Sonntag, 6. November 2011

Epigenetik - Vision oder Wirklichkeit in der Hundezucht?

von Dr. Margrit Miekeley - Kurzfassung -
Was mal aus diesen Welpen an Mutters Milchbar wird,
entscheiden nicht nur ihre Gene, sondern
ganz entscheidend auch ihre Aufzucht und spätere Haltung
(Foto ©Sh.Chuat)
Haben Sie schon mal was von Epigenetik gehört? Wenn nicht, ist es bestimmt keine Bildungslücke, da dieser Wissenschaftszweig der Genetik noch recht jung ist. Als Biologin stellte ich mir vor einiger Zeit die Frage, ob die Inhalte der Epigenetik auch für die Hundezucht relevant sind? Nachfolgend werde ich auf einige eingehen:

Es ist noch nicht lange in der klassischen Genetik bekannt, dass Gene interaktiv von einem zum anderen Chromosom pendeln. Vor zehn Jahren wurde der Aufbau der menschlichen DNA (Doppelhelix) entschlüsselt und nun untersuchen Wissenschaftler ihre Funktion. Erst vor fünf Jahren enträtselten Genetiker ebenso das Hundegenom, was der Humanmedizin neue Möglichkeiten bei der Erforschung von Erbkrankheiten eröffnete (Dog Genome Project).

Die Epigenetik geht bei einer genetischen Disposition für eine bestimmte Erkrankung davon aus, dass die Krankheit bei einem entsprechenden Lebensstil des Betroffenen nicht unbedingt ausbrechen muss.

Denn es wurden Veränderungen im Erbgut gefunden, die in der Lage sind, Gene stumm zu schalten. Diese biochemischen Gen-Anhängsel sind in der Lage, Gene zu steuern, um sie entweder an- oder abzustellen. Ebenso fanden die Forscher heraus, dass durch traumatische Erlebnisse, Vergiftungen,  Belastungen, Hormoneinflüsse und durch das Klima Gene sich nachhaltig verändern können, so dass Krankheiten in Erscheinung treten. Auf diesem Wege entstehen entweder aktivierte Defektgene oder aber Suppressor-Gene werden außer Kraft gesetzt. Das Erstaunliche daran ist, dass diese veränderten Gene sogar an die Nachkommen der Erkrankten vererbt werden.  Darüber hinaus fanden die Forscher heraus, dass traumatische Erlebnisse, die vor oder nach der Geburt stattfanden, das Erbgut ebenso verändern können. Dieses Wissen ist neu und zugleich der Beweis dafür, dass Emotionen eine weitaus größere Bedeutung auf das Erbgut von Lebewesen ausüben als man bisher annahm. Die Epigenetiker erlangten alle diese Erkenntnisse durch Versuche mit Labormäusen, die bei einer veränderten Fütterung nicht nur ihr Aussehen veränderten (Farbe und Gewicht), sondern ebenso die biochemische Struktur ihrer Gene, die an ihre Nachkommen weitergegeben wurde. Diese durch Traumata entstandene Genveränderung konnte bei Menschen (USA, 11. Sept.) ebenso gefunden werden.
Die Modifikation (Stumm- und Aktivschaltung) von Genen
geschieht durch spezielle biochemische "Anhängsel" (Grafik ©Wikipedia)
Wie kann man sich das alles vorstellen?

An den Genen haben sich biochemische "Anhängsel" gebildet, die je nach Aufbau Histonmodifikation, Methylierung (in  Form von Wasserstoffketten) oder Micro-RNA genannt werden. Mit diesem Nachweis hat sich altbekanntes Wissen (Lamarck) bestätigt, dass die Umwelt einen unmittelbaren Einfluss auf Lebewesen ausübt, wobei diese Änderungen zum Fortbestand einer Art beitragen. Krankheit wird demnach nicht mehr als "Faux-Pas der Natur" angesehen, sondern sie gilt als eine Anpassungsmaßnahme zur Selektion einer Spezies. Die Evolution braucht dazu Jahrtausende - doch Zellen können das in Sekundenschnelle:

Die Langerhans`schen Zellen sind bspw. in der Lage, blitzschnell auf einen erhöhten Glukosespiegel im Körper zu reagieren, indem Insulin (als Gegenspieler zum Glukagon) vermehrt ausgeschüttet wird. Ebenso wird die Zellalterung durch epigenetische Vorgänge an den Enden der Gene (in den  Telomeren) gesteuert. Vergleicht man die Genetik mit einem Computer, würden die Chromosomen und Gene zur Hardware gehören und die Epigenetik mit ihren biochemischen "Gen-Anhängseln" wäre die Software für die Programmierung der Gene.

