Donnerstag, 13. Januar 2011

Die "genetische" Situation beim Leonberger

...und wie man hier eventuell gegensteuern könnte - Teil I von II.

Ein Beitrag von Edith Steffen, die seit 26 Jahren zusammen mit Leonbergern lebt. Ihr Beitrag wurde freundlicherweise von Dr. Hellmuth Wachtel, einem der wenigen großen Kynologen unserer Zeit, durchgesehen.
  • Inzucht- und Ahnenverlust-Koeffizient
  • Single / unique ancestors
  • Inzucht - Engzucht
  • Paarungen von Hunden mit niedrigem Verwandtschaftskoeffizienten
Wie wahrscheinlich die Mehrzahl der Rassehunde, so ist auch der Leonberger auf einige wenige (evtl. stark verwandte) Ausgangstiere zurückzuführen. Historisch bedingte Engpässe (zwei Weltkriege, weitere Verluste von Zuchttieren) haben zur weiteren Verringerung der Zuchtbasis beigetragen. Auch dieses Schicksal teilen sicherlich andere Hunderassen.

Werden unsere Rassehunde immer kränker?  Ja!
Sind unsere Rassehunde schon zu sehr "verzüchtet"? Manche schon (In-, Qualzucht)


Brauchen wir überhaupt Rassehunde?


Oft genug werden diese Fragen gestellt. Die Antwort ist "ja" - wir brauchen unsere Rassehunde aber wir brauchen eine andere Gewichtung in der Rassehundezucht, um den vielfältigen Problemen (erhöhte Krankheitsanfälligkeit, geringere Vitalität, verkürzte Lebensdauer) entgegenzuwirken. Hierzu auch ein Kommentar von Dr. H. Wachtel "Aber nicht Mischlinge sind die Lösung, sondern der heterozygote (genetisch vielseitige) Rassehund. Der Mischling ist kein Ausweg, heute schon gar nicht."

Nur die Zusammenarbeit von Züchtern, Hundehaltern, den diversen Hundevereinen und Dachverbänden kann hier - bezogen auf die gesamte Rasse - auf Dauer zum Erfolg führen.

Aber jeder Züchter und Halter eines Deckrüden kann für sich selbst damit beginnen, nachzudenken, was wirklich wichtig werden wird für die "Zukunft" der Rasse - und auch dann, wenn der Rassehundeverein dies nicht vorschreibt, so wird sich doch nirgendwo eine Regel finden, die es verbietet "mehr zu tun als vorgeschrieben" - der Erfolg oder Misserfolg solcher Programme wird letztendlich davon bestimmt, wie viele Züchter sich neu orientieren, und neu orientieren heißt hier "hin zum so wenig als möglich ingezüchteten Rassehund".

Daneben wären strenge Fitnesstests unbedingt erforderlich!! (Anmerkung von Herrn Dr. Wachtel - der ich voll und ganz zustimme! )

Überhaupt nicht ingezüchtet - geht nicht - diese Zeiten sind vorbei; ob es sie jemals gegeben hätte, ist fraglich. Ich denke nicht, denn dafür hatten wir niemals genügend "nicht verwandte" Ausgangstiere.

Aber die "Uhr anhalten", den Inzuchtkoeffiezienten (IK oder COI) quasi "einzufrieren - ein Ansteigen zu verhindern", das wäre möglich und darüber möchte ich in diesem Artikel sprechen.



Eine Erklärung über Datenerfassungen und online-Datenbanken - woraus IK/COI und Ahnenverlust errechnet werden - in Kurzversion wieder gegeben: im Jahre 1995 wurde von einigen Leonberger Freunden mit Datenerfassung begonnen, später haben sich (zunächst unabhängig voneinander) andere Leonberger Freunde ebenfalls damit befasst; in 2005 wurde die erste online-Datenbank bei einem Stand von über 66.000 Datensätzen mit anderen "verbunden"; heute existieren 3 online-Datenbanken; 2 davon mit aktualisierten Daten - und all diese Datenerfassungsprogramm, insbesondere das seit 2005 genutzte, machen es möglich, den IK (Inzuchtkoeffizienten - Wiedergabe der Inzucht für eine bestimmte Anzahl von Generationen) und AVK (Ahnenverlust-Koeffizienten) zu berechnen, desgleichen kann die Anzahl der "möglichen Ahnen" der Anzahl der tatsächlichen Ahnen gegenübergestellt werden.

Beispiel - COR = coefficient of relationship / Verwandtschaftsgrad

1.  Elterngeneration 50 %
2.  Großeltern 25 %
3.  Ur-Großeltern 12.5 %
4.  Ur-Ur-Großeltern 6.25 %
5.  Ur-Ur-Ur-Großeltern      3.125 %

Wenn nun derselbe Ahne 2 x in Generation 4 = 2 x 6.25 % und 2 x in Gen. 5 = 2 x 3.125 % vorhanden ist, dann reduziert sich die genetische Vielfalt und gleichzeitig steigt der prozentuale mögliche genetische Einfluss des / der mehrfache vorhandenen Ahnen an.

Dadurch kann die Situation gegeben sein, dass ein Ahne plötzlich einen prozentual möglichen genetischen Einfluss wie ein Ahne in Generation 2 oder 3 hat, obwohl dieser Ahne in Generation 4 oder 5 mehrfach zu finden ist.

Die Datenbanken hatten bzw. haben alle denselben Zweck: sie sollten einem Züchter ermöglichen, einen passenden Zuchtpartner für die Hündin zu finden und selbst zu überprüfen, inwieweit die Tiere miteinander verwandt sind.

