Freitag, 16. Mai 2014

Zur Orientierung des Hundes auf den Menschen

Es ist immer wieder erstaunlich, wie fein und vielfältig Hunde menschliche Signale verstehen. In der Kommunikation unterscheiden wir grundsätzlich verbale und non-verbale. In der verbalen Kommunikation sind wir Menschen sehr gewandt. Wir sprechen, schreiben und lesen ausgiebig und intensiv. Das kann keine andere Spezies auch nur annähernd.

Hunde verstehen Menschen so gut wie keine andere Spezies

Allerdings verstehen Hunde die Sprache der Menschen durchaus in gewissem Umfang. Hundehalter machen nicht selten die Erfahrung, dass bestimmte Worte von ihren Hunden augenscheinlich verstanden werden, selbst wenn diese nicht direkt an den Hund gerichtet und ohne besondere Betonung sind. So kriegen Hunde mit, wenn sich Herrchen und Frauchen untereinander zu einem bevorstehenden "Gassi-Gehen" abstimmen. Es gibt inzwischen etliche wissenschaftlich fundierte Nachweise für das Verstehen von Sprachelementen durch Hunde. Besondere Experten unter den Hunden (in der Regel Border Collies) können mehr als 200 Begriffe aus unserer Sprache unterscheiden und sogar selbständig erschließen (fast mapping). Ihr Niveau erreicht das von Kleinkindern. Diese Fähigkeit ist bei Hunden besser ausgeprägt als bei jeder anderen Spezies neben dem Menschen. Selbst unsere nächsten Verwandten wie Schimpanse und Bonobo werden von Hunden in den Schatten gestellt. Hier ein ausführliches Video des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie Leipzig (MPI) zu diesem Themenbereich (mit freundlicher Genehmigung des MPI):


In der non-verbalen Kommunikation stellt sich das noch ausgeprägter dar. Da kann man den Eindruck gewinnen, Hunde kennen zuweilen unsere Kommunikationswelten besser, als wir Menschen untereinander. In den letzten 10 Jahren hat sich die Forschung auch diesem Thema zunehmend gewidmet. Hunde verstehen Zeigegesten, Hunde lesen die Blickrichtung unserer Augen - und sie handeln nach diesen Informationen. Solche recht plakativen Methoden non-verbaler Kommunikation verstehen Menschen untereinander ebenfalls problemlos.

Im Experiment wissen die Hunde, dass sich in einer Schachtel etwas zu fressen befindet, aber nicht, in welcher.
Sie folgen nun der menschlichen Stimme, um die Nahrung zu finden.
(Mit freundlicher Genehmigung von © MPI für evolutionäre Anthropologie)
Forscher des MPI haben nun herausgefunden, dass Hunde sogar non-verbale Signale des Menschen verstehen, die selbst wir Menschen kaum einmal registrieren. Hunde verstehen und interpretieren zum Beispiel die Richtung, in die wir sprechen.

Hunde verstehen die Sprechrichtung eines Menschen

"Dazu ließen sie erwachsene Hunde und Welpen zwischen zwei identischen Schachteln wählen, von denen aber nur eine Futter enthielt. Hinter einer Barriere und für den Hund nicht sichtbar befand sich die Studienleiterin, die in Richtung der Schachtel mit dem Futter blickend verbal ihre Freude zum Ausdruck brachte. Die meisten Hunde und sozialisierten Welpen konnten die richtige Futterquelle anhand der akustischen Hinweise erfolgreich identifizieren; einige Welpen schnitten sogar besser ab als die erwachsenen Tiere." Die Verhaltensbiologen um Federico Rossano kommen zu dem Schluss: "Hunde verlassen sich also nicht nur auf visuelle Hinweise, sondern kombinieren verschiedene kommunikative Signale des Menschen miteinander." (Mitteilung MPI)

Hier zwei Videos von dieser Untersuchung des MPI:


(Mit freundlicher Genehmigung von © MPI für evolutionäre Anthropologie)