Nun soll der Frage nachgegangen werden, welche Faktoren sind bei der Aufzucht und Haltung von Hunden nach epigenetischen Gesichtspunkten von Bedeutung?

An erster Stelle steht hier die Ernährung von Lebewesen. Sie hat mehr Einfluss auf Mensch und Tier als man bisher annahm. Ein Beispiel dafür führen uns die Bienen im Tierreich vor. Durch den unterschiedlichen Gehalt der Nahrung an Proteinen, die diese Insekten ihren Larven verabreichen, wird die zukünftige Aufgabe im Bienenstaat bereits im Larvenstadium festgelegt. Einige Epigenetiker konnten nachweisen, dass "Dynactin" als Inhibitor im Gelée Royale vorhanden ist, der gezielt Königinnen durch die Aktivierung spezieller Gene entstehen lässt.

Deshalb kann man sich gut vorstellen, dass ebenfalls die Möglichkeit besteht, dass einige der heute üblichen Nahrungsergänzungen, wie bspw. Konservierungsstoffe, Geschmacksverstärker, synthetische Vitamine, Farb- und Duftstoffe, Antibiotika, Insektizide, Pestizide, Hormone, etc. bei der  Steuerung der Gene eine Rolle spielen könnten. Auf diesen neuen Erkenntnissen basierend ist die Pharmakologie nun dabei, Medikamente zu entwickeln, die gezielt auf spezifische Gene, die für das Entstehen von Krebs- und Herzerkrankungen verantwortlich sind, einzuwirken. Diese Medikamente sollen Gene entweder stumm oder aktiv schalten (Tumor-Suppressor-Gene), um  entartetes Zellwachstum zu verhindern oder zu stoppen.

