Freitag, 1. Dezember 2017

10 Jahre Petwatch

Vor 10 Jahren, im November 2007 ging der Petwatch-Blog erstmals online. Seither erschienen hier knapp 300 Artikel überwiegend zum Verhältnis von Mensch und Hund. Petwatch ging 2007 aus den Erfahrungen hervor, die ich - gezwungenermaßen - mit dem englischen Bulldog machen musste. Weitere 10 Jahre zuvor, 1997, hatte ich www.Bulldogge.de online gestellt. Sie war damals die vielleicht erste deutschsprachige Hundewebsite überhaupt. Als ich Mitte der 1990er Jahre meinen Willi bekam, ahnte ich nicht im Geringsten, in welches Wespennest ich stechen sollte.
Christoph Jung mit Bulldog Willi
Traum und Alptraum

Willi erfüllte meinen seit frühester Jugend gehegten Traum eines "eigenen" Bulldogs. Mit einem Boxer aufgewachsen, hatte ich als Kleinkind Bulldogs kennengelernt. Seither war ich in das derbe wie charmante Wesen dieser charaktervollen Vierbeiner verliebt.

Angesichts der ständigen Wehwehchen meines geliebten Willis, sagte ich mir zunächst, "da hast du Pech gehabt." Je mehr ich aber andere Bulldogs kennenlernen sollte, desto gesünder wurde Willi - aber leider nur relativ. Willi als Freund war ein Traum, das ständige Bangen um seine Gesundheit ein Alptraum. Mir schwante langsam, welches Elend und welche Niedertracht sich in der Bulldogzucht-Szene auftun sollten. Mit der Zeit erkannte ich, dass es bei einigen weiteren Hunderassen und besonders im riesigen Bereich des Hundehandels und seiner industriellen Hundeproduktion keineswegs besser aussah. Dazu konnte und wollte ich nicht schweigen. So entstanden zum Beispiel das Schwarzbuch Hund, der Dortmunder Appell für eine Wende in der Hundezucht und dieser Petwatch-Blog.
Christoph Jung mit Boxer Asso
Eine Wende gibt es nicht

Eine Wende in der Hundezucht mit Blick auf die Abschaffung von Qualzucht und vollen Tierheimen wurde bisher nicht erreicht. Rein ökonomisch gibt es auch kein Interesse an einer solchen Wende. Alle wirtschaftlichen Akteure im 5-Milliarden-Hundemarkt verdienen unter den heutigen Verhältnissen besser als sie es nach einer grundlegenden Reform im Interesse des Wohls und der Gesundheit der Hunde (oder Katzen, Meerschweinchen, Hamster) würden. Besonders die überaus mächtige Agrar- und Nahrungsmittellobby hat keinerlei Interesse an der Etablierung wirksamer Tierschutzgesetze. Die meisten Hersteller von Hundefutter, die uns in Hochglanz vormachen wollen, alles für das Wohl unserer Lieblinge zu tun, sind real Teil dieser tierfeindlichen Agrar- und Nahrungsmittellobby.

Das Interesse der Wirtschaft an der Masse Hund

Jeder Hund ist ein Verbraucher. Höhere Standards verkleinern nur den Markt und damit die Profite von Industrie und Handel und auch die Umsätze der Veterinäre. Zudem werden höhere Tierschutzstandards mit Blick auf die industrielle Massentierhaltung abgelehnt. Die Wirtschaft hat ein Interesse an möglichst vielen Hunden ob sie nun aus einer Tötungsstation in Spanien, von der Straße in Rumänien, einer Plattenbaubude in Halle-Neustadt oder industriellen Produktionsstätte in Ungarn stammen. Nachvollziehbare, kontrollierte Zucht, höhere Zuchtstandards erhöhen nur die Preise, lassen die Tierheime leer werden und die Welpenverkäufe sinken. Körperlich und mental gesunde Hunde brauchen nur selten den Tierarzt, brauchen keinen Hundepsychologen und auch nicht das besonders teure Hightech-Diät-Futter.
Mops Gruppe 1915 (aus Brehms Tierleben)
Chow-Chow 1915 (aus Brehms Tierleben)
Wir Hundeverbraucher tragen Verantwortung