Es stellte sich nun die Frage, ob diese Fähigkeit den Hunden angeboren ist oder erst im Zusammenspiel mit dem Menschen erlernt wurde. "Auch die Welpen nutzten die Sprechrichtung des Menschen und fanden die Futterquelle", sagt Untersuchungsleiter Federico Rossano. "Interessanterweise schnitten die bereits sozialisierten Welpen besser ab als die erwachsenen Hunde. Welpen mit wenig Kontakt zum Menschen wählten hingegen scheinbar zufällig die richtige oder falsche Schachtel."  (Mitteilung MPI)

Kommunikationsfähigkeit und Sozialisation

Die Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass Hunde und bereits Welpen verschiedene kommunikative Hinweise des Menschen - oder eine Kombination dieser Hinweise - flexibel nutzen, um Futter aufzuspüren. Sobald sie in Kontakt mit Menschen kommen, lernen sie diese Fähigkeit schnell. "Hunde, die dem Menschen gegenüber besonders aufmerksam waren, wurden möglicherweise als Haustiere bevorzugt", sagt Rossano. "Diese sozialen Fähigkeiten könnten sich im genetischen Bauplan der Hunde manifestiert haben."  (Mitteilung MPI)

Bedeutung der Epigenetik

Über die klassischen genetischen Mechanismen wie Selektion und Mutation hinaus werden sehr wahrscheinlich epigenetische wirken. Mit Epigenetik wird beschrieben, wie die im Genom liegenden Informationen aktiviert oder deaktiviert werden. Per Epigenetik können Erfahrungen des Individuums, wie hier des Hundewelpens, aber auch solche seiner Eltern und sogar Großeltern auf die Gen-Ausprägung des wachsenden Hundes wirken. So wird gesteuert, welche Teile des genetischen Bauplans tatsächlich ausgeführt werden. Sind die Eltern des Hundes bereits seit Generationen auf den Menschen sozialisiert, so werden epigenetisch diejenigen Schalter im genetischen Bauplan verstärkt aktiviert, die den Bezug zum Menschen ermöglichen. So können bereits Welpen zu solch erstaunlichen Kommunikationsleistungen wie im Rossano-Versuch in der Lage sein.

Drei Fundamente der Sozialisation des Hundes in der menschlichen Gesellschaft

Man kann sagen, dass die Orientierung des Hundes auf den Menschen und dessen soziale Strukturen dreifach fundiert sind.

  • Zum einen das genetische Fundament. Hunde haben ein gegenüber Stammvater Wolf bereits deutlich verändertes Genom. 
  • Zum zweiten die Sozialisation. Deren Bedeutung kennt jeder seriöse Hundehalter und vor allem seriöse Züchter. Eine gute Sozialisation von der Welpenstube an ist der beste Start für ein erfolgreiches Meistern der komplexen Anforderungen des Lebens in der menschlichen Gesellschaft heute. 
  • Mit beidem eng verknüpft ist das dritte Fundament, die epigenetische Einstellung des Hundes. Diese kann bereits bei den Großeltern und Eltern des Welpen anfangen. Werden diese zum Beispiel in irgendwelchen Hinterhöfen oder Massenzuchtanlagen gehalten, so können die hieraus stammenden Welpen keine optimale Aktivierung des genetischen Fundaments für eine erfolgreiche Sozialisation haben.


(Foto: Christoph Jung)
Die aktuelle Untersuchung des MPI zeigt einmal mehr, wie fein und komplex der Hund auf den Menschen ausgerichtet ist. Sie zeigt einmal mehr, welches Leid wir Menschen mitten in Europa unseren Hunden durch die offensichtlichen Missstände in der Zucht, den leider immer noch legalen Hundehandel, durch staatliche Restriktionen wie großflächige Freilaufverbote oder Rasselisten und so manche Haltungsbedingungen bei Herrchen und Frauchen antun.

Ein Beitrag von Christoph Jung

 
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