Auch Hundehalter sollten darauf achten, dass das Hundefutter möglichst frei von den oben genannten Ergänzungsmitteln ist und dass es frische natürliche Vitamine und Mineralien enthält. Es ist ganz wichtig, dass die Mitochondrien in den Zellen, die eine eigene Erbsubstanz (mtDNA) besitzen, leistungsfähig bleiben, damit  ausreichend Energie (in Form von ATP) zur aeroben Zellatmung vorhanden ist. Nur so ist eine angepasste Zellteilung gewährleistet.
Das Mitochondrium mit eigener DNA (mtDNA) versorgt die Zelle mit Energie
(Grafik ©Wikimedia)
Die Epigenetik misst der gesunden Ernährung/Fütterung nicht nur eine besondere Bedeutung zu, sondern sie sieht in den natürlichen Farbstoffen (Pigmenten), die sich in der Nahrung/in dem Futter befinden, eine direkte Verbindung zur Gesundheit. Die Betonung liegt aber auf "natürlich". Ein Hundefutter sollte pigmentreich sein und Carotinoide (Möhren und Eidotter), Chlorophyll (Algen, Gemüse und Kräuter), Resveratrol, Antocyane, Lutein, Lycopen, etc. (Obst, Beeren, Omega-3-Öle) enthalten. Farbstoffe fördern nicht nur die Pigmentbildung im Körper eines Hundes, sondern sie stellen den Regulationsmechanismus für einen intakten und gut funktionierenden Hormonhaushalt dar, der Drüsen und lebenswichtige Organe leistungsfähig erhält - und das bis ins hohe Alter hinein. Bei diesen Hunden, die einen ausreichend hohen Pigmentanteil im Phänotyp vorweisen und damit offensichtlich einen ausgewogenen Hormonhaushalt besitzen, geht es erst mal nicht allein um die Einhaltung eines Rassestandards oder um die Bewertung von Äußerlichkeiten auf Hundeschauen, sondern vielmehr um die Gesunderhaltung eines Hundes und letztendlich um den Erhalt einer Rasse. Beim Hund kommen die  Pigmentfarbstoffe Eumelanin (Schwarz) und Phäomelanin (Rot) vor. Aus den vorgenannten gesundheitlichen Gründen ist es begrüßenswert, dass es Züchter gibt, die auf einen ausreichenden Pigmentanteil im Erscheinungsbild ihrer Zuchthunde achten (Lefzen, Nasenspiegel, Krallen, Haut). Auf keinen Fall kann der willkürliche Anteil der Farbe Weiß im Hundefell einer Rasse (Azawakh) als Pigmentverlust angesehen werden. Beim völligen Fehlen von Pigment (Albinismus) liegt sehr oft eine polygene, pathologische Verbindung zu Erkrankungen im neuronalen System vor. Es versteht sich von selbst, dass mit diesen Hunden nicht gezüchtet werden darf. Wenn Hunde Störungen im Pigmenthaushalt vorweisen, kann das ein erstes Zeichen für beginnende immunologisch und hormonell veränderte Vorgänge sein.
Eine hellcremefarbene Saluki-Hündin mit hervorragendem
Pigment in allen erwünschten Bereichen (Foto ©M.Miekeley)
Von epigenetisch großer Bedeutung ist die erste Lebensphase der Welpen. In dieser Zeit sollte besonders auf liebevolle Haltungsbedingungen geachtet werden. Dass der Grad der Fürsorge sich auf das spätere Verhalten der Zöglinge sozial positiv auswirkt, ist schon seit langem in der Pädagogik bekannt, doch spätestens seit der Reformpädagogik. Wenn nun durch epigenetische Forschungsergebnisse eine direkte "Brücke zwischen biologischen und sozialen Prozessen geschlagen werden kann", wie der Epigenetiker Moshe Szyf (2008) schreibt, dann übernehmen Züchter ein großes Maß an Verantwortung für das spätere Verhalten und damit für das Schicksal ihrer gezüchteten Hunde. Denn alle Erfahrungen, die ein Welpe in den ersten Lebensmonaten und auch schon vor der Geburt macht, prägen sich nicht nur für ein Leben lang bei ihm ein, sondern sie werden ebenfalls an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Besonders das Gefühl der Geborgenheit, das der Welpe bei der Mutterhündin und auch im gesamten Hunderudel erfährt, übernimmt einen prägenden Einfluss auf das spätere Verhalten des Hundes. Traumatische Erlebnisse in jeder Form sind deshalb für die Welpen zu vermeiden. Eine Zucht mit schwer traumatisierten Hunden lehnt die Epigenetik ab. Aus tierzüchterischen Gründen muss der Handel mit Hunden (Puppy Mill) verboten sein.
Fürsorge und Geborgenheit geben dem Welpen
alle Voraussetzungen für einen optimalen Start ins Leben
(Foto ©M.Lehtonen)
Ebenso sollten Zuchthunde ausreichend bewegt werden. Die Bewegung dient der Gesunderhaltung sowie einer Überprüfung der körperlichen Fitness. Eine Leistungsüberprüfung, gerade bei der Zucht von Hetzhunden, müsste vor der Ankörung obligatorisch erfolgen, weil dadurch das Zuchtziel "Schönheit und Leistung" ausgewogen realisiert wird. Nur so kann, nämlich durch die Vermeidung einer einseitigen Ausrichtung, der erwünschte Phänotyp (Standard) erhalten bleiben. Es versteht sich von selbst, dass mit diesem Anliegen das Championat für S&L einen hohen züchterischen Stellenwert einnimmt und entsprechend zu honorieren ist.

Welche Faktoren legen die Basis, dass epigenetische Abläufe wenig optimal  vonstatten gehen können?

Hier steht die Inzucht (Verpaarung von Verwandten) bei Hunden an erster Stelle! Sie stellt eine altbekannte und bewährte Methode in der Tierzucht dar, dass erwünschte Merkmale in einer Linie sich manifestieren. Jedoch bei einem zu lange währenden Ahnenverlust, treten immer mehr rezessive Gene dominant in Erscheinung. Ebenso wird das Hundegenom in wichtigen Bereichen immer homozygoter. Das bedeutet, dass immer mehr Gene, die einstmals polygen mit Aussehen und Gesundheit in Verbindung standen, nicht mehr vorhanden sind (Genverarmung). Hier sind die Züchter von Rassehunden gefragt, dass sie die Deckrüden für ihre Hündinnen nicht nach der Anzahl der erreichten Titel aussuchen, die dann auch noch aus  verwandten Linien stammen. Vorrangig sollte das Zuchtziel der genetischen Vielfalt im Major Histocompabilitäts Complex (MHC) verfolgt werden, weil dieser Bereich im Hundegenom für das Immunsystem von großer Bedeutung ist. Diese Gene müssen heterozygot (mischerbig) vorhanden sein, damit sie sich flexibel auf veränderte Umweltbedingungen einstellen können. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass diese genetische Vielfalt bei unseren Windhundrassen nicht dadurch realisiert wird, indem verschiedene Rassen untereinander gekreuzt werden! Das ist eine Methode, die Rasse und ihre geschätzten Eigenarten zu eliminieren. Dieses Vorgehen kann nach meiner Einschätzung nur die absolute Ausnahme in einem außerordentlichen Notfall sein, bspw. bei einer sehr kleinen Population mit einem außergewöhnlich hohen Inzucht-Quotienten. Grundsätzlich muss der genetische Ist-Zustand einer Rasse/Linie zuerst einmal ermittelt und danach von Experten evaluiert werden. Eine gezielte Auswahl des Zuchtpartners nach obigen Kriterien (bspw. S&L sowie genetischer Vielfalt) ist zukünftig von besonderer Tragweite für die gesamte Rassehundezucht. Wie ich weiß, besteht an einigen Laboratorien, die Universitäten angeschlossen sind, bereits die Möglichkeit, dass DNA-Analysen (auf eine DLA-Übereinstimmung) stattfinden, um die Struktur der Zuchtpartner in diesem genetischen Bereich vergleichend  zu untersuchen. DLA bedeutet Dog Leukocyte Antigen.