Es wäre aber allzu bequem, die ganze Verantwortung auf die Lobbys in Berlin und Brüssel abzuschieben. Wir Hundeverbraucher tragen entscheidend mit Verantwortung. Gäbe es keinen Markt für "billige", sofort lieferbare Rasse- und Mischlingshunde, so könnten die industriellen Hundeproduzenten und deren Händler keine Geschäfte machen. Gäbe es keinen Markt für die bekanntermaßen übertypisierten, krankgezüchteten Möpse, Bullys oder Bulldogs, auf deren Qualzuchtprobleme überall im Web unübersehbar hingewiesen wird - so gäbe es auch dieses Elend nicht. Dabei liegt das Elend nicht nur bei den gekauften Hunden, die etwa zeitlebens an Atemnot oder Hautirritationen leiden.

Das Elend der Zuchthündinnen

Das Elend liegt zuerst bei den Hündinnen in der Produktion in ehemaligen Schweinemastanlagen oder bei Hinterhof-/Plattenbau-Hobby"züchtern". Diese werden in ihrem erbärmlichen Leben in dunklen Verschlägen im wahrsten Sinne des Wortes ausgebeutet und wenn nicht mehr produktionstauglich mit 6 Jahren mit einem Knüppel erschlagen oder - wenn sie noch "Glück" haben - von einem Tier"arzt" euthanasiert. Das ist in der EU legal und Alltagspraxis, auch in  Deutschland. Doch erst mit unserem Geld werden die tierquälerischen Realitäten ermöglicht! Sich hier naiv stellen, man wisse nichts von Qualzucht, Papiere brauche man eh nicht oder "ein Mops muss halt röcheln", zählt nicht. Die Hinweise auf Qualzucht, Hundehandel und das damit verbundene Elend für die Hunde sind nicht zu übersehen! Trotzdem erleben gerade die Plattnasen seit Jahren einen Boom.

Industrielle Hundeproduktion boomt

In der Produktion von Hunden hat sich real nichts zum Positiven verändert. Im Gegenteil hat sich der Druck und der Marktanteil der industriellen Hundeanbieter immer weiter erhöht. Deren Markt boomt dank uns Tier- und Hundefreunden. Und die Deutschen dünken sich ja gerne als die Obertierschützer der Welt. Die Geiz-ist-geil Hundekäufer, die sich ihren Welpen gerne am Laptop auf dem Sofa von zuhause aus bestellen, werden immer mehr. Das ergab eine aktuelle Studie aus Dänemark. Man will sich nicht mehr die Mühe machen, ein paar hundert Kilometer zu verschiedenen Züchtern zu fahren und sich vor Ort kundig zu machen. Und man will erst recht nicht Monate auf seinen Welpen warten müssen. Sofort und billig ist das Motto. Der Anteil der aus VDH-Zucht stammenden Hunde ist inzwischen unter 30% gesunken. Wir wissen, dass sich die angeblich einzig kontrollierte Zucht unter dem Dach des VDHs zuweilen kaum von jener in irgendwelchen Billigproduktionen unterscheidet. Ja sogar skandalöse Verhältnisse wie beim Dobermann werden zumindest toleriert.
Deutscher Boxer 1915 (aus Brehms Tierleben)
Deutscher Schäferhund wie ihn Rassegründer Rittmeister von Stephanitz wollte
(1915 aus Brems Tierleben)
"Kontrollierte Zucht"

Meiner Einschätzung nach kann man aber die meisten Zuchtvereine unter dem Dach des VDHs als seriös bezeichnen, die nach den Regeln der Kunst der Hundezucht arbeiten. Bei vielen Hunderassen, namentlich bei Jagdhunden, aber nicht nur dort, gibt es von Grundsatz her nichts auszusetzen. Hier werden in jeder Hinsicht gesunde Hunde gezüchtet. Hier wird eine gute züchterische Arbeit geleistet! In der Zucht außerhalb des VDHs gibt es ebenfalls vereinzelt Züchter und Zuchtvereine, die eine gute Arbeit leisten. Im Großen und Ganzen aber ist die Zucht außerhalb des VDHs unter Tierschutzaspekten abzulehnen, der Hundehandel allemal. Viele der Hundezuchtverbände neben dem VDH kann man als bequeme Dienstleistungsunternehmen für Hundeproduzenten kennzeichnen, deren Aufgabe es lediglich ist, Papiere, Stammbäume und Championate bereitzustellen, also letztlich dem Welpenkäufer ein solides Produkt vorzugaukeln.
Zucht ohne Regeln

