Freitag, 2. März 2012

Initiative Gesunde Bulldoggen

Ein Interview mit Claudia Fuhrmann, Mitbegründerin der Initiative "Gesunde Bulldoggen"

Christoph Jung: Vor 2 Jahren hast du mit anderen "Gesunde Bulldoggen" ins Leben gerufen. Was war der konkrete Anlass hierfür?

Claudia Fuhrmann: Hierfür gab es mehrere Gründe. Wir wollten eine Aufklärungsseite für Welpeninteressenten gestalten, um über Besonderheiten und Krankheiten der Rassen zu informieren. Besitzer sollten die Möglichkeit bekommen, Erfahrungsberichte zu verfassen. Generell haben wir Anfragen von Menschen, die Rat suchen, sei es vor dem Hundekauf oder auch bzgl. der typischen Erbkrankheiten der französischen Bulldoggen.
Französische Bulldogge und Cavalier - 2 Hunderassen, die den Menschen lieben, aber leider vom Menschen missbraucht werden.
Viele Welpenkäufer stürzen sich recht blauäugig in das Abenteuer Bully und sind dann finanziell und emotional schnell überfordert, wenn der geliebte Schatz sich nicht als ganz gesund herausstellt und umfangreiche medizinische Eingriffe notwendig werden, um den Hund ein normales Leben zu ermöglichen. Hier möchten wir einfach ein offenes Ohr schenken und unsere Erfahrungen weitergeben.
Spocky: Ein charakter- und temperamentvoller Bully-Rüde, der gerne frei Atmen würde. Wo ist hier die Schnauze - zum Atmen ... sowie DAS Organ zur Thermoregulation?

Christoph Jung:
Wurden seither Fortschritte erzielt?

Claudia Fuhrmann: Ich sehe Fortschritte, dass es mittlerweile viel mehr Informationen über die Rasse gibt. Jedem Welpenkäufer sollte mittlerweile bewusst sein, dass die „Geiz-ist-geil“ Mentalität sich mit der gesunden Bulldogge nicht vereinbaren lässt, man einen wohlgezogenen Bulldog weder im Discounter, noch über das Internet kaufen kann. Es ist immer noch eine sehr übertypisierte Rasse, die immense Forderungen an Züchter und Halter stellt.
Spocky kann nach umfangreicher Sanierung der Atemwege endlich wieder durchatmen und Hund sein.
Als Fortschritt in der Zucht sehe ich, dass sehr viele Bullys mittlerweile mit der Atmung vordergründig kein Problem mehr haben. Nimmt man aber sämtliche Erkrankungen hinzu und belastet die Bullys zu jeder Jahres- und Tagzeit wie normale, kleine Hunde, erkennt man aber auch hier, dass noch viel zu tun ist.
Sportliche Bulldoggen halten auch gut mit großen Hunden mit.
Zu der Zeit, als ich einen Bully suchte, gab es diese Informationen noch sehr wenig. Die Züchter-Homepages waren sehr überschaulich, es wurde noch viel darüber geschrieben, dass der Bully der drollige Schnarcher ist. Sprach man Züchter an, waren immer alle Bullys gesund.

Hier wird mittlerweile weniger schöngeredet, viele Züchter sprechen offensiv die Problematik der gesunden Bulldoggen an. Es wäre schön, wenn jeder Welpenkäufer das Glück eines gesunden, wesensfesten, im Standard stehenden Bulldog genießen dürfte.

Christoph Jung: Was muss sich ändern, damit diese Hunde, die ein so faszinierendes Wesen haben, vom Züchter das Zeug zu uneingeschränkter Lebensfreude mitbringen?

Claudia Fuhrmann: Die Gesundheit der Zuchthunde muss seitens der Züchter, Vereine und Verbände im realistischen Rahmen kontrolliert werden. Man sollte sich z.B. an evaluierte Gutachter, aber zumindest anerkannte Fachtierärzte wenden, welche die Tiere auswerten.
In der Ruhe liegt die Kraft.
Züchter sollten so viel Sachverstand mitbringen, dass sie versuchen, die Bulldoggenrassen wirklich zu verbessern und nicht nur zu erhalten. Die Grenzen bzgl. der Gesundheitsauflagen müssen nicht immer bis zur Grenze ausgeschöpft werden. Hunde, z.B. mit ein bisschen Patella, Atemgeräusch, leichter HD, 4 Keilwirbeln und fehlenden Zähnen z.B. muss man nicht unbedingt als Vererber einsetzen, auch wenn die Formrichter diese Tiere völlig begeistert vor die Pokale setzen. Es muss die Reihenfolge Gesundheit, Wesen, Standard eingehalten werden. Bei gefestigter Gesundheit kann man das Exterieur auch wieder in den Vordergrund stellen. Momentan sind wir davon meilenweit entfernt, es werden in diversen Clubs wahre Gesundheitskatastrophen als uneingeschränkte Zuchthunde geduldet. So nutzen auch die neuen Gesetze des § 11 b nichts, wenn die Züchter diese durch schlappe Zuchtordnungen ignorieren können.
Drei verschiedene Bulldogtypen sind sich einig, wenn es ums Bewachen des Hauses geht

Christoph Jung: Was hälst du von neuen Moden wie "blauen" Bullys?

