Montag, 16. Dezember 2013

Soziales Lernen - Wölfe und Menschen

Wölfen sind die Fähigkeit und das Interesse bereits angeboren, Artgenossen aber auch Menschen zu beobachten und von ihnen zu lernen. Die Verhaltensforscherinnen Friederike Range und Zsófia Virányi von der Uni Wien und dem "Wolf Science Center" haben am 3.12.2013 eine Untersuchung veröffentlicht, die das Verhalten von Wolfswelpen und Hunden in Bezug auf Menschen beobachtet.

Wölfe lernen vom Menschen

Dass Hunde hervorragende Beobachter des Menschen sind und solche Beobachtungen auch für ihr Verhalten nutzen, kennt jeder aufmerksame Hundehalter. Dieses Verhalten des Hundes ist inzwischen auch wissenschaftlich umfangreich nachgewiesen. Es ist ihnen bereits in die Wiege gelegt. Range und Virányi zeigen nun, dass auch bei Wolfswelpen eine solche Anlage ausgeprägt ist. Sie weisen nach, dass Wolfswelpen einen Menschen (wie auch Artgenossen) beim Verstecken von Futter aufmerksam beobachten. Und nicht nur das: Sie lassen sich dann von dieser Erkenntnis bei der eigenen Suche nach Futter leiten. Statt der eigenen, bekanntlich ganz hervorragenden Nase nachzugehen, vertrauen sie auf ihre Erkenntnisse durch Beobachtung des Menschen. Dort wo ein Mensch Futter versteckt, wird zuerst gesucht - und zwar mit doppelter bis vierfacher Wahrscheinlichkeit als bei einer eigenständigen Suche ohne vorher einen Menschen beobachtet zu haben. Ein ähnlicher Effekt war bei der Beobachtung eines Hundes festzustellen, wenn auch abgeschwächt. Interessierte sich ein Hund für ein Versteck, so auch die beobachtenden Wolfswelpen und umgekehrt. Diese und weitere Ergebnisse sind in der bei "Frontiers in Psychology" veröffentlichten Studie "Social learning from humans or conspecifics: differences and similarities between wolves and dogs" nachzulesen.
Bereits nachgewiesen: Hunde verstehen Fingerzeige des Menschen sofort.
Hier eine Studie beim MPI in Leipzig, Foto © MPI für evolutionäre Anthropologie
Der Nachweis des sozialen Lernens vom Menschen auch bei Wölfen durch die beiden Verhaltensforscherinnen hat weitreichende Bedeutung für das Verständnis der Mensch-Hund-Beziehung. Range und Virányi deuten dies selbst an. Haben Wölfe die Fähigkeit und das Interesse, Menschen zu beobachten und daraus für das eigene Verhalten zu lernen, so kann das als Hinweis auf eine Domestikation des Wolfes zum Hund als gegenseitiger Prozess von Wolf und Mensch gewertet werden. Domestikation als interaktiver Prozess und nicht primär oder alleine durch menschliche Selektion.

Ein grundlegend neues Verständnis der Mensch-Hund-Beziehung ist gefragt!

Die Vorstellung vom Menschen als alleinigem Schöpfer des Hundes, als demjenigen, der den wilden Wolf bändigte, wird immer mehr infrage gestellt. Das anthropozentrische Bild des Homo sapiens, der sich eines armen Wolfswelpen erbarmte oder das Bild des Hundes als kommesialistischer Müllverwerters, der per menschlicher Selektion zahm wurde, lässt sich kaum mehr aufrecht erhalten. Es stellt sich sowieso die Frage, Wie und Warum ein direkter Nahrungskonkurrent und zumal einer, der dem Steinzeitmenschen gefährlich werden konnte, zum ersten Haustier und zugleich zu dem Tier werden konnte, das die engste und innigste Verbindung zum Menschen entwickelt und vice versa. Diese Entwicklung lässt eine tiefergehende Beziehung vermuten. Die Wirkung auf den Wolf ist bekannt und leicht erkennbar. Aus ihm wurde der Hund. Aber der Autor unterstellt zugleich eine noch nicht erforschte aber wahrscheinliche Wirkung auf die Evolution des Menschen und diese weitergehend als nur durch die bekannten Funktionen des Hundes zum Beispiel als Jagdhelfer.

Co-Evolution von Mensch und Hund?

Auf Petwatch wurde kürzlich eine Studie vorgestellt, die die ersten Anfänge des Hundes auf vor 33.000 Jahren datiert. Das war noch in der Altsteinzeit und sogar noch vor dem letzten eiszeitlichen Maximum (LGM). Erst mehr als 20.000 (!) Jahre später wurde das nächste Tier domestiziert, Schaf und Ziege. Der Autor hat bereits im "Schwarzbuch Hund" darauf hingewiesen, dass die Hundwerdung ein gegenseitiger Prozess von Mensch und Wolf resp. Hund gewesen sein MUSS. "Wir müssen uns jedenfalls von der selbstgefälligen Sicht des den Hund erschaffenden Menschen verabschieden. Der Mensch war nicht der Schöpfer des Hundes. Nicht der Mensch alleine hat den Wolf zum Hund gemacht. Wir sollten uns ebenso mit dem Gedanken vertraut machen, dass wir dem Hund einiges hinsichtlich unserer eigenen Erschaffung zu verdanken haben. Es ist wert, dem Gedanken einmal ganz nüchtern und bescheiden nachzugehen, ob und wenn ja wie weit der Hund Anteil am Siegeszug unserer Vorfahren hatte." (Schwarzbuch Hund - Die Menschen und ihr bester Freund, 2009)
Partnerschaft leben

Zusammen mit der Neurologin Daniela Pörtl hat der Autor 2012 ein neurobiologisch begründetes Modell entwickelt, das die Entstehung und Wirkungsweise der Mensch-Hund-Beziehung erklären kann. Die experimentell fundierten Erkenntnisse von Range und Virányi bestätigen den Ansatz, dass die Hundwerdung ein wechselseitiger Prozess gewesen sein könnte. Wir sollten davon ausgehen, dass wir dem Hund viel mehr zu verdanken haben. Wir sollten den Hund viel mehr als Partner sehen und behandeln und vor allem respektieren, statt lediglich als Objekt, sei es für Konsum und Profit, als Sportgerät oder armes Geschöpf, dem sich der (selbstgerechte, deutsche Tierschutz-) Mensch erbarmen muss.

Ein Artikel von Christoph Jung




 
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