Mehrfach machte ich aus erster Hand Erfahrung mit Versuchen, in einem Zuchtverein höhere Zuchtstandards zu etablieren. Das schlug immer fehl, schlicht da sich die meisten Züchterinnen und Züchter kurzerhand verabschiedeten und Vereinen anschlossen, die keine so strenge Zuchtordnung hatten. Hinzu kommt, dass die Käuferschaft in der Regel höhere Zuchtstandards nicht honoriert. Da ist auch die Macht des VDHs am Ende. Würde er die exakte Umsetzung seines eigenen Regelwerkes durchsetzen, so würden sich bei den Problemrassen massenhaft Züchter verabschieden. Den Rest übernimmt die EU-weite Massenproduktion ohne mit der Wimper zu zucken. In der EU ist die Größe eines Apfels exakt reguliert, die Krümmung einer Gurke genormt, nur ganz bestimmte Sorten an Tomaten zugelassen. Der Handelsweg muss penibel dokumentiert sein, wenn die Kartoffel schließlich beim Discounter im Regal liegt. Alles voll mit Zulassungen, Normen, Vorschriften, Dokumentationen, Kontrollen. Die Hunde- und Heimtierzucht ist ein weißer Fleck auf der ansonsten dicht beschriebenen Regularienkarte Brüssels. Es gibt ein paar Vorschriften zu Rahmenbedingungen (Transport, Zwingergrößen) ansonsten jedoch keinerlei Regelwerk weder zu Zucht noch zum EU-weiten Hundehandel. In der EU fehlen jegliche gesetzliche Rahmenbedingungen unmittelbar für die Hundezucht (wie auch für andere Heimtiere). Es gibt keinerlei Zulassungsbedingungen, Kontrollen, Mindeststandards für die Zucht. Züchten darf jede und jeder. Dasselbe gilt für das Betreiben eines Zuchtverbandes, das Ausgeben von "Papieren" oder Championaten. Das deutsche Tierschutzgesetz zeigt sich seit bald 20 Jahren als annähernd wirkungslos. Dass das kein Zufall ist, sehen wir an der oben beschriebenen Interessenlage.

Gesetzliche Rahmenbedingungen für das Wohl der Hunde

Gesetzliche Rahmenbedingungen sind der einzig realistische Weg, Qualzucht nachhaltig zu unterbinden, das Elend in den Produktionsstätten zu beenden, nebenbei die Tierheime zu entlasten und eine Wende im Interesse des Wohls und der Gesundheit unseres besten Freundes durchzusetzen. Leider kenne ich keine Partei, die ernsthaft bemüht wäre, einen solchen Weg voranzutreiben. Die etablierten Parteien sind zu eng mit den mächtigen Lobbys verflochten. Sie reden lediglich von Tierschutz. Wir Hundefreunde müssen Druck machen! Doch leider gibt es im Bewusstsein der Hundeverbraucher noch keine Wende.

Was wurde überhaupt erreicht?

Aber es gibt Änderungen. Wenn wir vor gut 10 Jahren die Beschreibung einer Hunderasse gelesen haben, so waren das durchweg schönfärberische Darstellungen in Hochglanzprospekten. Da wurde ein Border Collie genauso als Familienhund empfohlen wie der Kaukasische Owtscharka. Auf Versäumnisse in der Zucht hinzuweisen, wurde mit Schlechtmachen einer Rasse gleichgesetzt und war in fast allen Medien tabu. Die Verlage wollten keine Bücher oder Artikel mit kritischen Texten. Nun zeigen sich zarte aber hoffnungsvolle Ansätze. In verschiedenen Magazinen schreibe ich regelmäßig Artikel über Hunde und Hunderassen. Heute zeigen sich einige Verlage aktiv daran interessiert, dass ich auf eventuelle wesens- oder gesundheitliche Probleme hinweise. Bei den meist unflätigen "Kritiken", die dann wie gewohnt immer wieder kommen, stellen sich die Verlage klar hinter mich. Meine Verlage sagen, dass die Leserinnen und Leser heute ehrliche Beschreibungen haben wollen. Nicht viel aber immerhin. Vielleicht entwickelt sich aus diesen zarten Ansätzen ein Umschwung im Bewusstsein der Hundekäufer?
Daniela Pörtl als Musher mit Marry und Zander
Der beste Freund des Menschen

