Interview mit
Michael Künzel aus Mönchengladbach, dessen alte Dackeldame Dalia unbedingt an die Leine musste.
Herr Künzel, können Sie uns kurz schildern, welchen Strauß Sie und ihre Dackeldame mit den Behörden von MG auszufechten hatten?
Michael Künzel: 24.04.2006: Erste Anzeige - Dackel (11) ging sehr langsam unmittelbar neben mir Fuß (40 cm Abstand). Verwarnung 35 Euro bezahlt. Ordnungsamt-Mitarbeiter alleine und in Zivil. Hund wurde sofort von mir auf den Arm genommen.
19.09.2008: Es geht weiter: Ich stehe mit meiner Hündin (13) auf der Wiese in Hugo-Junkers-Park an der Brucknerallee. Eine Nachbarin gewährt ihren beiden Hunden Freilauf (Windhund und Mischling mittelgroß). Zwei Mitarbeiter des mittlerweile eingerichteten "KOS" (Kommunale Ordnungs- und Servicedienst) gehen auf uns zu. 35 Euro für jeden - bezahlt.
04.11.2008: Dalia zeigt plötzlich erhebliche Lähmungserscheinungen der Hinterläufe. Konservative Behandlung mit Metacam und Prednisolon zeigt Erfolg. Leichte Schwäche bleibt.
15.05.2009: 21:20 Uhr: Dalia liegt regungslos unter einer Parkbank, auf der ich mich niedergelassen habe. Menschenleere. Zwei Mitarbeiter des KOS fahren mit Pkw durch die Anlage und stoppen mit eingeschalteten Scheinwerfern vor mir. Aufforderung den ruhig liegenden Hund anzuleinen. Platzverweis wegen Nähe zum Spielplatz (Richter stellt später fest, Aufenthalt mit Hund ist dort rechtmäßig). Bußgeldverfahren wird eingeleitet, Bußgeld 35 Euro zuzüglich 23,48 Euro Gebühren. Ich lege Einspruch ein.
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Michael mit seiner Dalia |
Sommer 2009: Dalia zeigt erste Anzeichen einer chronischen Niereninsuffizienz (Polyurie/Polydipsie).
26.10.2009: Gerichtverhandlung AG Mönchengladbach - Der Richter bestätigt die Richtigkeit des Bußgeldes. Einlegung der Rechtsbeschwerde durch die Anwältin.
10.02.2010: Das Oberlandesgericht Düsseldorf befindet die Rechtsbeschwerde als begründet, stellt das Fehlen von Urteilsgründen fest (formaler Fehler). Rückverweisung an das Amtsgericht.
17.05.2010: Verhandlung nach Rechtsbeschwerde - das Bußgeld wird erneut bestätigt.
24.06.2010: Rechnung über die Gerichtskosten einschließlich Bußgeld: 86,16 Euro - Ratenzahlungsvereinbarung über 8 Raten zu je 10,77 Euro wurde bewilligt.
0.12.2010, 09:20 Uhr: Kurz vor Weihnachten wird das Amtsgericht in Mönchengladbach vier verbliebene Einsprüche zurückweisen, und die Bußgelder nochmals deutlich erhöhen.
Zwischenzeitlich: Mein Hund (15) mag altersbedingt nur noch in ihren o.g. Park, wo sie die meiste Zeit sitzend verweilt.
Anzeigenflut beginnt: 27.03.2010 / 03.05.2010 / 28.05.2010 durch den KOS - Bußgeldbescheide über je 35 Euro zuzüglich Gebühren folgen.
Jetzt steigt auch noch ein Bezirksdienstbeamter der Polizei ein - sein Steckenpferd, denn andere Polizisten haben sich nie für uns interessiert. Anzeigen werden ans Ordnungsamt weitergeleitet. Besonderheit: Bei der ersten seiner Anzeigen droht er, den Hund mit der Feuerwehr abtransportieren zu lassen. Aufnahme der Personalien. Weitere Anzeigen folgen später aus größerer Distanz (aus dem Fahrzeug heraus, ohne mich anzusprechen).
