für den Verstorbenen. Es ist nun einmal Realität, dass wir eine sehr enge Bindung zum Hund aufbauen können. Man hat viele schöne gemeinsame Stunden verbracht. Man hat schwere Zeiten gemeistert. Viele Hunde leisteten wundervolle Arbeit als Assistenzhunde, beim Hüten, bei der Jagd, die Kinder sind mit ihm aufgewachsen. Was spricht dagegen, einem vertrauten, vielleicht sogar geliebten Begleiter ein Denkmal zu setzen, ihm seine letzte Ehre zu erweisen? In Oberkassel bei Bonn finden wir den ältesten Beweis aus der Steinzeit. In dem 14.000 Jahre alten Doppelgrab wurden ein Mann, eine Frau und zwischen ihnen ein Hund begraben. Wir finden gemeinsame Gräber von Menschen und Hunden aus allen Epochen der Geschichte und Vorgeschichte. Die Zeitschrift National Geografic berichtet aus Südamerika: „Wie heutige Hundeliebhaber ihre Haustiere mit Häppchen vom Tisch verwöhnen und Hunde einen Platz auf dem Bett haben, so behandelten die alten Peruaner ihre Hunde als Familienangehörige. Sie erhielten ihr eigenes Grab, und in einigen Fällen sind sie mit Decken und Lebensmitteln begraben.“ Reichskanzler Otto von Bismarck ließ seine Doggen auf dem Schloss beerdigen wie der Große Fritz seine italienischen Windspiele. Bereits 1899 wurde in Paris der erste neuzeitliche Hundefriedhof eröffnet. Man muss eigentlich umgekehrt die Frage stellen: warum haben es die Menschen der Neuzeit verlernt, ihre Tiere respektvoll zu behandeln?
HundeWelt:  Wie soll man mit dem Tod eines treuen Begleiter umgehen?

Christoph Jung: Zunächst ist dies eine sehr persönliche Frage, die individuell beantwortet werden muss. Als erstes sollte man seine Trauer zulassen und ausleben. Unser liebes Hundchen hat Tränen verdient. Wir brauchen uns derer nicht zu schämen. Meist tut es gut, mit Hundefreunden ein stückweit gemeinsam Trauerarbeit zu leisten. Es gilt dabei mehrere Phasen zu durchleben: zunächst die Abwehr, das nicht Wahrhabenwollen, das Hadern mit dem Schicksal, dann die Wut, schließlich das Realisieren des Verlustes, das Sichabfinden. Nun beginnt man mit der Reorganisation des eigenen Lebens. So wird der Boden bereitet für neue Freude, die ebenso zugelassen werden sollte. Wir brauchen diese Phasen des Trauerns. Unser verstorbener Hundefreund wird immer einen Platz in unserem Herzen haben. Es ist erfreulich, dass wir inzwischen professionelle Helfer, etwa Tierfriedhöfe oder Krematorien, haben, die es selbst in der Großstadt ermöglichen, einen würdevollen Rahmen für den Abschied zu schaffen.

HundeWelt:  Manche Hundehalter wollen sich keinen Hund mehr anschaffen aus Angst vor dem unvermeidbaren Abschiedsschmerz. Eine richtige Entscheidung?

Christoph Jung: Es ist der einzige Wermutstropfen der Partnerschaft Mensch - Hund: der Hund hat eine viel kürzere Lebenserwartung. Er hat nur etwa fünfzehn Jahre, heute durch die Versäumnisse der Zucht nur zehn. Da ist absehbar wie aus dem eben noch tollpatschigen Welpen, der unser Gesicht vor Freude strahlen lässt, ein ruhiger, treuer Hundegreis wird. Die Bilder vergehen wie im Flug. Es heißt immer, der Hund sei unser Begleiter. Tatsächlich ist es andersherum. Wir begleiten den Hund durch sein ganzes Leben. Dabei hat jede Phase ihre schönen Seiten. Auch der alte Hund hat etwas Wunderschönes in seiner tiefen Vertrautheit. Der Hund hat sein Leben erfüllt. Wegen des Abschiedsschmerzes auf die Freude dieser Partnerschaft zu verzichten, halte ich mit Konrad Lorenz für kleingeistig.

HundeWelt:  Sie halten schon lange Hunde, wie haben Sie selbst den Abschied von Ihren Lieblingen erlebt?

Christoph Jung: Als jemand der sein ganzes Leben mit Katzen und Hunden verbracht hat, gab es naturgemäß schon einige Abschiede. Es gab meist friedliche und vereinzelte, von mir als grausam empfundene Abschiede. Ich habe immer sehr gelitten, wenn eine dieser Persönlichkeiten gegangen ist. Auch heute noch kommt mir zuweilen eine Träne. Aber es überwiegen bei weitem Freude und Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit. So kommt mir immer wieder ein Lächeln, wenn ich an diese oder jene Situation denke, wenn die alten Feunde in meinem Herzen kurzzeitig lebendig werden.

HundeWelt:  Der alte ist gegangen. Soll ein neuer Hund kommen?

Christoph Jung: Ja, ein neuer Hund bringt wieder Freude ins Haus. Es ist kein Verrat am alten Hund. Gerade wenn wir eine innige Verbindung zu unserem alten, geliebten Freund hatten, wissen wir, dass er sein Frauchen oder Herrchen immer glücklich sehen will.


Das Interview und mehr gibt es in der HundeWelt 11/2016:
Zu den Hintergründen dieser einmaligen Seelenverwandtschaft:
"Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin" (Schattauer-Verlag, Reihe Wissen & Leben) von Christoph Jung und Daniela Pörtl - mit einem Geleitwort von Andreas Kieling.

(Fotos: Christoph Jung)