In den letzten Jahren habe ich mich wieder meinem eigentlichen Schwerpunkt beim Thema Hund zugewendet. Wie ist der Hund entstanden? Was hat Mensch und Wolf zusammenfinden lassen? Was ist das Geheimnis dieser besonderen, einmaligen Beziehung zweier Spezies? Diese spannenden Fragen bewegen mich schon seit meiner Jugend. In der Ärztin Daniela Pörtl habe ich 2012 eine ideale Partnerin zur weiteren Erforschung dieser Fragen gefunden. Gemeinsam haben wir das Modell der "Aktiven sozialen Domestikation des Hundes" entwickelt und seit 2013 auf zahlreichen internationalen Kongressen vorstellen können. "Peer-reviewed" Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Journals kamen hinzu wie eine ausführliche Darstellung im Schattauer-Verlag (Tierisch beste Freunde; Literaturliste siehe unten). Mit Petwatch will ich verstärkt über die großen Gemeinsamkeiten von Mensch und Hund und deren gemeinsame Geschichte aufklären. Das seit dem ersten Erscheinen von Petwatch geltende Motto "Für die Partnerschaft Mensch Hund" ist die Triebkraft. Ich bin der Überzeugung, dass die Menschheit dem Bündnis mit dem Wolf resp. Hund entscheidende Impulse für die eigene Evolution zu verdanken hat. Dazu stelle ich wichtige neue Erkenntnisse der Wissenschaft vor, diskutiere diese - und, da wo es mir angebracht erscheint, auch durchaus kritisch.

Ich meine, wir haben dem Hund Vieles zu verdanken. Er schenkt uns noch heute viel Lebensfreude, Tag für Tag. Ein Leben ohne Hund ist möglich aber sinnlos - frei nach Loriot. Aber WIR müssen etwas für diese Freundschaft tun. WIR haben hier die volle Verantwortung. Dieser werden wir heute nicht wirklich gerecht.
Vor der Konferenz konnte ich am Rande von Phoenix (AZ) beim Sonnenaufgang regelmäßig Kojoten beobachten.
Das wissenschaftliche Interesse am Hund

Dabei viel mir schon vor Jahren auf, dass sich seit etwa 2000 das wissenschaftliche Interesse am Hund schlagartig intensiviert hat. Auf der Canine Science Conference in Phoenix/Arizona, an der ich als Redner teilnehmen konnte, wurde es im Oktober 2017 ganz offen kommuniziert. Weite Teile der Forschung am Hund gelten nicht wirklich dem Hund. Sie gelten der Pharmaindustrie, die sich riesige Profite über die Entwicklung neuartiger Psychopharmaka ausrechnet. Sehr viel Geld wird in die Forschung am, mit, aber nicht für den Hund investiert. Die neue Generation von Medikamenten soll direkt an den Genabschnitten ansetzen, die als Verursacher von Schizophrenie, Depressionen und andere psychische Leiden ausgemacht werden. Das gilt für Wachmacher und andere leistungssteigernde Mittel ebenso. Die Pharmaforschung bestätigt: Mensch und Hund sind in ihrem Wesen und in ihrer Psyche so ähnlich aufgebaut wie keine zwei anderen Spezies. Das macht sich die Forschung zu Nutzen. Darauf werde ich hier auf Petwatch in Zukunft genauer eingehen. Man muss wachsam sein und verhindern, dass Hunde nicht nur zur Erkundung der Zusammenhänge dienen, vielmehr auch als Versuchsobjekte missbraucht werden könnten, etwa indem bei ihnen künstlich Erkrankungen wie Schizophrenie ausgelöst werden.

Es bleibt spannend! Ich bleibe am Ball.