Claudia Fuhrmann: Wer ein blaues Tier haben möchte, sollte sich einen Papageien oder Koi kaufen. Blaue Bulldoggen halte ich für so überflüssig wie schlappohrige Schäferhunde, oder stummelrutige Windhunde.
Ein wesensfester Bulldog lässt sich nicht beirren.

Der Standard sollte schon eingehalten werden, wenn man sich mit der Rassehundezucht beschäftigt, sonst macht Rassehundezucht für mich keinen Sinn. Das gesundheitliche Risiko der Gendefekte kommt noch dazu. Gewissenhafte Züchter spielen Roulette, wenn überhaupt, nur im Casino.

Christoph Jung: Genau, und man holt darüber hinaus ohne Not zusätzliche Probleme für die Zuchtauswahl in die Population. Jetzt muss man auch noch darauf achten, nicht zwei Träger dieses Gendefektes, der die Farbe erzeugt, miteinander zu verpaaren. Kein Züchter oder Halter, dem das Wohl des Bullys am Herzen liegt, würde so ein Problem freiwillig in eine eh schon so gesundheitlich belastete Hunderasse holen. Auch die Käufer solcher "Farben" sollten sich hinsichtlich ihrer Verantwortung für den Tierschutz an die Nase packen.

Christoph Jung: Was können wir tun, damit die Misere in der Zucht endlich ein Ende hat?

Claudia Fuhrmann:
Einfach mit gesunden Hunden züchten, sich mit der Genetik und der Peripherie der Zuchthunde beschäftigen. Kontrolle der Ahnen und Nachzuchten, soweit es möglich ist.

Die Keilwirbelproblematik lässt sich z.B. schon sehr gut verdünnen, daher haben wir die Zuchtzulassung für Hunde von 6 auf 4 Keilwirbel reduziert, um hier wirklich die gefährliche Baustelle „instabile Wirbelsäule“ zu entschärfen. Lähmungen des Rückens lassen sich nicht so hübsch operieren, wie Brachyzephalie!  

Ein quirliger, lebensfroher Bulldog, der sich nicht bewegen kann, ist Qualzucht!

Ein gesundes Skelett ist ebenfalls eine Grundvoraussetzung für ein sorgenfreies Bullyleben.
Atemwegsverlagerungen sollten genauestens kontrolliert werden, Geräusche, egal welcher Art werden nach wie vor von vielen Züchtern noch verharmlost und verniedlicht. Die Zuchthunde auch nach Erwerb der ZTP immer kritisch im Auge behalten. Die Entwicklung der Hunde ist zu diesem Zeitpunkt längst nicht abgeschlossen! Man sollte sich nicht nur blind auf Ausstellungserfolge verlassen, denn der annähernd perfekt auf Schönheit gezüchtete Hund wird den Käufer nicht erfreuen, wenn er nicht funktioniert!

Und wenn trotz sorgfältigster Gesundheitsuntersuchungen kranke Hunde hervorgehen, muss man diese als Chance sehen, weiter zu forschen, die Ursachen zu finden und dies nicht als fürchterliches Unglück sehen. Neugierig bleiben und, wenn der gesunde Zuchthund sich nicht als Top-Vererber herausstellt, mutig genug sein, dem Schatz einen Sofaplatz zu gönnen und sich anderweitig zu orientieren. Austausch unter Züchtern sollte nicht als üble Nachrede missinterpretiert werden, wenn es um Defizite in der Gesundheit geht. Es ist schade um viele gute Züchter mit Liebe zur Rasse und Sachverstand, die aufgrund dessen bereits aufgegeben haben.

Wir müssen die vielgepriesene Wende in der Hundezucht einfach auch wirklich anpacken. Es wurde viel geredet, die Theorie funktioniert perfekt, nun muss auch endlich mal die Praxis folgen. Ich warte darauf… und hoffe noch…
Christoph Jung: Claudia, vielen Dank für deine Ausführungen und uns gemeinsam ein wenig Glück für "Gesunde Bulldoggen".

"It is unbelievable that we need invasive surgery just to repair the basic needs of the dog. Breathing is the most basic need and this is no way acceptable from any ethical point we have today."

Professor Dr. Gerhard Oechtering,
weltweit führender Spezialist in Sachen Brachyzephalie und Atmung bei den Hunden, im BBC-Beitrag "Pedigree Dogs Exposed: Three Years On" vom 27.02.2012


Fotos: Claudia Fuhrmann