Warum ist es so wichtig, dass gerade im Hundegenom und zwar speziell im MHC-Komplex eine hohe genetische Variabilität vorliegt?

Diese speziellen MHC-Gene im Hundegenom haben nicht nur die Aufgabe, sich auf veränderte Umweltbedingungen einzustellen, was sie nur bei einer Heterozygosität (Variabilität) können, sondern sie halten das Abwehrsystem eines Organismus funktionstüchtig. Damit reagieren sie sofort auf Eindringlinge (Pilze, Bakterien, Viren). Das bedeutet, dass die Anzahl der Granulozyten (Phagozyten=Fresszellen) sich adäquat erhöht. Wenn das Immunsystem jedoch durch Homozygotierung der MHC-Gene (besonders durch Inzucht) nicht mehr dazu in der Lage ist, dann werden Eindringlinge nicht mehr erkannt, und es stellen sich beim Hund immer mehr Krankheiten ein, die auf ein geschwächtes Immunsystem hinweisen.
Bewegung beim Freilauf hält fit und bedeutet
für meinen Saluki-Rüden Lebensfreude pur
(Foto ©M.Miekeley)
Es ist demzufolge auf lange Sicht gesehen unerlässlich, dass bei  Rassehunden ein Zuchtprogramm zur gesundheitlichen Qualitätssicherung aufgestellt wird, so dass man auch Trägern von Erbkrankheiten kennt sowie Defektgene ermittelt und Marker für genetische Erkrankungen entwickelt. Das kann allerdings nur durch die Bereitschaft der Züchter/Halter geschehen, die Blutproben ihrer Hunde zur Verfügung stellen. Beim konsequenten Verfolgen dieser Vorgehensweise ist es dann möglich, Träger von Erbkrankheiten mit gesunden Hunden zu verpaaren, das wiederum der genetischen Vielfalt einer Rasse zugute kommt. Selbstverständlich muss das Procedere vom Verband mit Experten sorgfältig geplant und organisiert werden. Doch bis dahin sind grundsätzlich Outcross-Verpaarungen und Deckeinsätze mit alten Rüden, die einen höheren Zuchtwert als junge darstellen, zu favorisieren.

Bei dem Verfolgen dieses Ansinnens (eine hohe genetische Vielfalt im Hundegenom) ist es geradezu selbstverständlich, dass Deckeinsätze von ein und dem selben Rüden (Superrüden) eingeschränkt werden. Das verlangt eine allgemeine Limitierung des Deckeinsatzes, um eine unnötige weitere Homogenisierung der gesamten Population zu verhindern.

Wie lassen sich alle diese Ansprüche grundsätzlich realisieren?

Es muss zuerst einmal ein Umdenken stattfinden, was Krankheit bedeutet! Anschließend sollte die Notwendigkeit erkannt werden zu handeln. Krankheit kann auch eine Chance sein, weil sie uns Menschen Möglichkeiten aufzeigt, gemeinsam neue Wege zu beschreiten. Sie ist aber auf keinen Fall ein Grund zur Diffamierung, weil jeder davon betroffen werden kann. Deshalb bietet sie uns eine Möglichkeit, zum Wohle unseres besten Freundes zusammen zu arbeiten. Packen wir es also an!

Text   © Dr. Margrit Miekeley im Oktober 2010
Fotos © siehe Hinweise

www.meinewindhunde.de
Miekeley@aol.com

Hinweis:

Eine detaillierte Literaturliste befindet sich unter dem vollständigen Artikel mit gleichem Titel.
 
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