Freitag, 20. Juni 2014

Evolution - Halfen uns Hund und Neandertaler? (3)

Pat Shipman ist Professorin für Archäologie in Pennsylvania/USA und Spezialistin für Fossilien. Sie kann im wahrsten Sinne aus den Knochen lesen. So aus denen von Mammuts. Shipman fiel auf, dass sich ein paar tausend Jahre nach Ankunft des anatomisch modernen Menschen (AMH) in Europa große Ansammlungen von Mammutknochen häufen. Die Überreste von um die Hundert, vereinzelt auch noch viel mehr Mammuts finden sich an einem einzigen solchen Ort. Die Skelette sind komplett. Eine natürliche Ursache für eine solche Massenansammlung, etwa einen Erdrutsch, kann ausgeschlossen werden. Indizien wie die Spuren von Schneidwerkzeugen an den Knochen unterstützen die Vermutung, dass die Mammuts von Jägern erlegt wurden. Nur, "wie kann man 86 Mammuts töten" fragt Shipman im Titel ihrer Arbeit (s.u. in den Literaturhinweisen). Zumal das Fleisch dieser Tonnen-schweren Kolosse nach dem Erlegen auch noch transportiert werden musste. Zudem findet man keine solche Anhäufungen von Mammutfossilien, die älter als 40.000 Jahre datieren. Danach aber häufen sich solche Funde schlagartig.
Foto: Piotr Wojtal
Die Archäologin führt das auf einen Sprung in der Jagdtechnologie des Menschen zurück. Im Aurigniacien vor gut 30.000 Jahren ist ein Kultursprung der Menschheit festzustellen. Zum einen hatte man neue Distanzwaffen erfunden, etwa die Speerschleuder. Zum anderen sieht Shipman den Hund als weiteren wesentlichen Fortschritt. Damals hatte die Kooperation Mensch-Wolf einen solchen Stand erreicht, dass man von (Proto-)Hunden sprechen kann (siehe Thalmann et al. unten und Teil2). Die Zusammenarbeit mit Hunden wiederum habe den Jagderfolg signifikant erhöht, so die Archäologin.
Karte Mammutfundorte (Pat Shipman)
Kooperation Mensch-Hund: Besserer Jagderfolg, bessere Versorgung mit hochwertiger Nahrung

Studien weisen auch heute noch höhere Jagderfolge durch die Kooperation mit dem Hund nach. Das galt erst recht in der Steinzeit und bei der Jagd auf das Großwild der damaligen Kaltsteppen, Wollnashörner, Steppenwisente und vor allem Mammuts. Beim Finden und Ausspähen der Herden, beim Treiben und Stellen des zu erlegenden Individuums, beim Erlegen und schließlich beim Sichern und Abtransport der Beute. Ohne die Zusammenabeit mit dem Hund seien solche Erfolge nicht erklärbar, so Shipman. Die Menschen, die mit dem Hund zusammengearbeitet haben, hätten eine bessere Ernährung und somit auch erfolgreichere Vermehrung gehabt.
Primitiver Hundeschlitten aus späterer Zeit
Die nun sprunghaft bessere Versorgung mit Fleisch beförderte eine gesteigerte Aktivität des Großhirns. Auch das ist eine notwendige Grundlage für die Fortschritte im Werkzeug- und Waffenbau und der Kultur, die im Aurignacien nachgeweisen wurden. Zugleich wird die Höherentwicklung von Sprache und Sozialordnung durch die verbesserte Ernähungsgrundlage begünstigt.

Nutzung der überlegenen Sinnesleistungen des Wolfes/Hundes

Neben dem besseren Jagderfolg und infolge besserer Ernährungslage hatte die Kooperation mit dem Wolf und später Hund weitere Vorteile. Die Kooperation brachte einen besseren Schutz vor Angreifern und ein höheres Durchsetzungsvermögen gegen Konkurrenten, vier- oder zweibeinige. Der anatomisch moderne Mensch konnte sich zudem auf die weit überlegenen Sinnesleistungen des Wolfes resp. Hundes verlassen. Hunde riechen "tausendfach" besser als Menschen, haben ein größeres Spektrum des Hörsinns, sehen bei Nacht wesentlich mehr. Der Mensch konnte sich auf dessen hervorragendende Sinnesleistungen zunehmend verlassen. Das erleichterte es dem Großhirn, immer mehr intellektuelle Ressourcen für den technologischen und kulturellen Fortschritt bereitzustellen. Auch das hatte weitreichende Folgen für den Siegeszug des AMH.

Weniger Stress, höhere Leistungsfähigkeit...