Da im Laufe der Zeit in den beiden jüngeren Datenbanken auch Gesundheitsergebnisse (HD - ED - Augenuntersuchungen usw.) online dargestellt werden, können diese Datenbanken quasi als "online-Information für geplante Verpaarungen" genutzt werden. Das war der ursprüngliche Sinn und Zweck und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Ich werde für die verständlichen und korrekten Erklärungen einiger Begriffe, wie auch zur Unterstützung dessen, was ich hier äußere, einige Wissenschaftler zitieren (Quelle jeweils beim Zitat), eine Auflistung der verwendeten Literatur finden Sie am Ende dieses Artikels.
Der Inzuchtkoeffizient (IK) gibt den Verwandtschaftsgrad der Eltern eines Tieres miteinander an (WACHTEL, Hundezucht 2000, S. 30/31). Der IK zeigt die Wahrscheinlichkeit an, dass zwei Allele eines Gens bei einem Hund von der Abstammung her identisch sind, d.h. sie stammen aus der Verdoppelung eines Allels in irgend einem Ahnen; man nennt sie in diesem Falle autozygot (WACHTEL, Hundezucht 2000, S. 80/81). IK - Mathematischer Begriff zur Berechnung des Inzuchtgrades eines Tieres bzw. einer Population (KRAUTWURST, prakt. Genetik f. Hundezüchter,S. 202).

Der Ahnenverlust-Koeffizient (AVK) wird berechnet durch die Division der tatsächlichen Anzahl der Ahnen des Hundes durch die Zahl der maximal möglichen Anzahl der Ahnen des Hundes. Der AVK ist der Quotient aus der Anzahl tatsächlich vorhandener und der Gesamtzahl der möglichen Ahnen (KRAUTWURST, prakt. Genetik f. Hundezüchter, S. 199).
Sh. auch http://de.wikipedia.org/wiki/Ahnenverlust

Alle Rassehunde sind einstmals durch Inzucht / Linienzucht entstanden, denn nur so konnte das einheitliche Exterieur zustande kommen. Dies geschah, weil durch diese Engzucht ein hoher Grad an Homozygotie (Reinerbigkeit, gleiche Allele) erreicht wurde. Diese Reinerbigkeit bezieht sich natürlich auf die guten, die erwünschten, wie auch auf die unerwünschten Eigenschaften und somit wurde auch (teilweise) eine hohe Anzahl von Defektgenen innerhalb der Rasse verbreitet. "Voraussetzung für eine niedrige Defektgenrate in einer Population ist es, dass die Sexualpartner nicht eng verwandt sind - für einen optimalen Nachwuchs ist es meist am besten, wenn sie überhaupt nicht verwandt wären" (WACHTEL, Hundezucht 2000, S.20/21) und "die Zunahme des Inzuchtkoeffizienten sollte keinesfalls höher sein als 1 % und besser unter einem halben Prozent pro Generation liegen" (WACHTEL, Hundezucht 2000, S.71).

Da Exterieur und die anderen rassetypischen Eigenschaften aber heute in jeder Rasse gefestigt sind, besteht kein Grund mehr zu Linienzucht / Inzucht. Anmerkung von Dr. Wachtel: Es können allerdings manchmal Abweichungen auftreten, doch solche Tiere sind eben nach Möglichkeit auszuscheiden!  (=nicht zur Zucht zuzulassen).

Wenn der Züchter genetische Basiskenntnisse hat (und darüber sollte ein Züchter verfügen), dann ist auch bekannt, welche Eigenschaften gering-, mittel- oder hoch erblich sind und, wenn außerdem Informationen über die Ahnen beider Zuchttiere vorliegen, dann kann der Züchter mit einem sogen. "like-to-like-breeding", also ähnlich aussehende Zuchtpartner, die wiederum in den Ahnenreihen ähnliche aussehende Hunde aufweisen, genauso erfolgreich sein im Bezug auf Exterieur - und dies ist dann auch möglich, wenn die beiden Zuchtpartner zumindest über die ersten 5 Generationen keine gemeinsamen Ahnen aufweisen.

Da es ja meist um Exterieurmerkmale geht (besonderer Farbton, Körpergröße, Brusttiefe, Knochenstärke usw.) und diese anatomischen Merkmale mit 30 - 65 % (WILLIS, Genetik der Hundezucht, S. 37) zu den mittel- bis hoch-erblichen gehören, kann man hier gute Resultate - auch ohne Linienzucht - erreichen.

Leider ist es so, dass die Merkmale, die wir anstreben (Vitalität, Langlebigkeit, Zähigkeit, wie auch immer man es nennen möchte), zu den niedrig-erblichen gehören, 10 - 15 % - und deshalb sollten diese Merkmale bei beiden Elterntieren und unter den Ahnen beider Elterntiere vorhanden sein, damit wir die Chancen, dies durch Zuchtauswahl zu erreichen, vergrößern können. 

Weiter mit Teil II hier in einer Woche

Literatur:
  • Dr. F. Krautwurst - Praktische Genetik für Hundezüchter - Kynos-Verlag 2002
  • Dr.Hellmuth Wachtel - Hundezucht 2000 - Gollwitzer Verlag 1997/98
    Ich danke Herr Dr. Wachtel, dass er sich die Zeit nahm, meinen Artikel durchzulesen und zu kommentieren!
  • Malcolm.B. Willis - Genetik der Hundezucht - Kynos-Verlag 1992
  • Dr. George A. Padgett - Control of Canine Genetic Diseases - Howell Book House, N.Y. 1998
  • Eric H.W.Aldington, Friedern Stockmann, Vom Körperbau des Hundes - 5.Aufl. Kynos-Verlag
  • http://www.yakzucht.ch/downloads/genetischer_flaschenhals.pdf