Daten: 04.05.2010 / 14.05.2010 / 08.06.2010 / 11.06.2010 / 06.07.2010.
05.08.2010: Ich lege zeitgleich Einspruch gegen alle Bußgeldbescheide ein (außer den wg. Verstoß vom 06.07.2010, da der Bußgeldbescheid erst Anfang November zugestellt wird).
Anfang Oktober 2010: Erneute Lähmungen bei Dalia. Tierarzt stellt ein Attest aus, daß seit 2008 eine schwere Errkrankung der Wirbelsäule vorliegt. Vom Anleinen rät er ab, zumal starke Schmerzen auftreten können.
18.10.2010: Verhandlung beim Amtsgericht - ich alleine ohne Anwalt. 4 Zeugen vom Ordnungsamt (sagen wahrheitsgemäß aus), Zeuge Polizist (belastet mich durch Falschaussage - "würde andere Hundehalter auffordern, ihre Hunde abzuleinen").
Nur 3 Einsprüche werden verhandelt, keine Ahnung warum. Attest ist irrelevant, denn der Hund könnte durch das Anleinen Schaden erleiden, muß aber nicht - so der Richter. Droht schon mit Erzwingungshaft, ich entgegne:"Ich zahle, ich zahle." Ich sage:"Ich halte mich grundsätzlich gerne an Gesetze und Vorschriften, muß aber zwangsläufig auch das Tierschutzgesetz beachten." Der Richter:"Wie, sie halten sich grundsätzlich nicht an Gesetze?" Bußgelder setzt Richter Dr. Alberring von je 35 Euro auf 80, 90 und 100 Euro herauf. Gerichtskosten kommen noch.
12.11.2010: Einspruch gegen nach Nachzügler 06.07.2010.
15.11.2010: Dalia geht über die Regenbogenbrücke.
Warum haben Sie Dalia nicht einfach ins Auto gepackt und sind zur nächsten Hundewiese gefahren?
Michael Künzel: Dalia war so erzogen, daß sie in der Stadt - einschließlich Straßen und Ampeln sowie Fußgängerüberwege - verkehrssicher war und auf mein Wort stehenblieb. Sie war kein Hund, der auf einer Hundewiese im Kreis läuft oder hin- und her rennt. Sie war gewohnt, längere Spaziergänge mit mir zu machen, oft etwa 2 - 3 Stunden. Zum Thema Auto. Bei Grundsicherungsleistungen kann man sich nur schwer ein Auto erlauben. Zudem ist auch die Parkplatzsituation tagsüber sehr heikel. Das Auto könnte ich keineswegs in unmittelbarer Nähe parken.
Im letzten Jahr ihres Lebens mußte mein Hund sehr oft ausgeführt werden. Der Wasserkonsum war hoch, damit die kranken Nieren noch in der Lage waren, Harnstoff und andere Abbauprodukte aus dem Körper auszuscheiden. Ein alter und kranker Dackel mit seinen kurzen Beinchen soll und darf bei Nässe und Kälte nicht auf einer Wiese laufen müssen. Er bekäme nicht nur kalte Pfoten, sondern die gesamte Körperunterseite wäre betroffen.
Zur nächsten Hundewiese wäre ein Fußweg von 2 Kilometern zurückzulegen. Die Frage bleibt offen, inwieweit die dort anwesenden Besucher (mit oder ohne Erfahrung) ihre kleinen und großen Hunde (erzogen oder nicht erzogen) im Griff haben. Dalia hatte kein Interesse daran, mit fremden Hunden zu spielen. Was wäre gewesen, wenn ihr ein großer Hund auf ihren Rücken gesprungen wäre?