Last but not least:
Vielen herzlichen Dank an die vielen Bloggerinnen und Blogger, die hier als Gast Artikel beitrugen!

Christoph Jung

Ein paar wissenschaftliche Veröffentlichungen:
  • "Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin" eine umfassende Beschreibung der Grundlagen der Mensch-Hund-Beziehung und deren Wechselwirkungen. Das Modell der Aktiven sozialen Domestikation des Hundes. (Im Schattauer-Verlag, heute Thieme, erschienen). 
  • Pörtl D, Jung C. Is dog domestication due to epigenetic modulation in brain? Dog behavior Vol 3, No 2, 2017 https://doi.org/10.4454/db.v2i3 
  • Pörtl D, Jung C. The domestication from the wolf to the dog is based on coevolution. Dog Behavior Vol 2, No 3, 2016 DOI: http://dx.doi.org/10.4454/db.v2i3.44
  • Poertl D, Epigenetic regulation of the hypothalamic-pituitary-adrenal stress axis and its effects on social behaviour Exp Clin Endocrinol Diabetes 2013; 121 - OP5_29 DOI: 10.1055/s-0033-1336637
  • 2012 haben wir unser Modell der "Aktiven sozialen Domestikation" in einem Papier vorgestellt und 2014 auch in einem kleinen Büchlein veröffentlicht: "Die aktive soziale Domestikation des Hundes: Ein neurobiologisch begründetes Modell zur Mensch-Hund-Beziehung".
  • mehr auf meiner Website: www.christoph-jung.com



Freitag, 27. Oktober 2017

Sind Wölfe wirklich die besseren Teamplayer?

Wolf und Mensch verbinden sehr viele Eigenschaften. Eine davon ist ihr hochsoziales Leben. Der einzelne Wolf wie der einzelne Mensch definieren sich über ihre Rolle und Stellung in der sozialen Gruppe. Sie sind, ob nun bewusst gewollt oder nicht, Teamplayer. Ohne soziale Einbindung gehen sie ein, psychisch aber auch körperlich. Als Team sind sie dagegen höchst leistungsfähig.

Wolf, Hund und Mensch sind vom Wesen her Teamplayer - oder doch nicht?

Eine Studie aus Wien kommt zu dem Schluss, dass der Wolf der bessere Teamplayer gegenüber dem vom ihm abstammenden Hund sei. Der Hund habe durch seine Verbindung mit dem Menschen, durch den Domestikationsprozess, an Teamfähigkeit verloren. Die Mitte Oktober vorab veröffentlichte Studie der Vetmeduni Wien titelt mit

"Domestikation macht Hunde nicht zu besseren Teamplayern

(Presseinfo der Uni Wien vom 16.10.2017). Die Verhaltensforscherinnen vom Wolf Science Center (WSC) der Vetmeduni Wien untersuchten Wölfe und Hunde, die in den Gehegen des WSC in Rudeln nach gleichen Regeln gehalten werden. Es wurde der "loose-string" Versuchsaufbau verwendet (siehe Foto). Dabei müssen jeweils 2 Hunde oder 2 Wölfe gemeinsam an je einem Strick ziehen, um an eine Futterbelohnung zu kommen. Nur wenn sie hier als Team agieren, sind sie erfolgreich. Insgesamt konnten die Wolfspärchen in 100 von 416 Versuchen gemeinsam Futter angeln, während das lediglich 2 Hundepaaren gelang - so die Informationen aus der bisher nur im Abstract veröffentlichten Studie. Hierauf bauen die Forscherinnen ihre weitreichenden Schlussfolgerungen von der angeblich schlechteren Teamfähigkeit der Hunde. "Wölfe stechen Hunde in Sachen Teamwork aus" lautet eine Überschrift der Presseinfo der Uni, die nun breit in den Medien verbreitet wird.
"In Sachen Teamwork sind Wölfe ihren domestizierten Nachfahren überlegen."
(Foto: Wolf Science Center/Vetmeduni Vienna)
Ich habe da meine Bedenken...

