Freitag, 11. November 2011

Inzest in der Hundezucht

Zum 5.November war ich eingeladen, bei der Tagung der Zuchtverantwortlichen der VDH-Vereine zu sprechen (Verband für das deutsche Hundewesen). Diese Einladung nahm ich gerne an. Wenn wir eine Wende in der Hundezucht fordern, so geht das nur MIT den Züchtern. Ein Kernpunkt meiner Rede war das Thema Inzucht oder besser gesagt der eindringliche

Appell an eine Abkehr von Inzucht.

Hier beim Petwatch-Blog erschienen schon etliche Abhandlungen, die die Bedeutung einer heterogenen Genausstattung für die individuelle Gesundheit, besonders aber auch die Gesundheit der Population einer Hunderasse belegen. Ich möchte nur auf den gerade erschienenen Artikel von Dr. Margrit Miekeley "Epigenetik - Vision oder Wirklichkeit in der Hundezucht?" verweisen.

Vor den Zuchtverantwortlichen des VDH forderte ich 4 Sofortmaßnahmen:
  1. Ein generelles Verbot von Inzestzucht. Ein solches Verbot sollte auch für das Ausstellen von Abkömmlingen solchen züchterischen Fehlhandelns gelten.
  2. Eine generelle Deckbeschränkung für Rüden. Die quasi uferlose Verwendung einzelner Champion-Rüden (Matador, Popular Sires) bei manchen Hunderassen ist nicht nur ein Katalysator der genetischen Verarmung einer Population. Sie ist zudem eine der Hauptursachen für die, ja man muss sagen, Verseuchung ganzer Populationen mit Gendefekten.
  3. Analog müssen solche Beschränkungen für die künstliche Besamung gelten. Die Reproduktionsmedizin ist heute auf dem besten Wege zu einem weiteren Katalysator von Inzucht zu degenerieren. Künstliche Besamung muss zudem strikt verboten sein, wenn sie als Ersatz für verloren gegangene Deckfähigkeit dienen soll.
  4. Mindeststandards für den Ahnenverlust sollten eingeführt werden. Schon eine so einfache Regel, wie dass kein Ahne im Stammbaum doppelt vorkommen solle, würde bei vielen Begleithunde-Populationen einen Fortschritt bedeuten.
Das sind Forderungen zur sofortigen Bekämpfung der schlimmsten Auswüchse in der heutigen Rassehundezucht. Natürlich ersetzen solche Maßnahmen keineswegs konkrete Programme zur Verbesserung der Populationsgenetik einer Hunderasse.

Schauen wir uns hier die Forderung zum Verbot von Inzestzucht an. Aus Sicht der Gesundheit der unmittelbaren Nachkommen oder aus Sicht der Gesundheit der Population gibt es keinen einzigen Grund, Inzestzucht zu betreiben. Solche Zuchtmaßnahmen dienen in aller Regel lediglich der Produktion genormter Welpen für den Markt und das Show-Buzz. Ansonsten sind die Folgen für das Wohl der Hunde zumeist fatal, besonders die langfristigen. Solche Warnungen sind alles andere als neu. Bereits 1904 warnte Tierarzt und Züchter Wilhelm Hinz in seiner Dissertation:

"Wenn wir uns heute der Inzucht als Mittel zum Zwecke bedienen, so dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass wird damit ein zweischneidiges Schwert schwingen. Denn wie sich durch Inzucht die von uns eigenmächtig aufgestellten Vorzüge in der Nachkommenschaft potenzieren, vervielfältigen sich ebenso leicht die Nachteile."
Wissenschaftliche Untersuchungen haben nachgewiesen,
dass 10% mehr Inzucht den
Verlust von 1 Jahr Lebenserwartung bedeutet.
Hunde mit heterogener Genausstattung haben im Durchschnitt
eine längere Lebenserwartung als ingezüchtete.

(Foto CJ: Geheime Mischung eines Mushers)
Und dieses Thema der Inzestzucht ist leider immer noch akut - trotz aller vollkommen eindeutigen Warnungen aus der Wissenschaft.

In der Zuchtordnung des VDH lautet die Bestimmung:

"Paarungen von Verwandten 1.Grades  – Inzest  (Eltern x Kinder/Vollgeschwister untereinander/Halbgeschwister    untereinander) – bedürfen der Ausnahmegenehmigung des Rassehunde-Zuchtvereins." (§4 Abs 3)

Entsprechend finden wir in zahlreichen Zuchtordnungen der Zuchtvereine analoge Bestimmungen, wie z.B.:

beim Beagle Club Deutschland e.V.:
"4.1.6 Inzestzucht
Paarungen von Verwandten ersten Grades und Halbgeschwistern bedürfen der vorherigen schriftlichen Genehmigung des Zuchtleiters. Die Genehmigung gilt für einen Wurf
."

oder - bereits etwas strenger - im Deutschen Club für nordische Hunde e.V.:
"5.3. Inzuchtpaarungen
Paarungen aus Verwandten 1. Grades (Vollgeschwister, Eltern – Kind) sowie Verpaarungen mit einem Inzuchtkoeffizienten von mehr als 20% sind genehmigungspflichtig und min. vier Wochen vorher beim LFBZ zu beantragen. Eine ausführliche kynologische Begründung mit Darlegung des Zuchtzieles ist dem Antrag beizufügen. Weitere oder abweichende Regelungen sind gegebenenfalls in den rassespezifischen Anhängen aufgeführt.
"

Außerhalb des VDHs gibt es zahlreiche Zuchtvereine, die ähnliche, aber auch etliche, die keinerlei Bestimmungen für die Inzestzucht vorlegen. Es gibt sogar Züchter, die die Mär verbreiten, per konsequenter Inzucht könne man eine Rasse von Gendefekten befreien. Das ist eine abenteuerliche Behauptung, die jeder wissenschaftlichen Erkenntnis widerspricht. Zwar kann man bestimmte, bekannte Gendefekt ausmerzen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass komplexe Gendefekte zusammenkommen, erhöht sich zugleich. Eine ingezüchtete Population verliert tendenziell ihre Überlebensfähigkeit und Widerstandkraft gegenüber Störungen aller Art. Über Generationen ingezüchtete Labormäuse zum Beispiel sterben binnen 24 Stunden, wenn sie normales Leitungswasser trinken.

Der Verzicht auf Inzestverpaarungen ist in der Hundezucht keineswegs ein Novum.

So enthält die ZO der "Deutschen Hunde Sport-Union e.V." (DHSU) die kurze, aber unzweideutige Bestimmung:

"Eine Inzestverpaarung ist in der DHSU strengstens untersagt."

Auch verschiedene VDH-Zuchtvereine haben sich bereits für ein Verbot von Inzestzucht entschieden wie der PSK Pinscher-Schnauzer e.V 1895, um nur ein Beispiel zu nennen.

Es wäre sehr wünschenswert, wenn solche uneingeschränkten Verbote des Inzests Schule machen würden. Wenn der VDH oder andere Verbände den Weg einer gesunden Rassehundezucht gehen wollen, wird man an einem solchen Verbot von Inzestverpaarungen nicht vorbeikommen.
(ein Beitrag von Christoph Jung)