Der Leinenzwang soll doch der Vermeidung von Gefahren durch Hunde dienen. Ging von Ihrer Dalia irgendeine Gefahr aus?
Michael Künzel: In der Zeit der Anzeigenflut sicherlich nicht mehr. Ohnehin hat sie in ihrem Leben nie nach einem Kind oder Erwachsenen geschnappt oder gar gebissen. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wären die Verletzungen gering geblieben. Bei einem Hund, genau wie bei Menschen auch, kann ein Anfall von Aggression nie völlig ausgeschlossen werden. Aber Dalia war ein kleiner Hund mit einem schmalen Mäulchen. Viele Hundebesitzer großer Hunde wären im Falle des Falles, sollte das Tier einmal ausrasten, nicht in der Lage dies zu kontrollieren und in den Griff zu bekommen.
In Halle erklärte kürzlich Innendezernent Wiegand öffentlich, er könne nichts machen, wenn - namentlich bekannte - Halter sogenannter Kampfhunde ihrer gesetzlichen Verpflichtung zum Wesenstest für ihre Hunde nicht nachkommen. Gleichzeitig gehen die Beamten des Ordnungsamtes kompromisslos gegen Bürger vor, die ihren Hund, ob Mops oder Pekinese, ob alt oder gebrechlich, in den Grünanlagen einmal von der Leine lassen. Nicht selten werden saftige Bußgelder verhängt und - im Gegensatz zu o.g. - auch eingetrieben. Kennen Sie so etwas aus MG?
Michael Künzel: Für MG kann ich mir das eigentlich nicht vorstellen. Ich denke das Ordnungsamt hier würde einer solchen Angelegenheit schon nachgehen. Ansonsten hat aber der KOS bei uns seinen Sinn nicht erfüllt. Frauen haben weiterhin Angst bei Dunkelheit auf die Straße zu gehen, die Verschmutzung und Vermüllung hat keineswegs abgenommen. Mönchengladbach ist eine schmutzige und arme Stadt geworden. Leider. Rücksichtslose Radfahrer, die kreuz- und quer über die schmalsten (Geh-)Wege rasen, haben hier jedenfalls nicht zu befürchten. Fußgängern empfiehlt es sich, rechtzeitig zur Seite zu springen.
Was sollte man für die Zukunft ändern?
Michael Künzel: Wenn man meint, man bräuchte für die Haltung von Hunden in der Öffentlichkeit besondere Vorschriften, Gesetze und Überwachung, dann könnte das Beispiel Hamburg Vorbildcharakter haben. Freilauf für ausgebildete, erzogene Tiere. Befreiung für sehr alte und kranke Hunde.
Herr Künzel, vielen Dank für das Interview. Man würde sich wünschen, dass die Behörden auch bei so manchem Gewaltdelikt so konsequent vorgehen würde. Ob man Hamburg als Vorbild sehen kann, nun da habe ich meine Bedenken. Man denke nur an die Erfahrungen der Hunde-Lobby Hamburg oder das Vorgehen im Umfeld des schrecklichen Todes des kleinen Jungen im Jahr 2000, dem Startschuss für eine beispiellose Hetze gegen Hunde durch Politiker und Medien. Aber das Thema ist brennend und bedarf einer Lösung. Man sollte sich auch diesen Ansatz aus Österreich anschauen: Aktion "Mehr Platz für Hunde"
p.s.:
Gerade kam die Pressemeldung. Die Heimtier-Fachmarktkette
Fressnapf kürt die hundefreundlichsten Städte Deutschlands. Und siehe da, auf Platz drei genau unser Mönchengladbach. Interessant auch, dass es zu Sieger München heißt: "
Den Platz 1 auf dem Siegertreppchen der hundefreundlichsten Großstädte verdient sich München zuallererst durch die großzügige Auslegung der Leinenpflicht." Wo da die Bewerter in MG hingeschaut haben?
Vielen Dank für den Hinweis an
Frank Gilka!