...und zwar an gleich mehreren grundsätzlichen Punkten. Zunächst einmal steht die Frage, was denn mit Team und Teamwork gemeint ist? Es ist nun einmal ein elementares Merkmal des Hundes, dass er sich auf den Menschen bezieht. Das Team des Hundes ist der Mensch. Es gibt keine wilden Hunde (höchstens teilweise verwilderte). Der Hund kann nicht ohne den Menschen definiert und verstanden werden. Dann wäre er Wolf geblieben. Es zählt gerade zu den hervorstechensten Qualitäten des Hundes, dass er mit dem Menschen arbeitet, dass er fest eingebunden in der Gesellschaft des Menschen lebt und dies bereits seit mehr als 15.000, wahrscheinlich sogar 40.000 Jahren. Von seinen Menschen gestreichelt zu werden, ist ihm sogar wichtiger als eine Futterbelohnung. Dazu werden wir am Schluss noch einmal kommen.

Gehegewölfe sind nicht wilde Wölfe

Die Wiener Verhaltensforscherinnen verweisen darauf, dass weltweit im Grunde nur sie in der Lage sind, Wölfe und Hunde zu vergleichen, da sie im WSC die einzigen seien, die Hunde und Wölfe in exakt derselben Art aufziehen und halten. Doch alleine diese Auffassung verkennt bereits grundsätzlich das Wesen dieser beiden Subspezies. Gleich aufziehen heißt nicht artgerecht. Wenn ich einen Frosch zusammen mit einer Eidechse in einem  heißen Trockengebiet aufziehe, so ist das ebenso gleich - mit aber höchst unterschiedlichen Folgen. Von ihrem Wesen brauchen Wolf wie Hund nicht gleiche, vielmehr artgerechte, das heißt unterschiedliche Biotope oder ökologische Nischen. Der Wolf braucht die Freiheit in einer passenden, weiten Natur, wo er im Rudel beispielsweise Rehe jagen kann.

Gehege ist nicht artgerecht

Der heutige europäische Wolf meidet die Nähe des Menschen wo er nur kann. Der Hund (Canis lupus familiaris) ist dagegen, wie sein wissenschaftlicher Name bereits andeutet, auf den Menschen bezogen. Sein Biotop ist der Mensch, dessen Leben, dessen soziale Strukturen und bis noch vor gut 100 Jahren durchgängig, die gemeinsame Arbeit mit dem Mensch. Wölfe, die von menschlicher Hand aufgezogen wurden und ihr ganzes Leben von Menschen gefüttert und gepampert im Gehege gelebt haben, sind keine Wildtiere mehr. Zumal die Gehegewölfe - nicht nur in Wien - in aller Regel bereits seit sehr vielen Generationen ausschließlich im Gehege leben. Hier ist sogar davon auszugehen, dass bereits psychische und epigenetische Anpassungen erfolgt sind wie es bei Labortieren, etwa Ratten, schon dokumentiert wurde. Es ist zudem seit langem bekannt, dass sich Gehegewölfe in ihrem Sozialverhalten tiefgreifend ändern und eine andere soziale Struktur aufbauen als frei lebende Artgenossen, wie es u.a. Dave Mech überzeugend beschrieb. Will man das natürliche Verhalten von Wölfen studieren, muss man Freilandstudien betreiben. Zudem sind die Wölfe des WSC vom Welpen an darauf trainiert, Versuchsaufgaben in Gegenwart von Menschen zu lösen und hierfür mit Futter belohnt zu werden. Sie repräsentieren also keineswegs den wilden Vorfahren unserer Hunde, zumal dieser nicht von den heute lebenden Formen des Wolfs abstammt (siehe unten).
Hunde im WSC - "menschliche Komponente ausschließen"
(Foto: Christoph Jung)
Gehegehunde sind deprivierte Hunde 

Die Hunde des WSC, die in den Studien der Wiener Verhaltensforscherinnen den Canis lupus familiaris repräsentieren sollen, sind - streng genommen - keine richtigen Hunde. Es handelt sich um psychisch deprivierte Hunde. Sie werden eben NICHT artgerecht gehalten. Denn zum Hund gehört wesentlich die Einbindung in die menschliche Sozialität. Sie ist für sein artgerechtes Leben notwendig. Genau diese wird ihnen bewusst genommen. Die Forscherinnen erklären: "Deswegen war es uns wichtig, bei diesen Tests nicht mit Haustieren zu arbeiten und so die menschliche Komponente auszuschließen“ (Presseinfo vom 16.10.2017).