Der wichtigste Vorteil liegt jedoch im Verborgenen, ist aber heute noch lebendig und für jeden Hundefreund spürbar, ja der wesentliche Faktor der Partnerschaft Mensch-Hund. Das Verstehen und Vertrauen zwischen Mensch und Hund, der gegenseitige Stessabbau durch die erfolgreiche Kooperation und die neurobiologischen Folgen dieses "Wohlfühl"-Szenarios: Dem Menschen der Altsteinzeit brachte es einen Schub in der Entwicklung seiner psychischen, geistigen, handwerklichen und sozialen Fähigkeiten. In Wechselwirkung mit den direkt sichtbaren Vorteilen wie dem besseren Jagderfolg und höheren Schutz vor Feinden wirkten diese als neurobiologischer Katalysator für die individuelle und kollektive Leistungsfähigkeit unserer Vorfahren. Das allgemeine Stressniveau konnte heruntergefahren, Hormone wie Serotonin, Oxytoxin oder Dopamin verstärkt produziert werden. Dieser Prozess ist als eine epigenetische Modulation cerebraler Funktionssysteme zugunsten prosozialer Beruhigungssysteme zu verstehen.
29.000 Jahre alter Hundeschädel, dem man einen Mammutknochen ins Maul gelegt hat: Dank an einen verdienten Jagdpartner?
Anthropos Museum, Brno, mit freundlicher Genehmigung Mietje Germonpré.
Die Folgen solcher neurobiologischen Verschiebungen sind sehr vielfältig und weitreichend. Kinder können sich besser entwickeln insbesondere hinsichtlich ihrer Immunkräfte, ihrer geistigen Fähigkeiten und sozialen Kompetenz. Menschen können unter solchen Bedingungen leistungsfähigere soziale Gruppenstrukturen herausbilden und festigen. Kommunikation, Spiegelneuronenaktivität, Empathie und Theroy of Mind (ToM) werden gefördert. Die gesamte intellektuelle Leistungsfähigkeit wird umfassend gesteigert, die gesundheitlichen Parameter positiv beeinflusst. Solche Wirkungen sind heute neurowissenschaftlich wie auch verhaltensbiologisch umfassend nachgewiesen. Man kann davon ausgehen, dass die Wirkmechanismen beim Steinzeitmenschen, der anatomisch zum heutigen identisch ist, dieselben waren.

...bei Mensch wie Hund

Solche Einflüsse, zumindest in Teilen, kann man auch beim Hund unterstellen. Hunde verstehen den Menschen wie kein anderes Tier. Wir gehen davon aus, dass auch der Hund in jener Zeit seine Aktivität des Spegelneuronensystems steigerte und seine Fähigkeiten zu interspezifischer Empathie und Theory of Mind sprunghaft verbesserte. Die kollektive Jagd zweier Spezies zumal auf wehrhaftes und intelligentes Großwild, die komplexe Handlungsabläufe beinhaltet, basiert auf der Unterordnung des individuellen Mitglieds der Jagdgemeinschaft unter deren Gesamtplan. Als der Wolf zum Hund wurde, ordnete er sich zugleich aktiv den sozialen Regeln seiner Menschengruppe unter. Das ist auch heute noch eines der Alleinstellungsmerkmale der Mensch-Hund-Beziehung. Der Hund war dazu nur in der Lage, weil auch bei ihm die hier angesprochenen neurobiologischen Veränderungen wirkten. Der Hund ist mehr als ein zahmer Wolf, er hat eine neue Qualität entwickelt. Diese wirkt insbesondere im interpezifischen Verständnis, der kognitiven Flexibilität, vermindertem Konkurrenzverhalten und massiver Zunahme der Hemmbarkeit. In der Folge konnte er die unterschiedlichsten, zum Teil gegensätzlichen Arbeitsaufgaben für den Menschen leisten. Diese Fähigkeiten basieren auf differenzierten Triebausprägen und eben der aktiven Einordnung unter die sozialen Regeln des Menschen. Wir nennen diesen Prozess die "aktive soziale Domestikation des Hundes".
Husky (Mary) und Wolf (Foto: Christoph Jung)

Kommen wir noch einmal zurück auf die Wirkungen dieser Kooperation auf den Menschen. Wir unterscheiden:

a.) unmittelbare Wirkungen der Kooperation Mensch - Wolf/Hund in der Steinzeit
  • größerer Erfolg bei der Jagd
  • besserer Schutz vor Feinden
  • mehr Durchsetzungskraft gegen Konkurrenten
  • neue Transportoptionen, Hund als Zugtier verfügbar
  • Spielpartner für die Kinder
  • verschiedene: Hund als Wärmekissen, Nahrungsreserve, Orientierungshilfe, Schädlings- und Unratvernichter
b.) mittelbare Wirkungen der Kooperation Mensch - Wolf/Hund in der Steinzeit
  • mehr hochwertige Nahrung zur Steigerung der Hirnleistung verfügbar
  • weniger Hirnressourcen für Sinnesleistungen nötig
  • weniger Stressbelastung und
  • mehr Oxytocin und Dopamin - steigern intellektuelle und psychische Leistungsfähigkeit sowie körperliche Widerstandskraft und letztlich Fertilität von Individuum und Gruppe
Die Kooperation mit dem Wolf und infolge die Herausbildung des Hundes kann als eine Art Katalysator für die Evolution des Menschen in der Steinzeit bezeichnet werden. Der Autor dieses Artikels hat 2012 zusammen mit der Neurologin Daniela Pörtl hierzu das Modell der "Aktiven sozialen Domestikation des Hundes" entworfen und 2013 u.a. auf verschiedenen Medizinerkongressen wie der DGE oder DGPPN vorgestellt. Denn auch heute noch ist es von Bedeutung, diese Wirkmechanismen zu kennen: Zum einen für das Verständnis der (therapeutischen) Wirkung des Hundes auf den Menschen, zum anderen für eine Wiederbelebung der Partnerschaft Mensch-Hund, dem originären Anliegen von Petwatch.


Literaturhinweise:

Ein Beitrag von Christoph Jung