"die menschliche Komponente ausschließen"

Der Wolf ist aber exakt und nur über diese "menschliche Komponente" zum Hund geworden. Ohne diese gäbe es keine Hunde und auch nicht die vielen Fähigkeiten und Wesensmerkmale, die den Hund gegenüber dem Wolf auszeichnen und seine einzigartige Stellung in Bezug auf uns Menschen ausmachen.

Kaspar-Hauser-Versuche

In der Antike bis ins ausgehenden Mittelalter gab es immer wieder Versuche, Kinder ohne unmittelbaren Kontakt zu anderen Menschen aufzuziehen. In diesen so genannten Kaspar-Hauser-Versuchen wurden diese armen Schicksale ansonsten bestens versorgt. Doch sie starben - ohne Ausnahme. Das Fehlen der sozialen und emotionalen Bindung machte sie lebensunfähig. Der Hund will und braucht die menschliche Bindung, um sich wohlzufühlen, sein Leben und seine Fähigkeiten artgerecht zu entfalten. So zeigt er sich als hervorragender Teamplayer und ist zu hochkomplexer Teamwork in der Lage - mit Menschen. Es ist ein beeindruckendes Erlebnis, einem Schäfer im Border County an der Grenze England/Schottland zuzuschauen, wie dieser mit seinen Border Collies die Herde höchst präzise und schnell manövriert. Und das sogar selbständig, ohne Sichtkontakt, oft nur auf Pfiffe oder auch nur auf eine vorher gegebene Anweisung hin.
Schäfer an der Elster bei Leipzig
(Foto: Christoph Jung)
Hüten, Schlitten ziehen, Assistieren = Teamwork auf höchstem Niveau

Man sollte einmal Wölfe vor einen Schlitten spannen. Das tun Menschen mit ihren Hunden am Polarkreis seit 8.000 Jahren. Die Schlittenhunden arbeiten hier im Dutzend oder gar in einer noch größeren Gruppe zusammen. Jeder Musher hat seinen Lead, seinen vertrauten Leithund, der von allen anderen Hunden in seiner Führungsrolle anerkannt ist. Diese Hunde sind nicht nur eine als Team arbeitende Zugmaschine, sie machen auch ein gutes Navigationssystem und führen die Menschen sicher zur Jagd oder nach Hause. Auch bei der Jagd in unseren Breiten bilden Mensch und Hund, wie auch Hunde untereinander ein komplex arbeitendes Team. Hunde kann man sogar zu Assistenzhunden ausbilden und zu vielen weitere Aufgaben ebenso. Immer ist Teamfähigkeit eine hervorstechende Eigenschaft des Hundes - selbst wenn diese von uns Menschen zuweilen schlicht ausgenutzt wird.

Hunde und Menschen, seit tausenden von Jahren ein Team

Es ist heute Stand der Wissenschaft, dass der Hund vor mehr als 15.000, wahrscheinlich sogar vor 40.000 Jahren domestiziert wurde. Stammvater und -mutter war eine Unterart des Wolfes, die heute ausgestorben ist. Früher lebte der Wolf auf der ganzen nördlichen Hemisphäre und war sehr viel reicher an Varianten. Alle waren Subspezies des Canis lupis, wie es Prof. Robert Wayne anhand umfangreicher Genanalysen herausgefunden hat. Wir wissen auch recht sicher, dass der Hund in Nord/Mitteleuropa domestiziert wurde. Wir wissen nicht wirklich, wie und warum dies geschah. Wir kennen aber einige Faktoren, die diese einmalige Qualität der Verbindung zweier Spezies ermöglicht hat. Denn (Steinzeit-) Menschen und Wölfe verbinden sehr ähnliche Eigenschaften:
  • Beide leb(t)en in ähnlich strukturieren Familiengruppen.
  • Die Gruppe zieht den Nachwuchs gemeinsam auf.
  • Beide jagten dasselbe Wild (z.B. Mammut, Bison) in derselben ökologischen Nische
  • mit denselben kollektiven Methoden als Hetzjäger.
  • Als kollektiver Großwildjäger mussten sich beide in das Wild ein stückweit hineindenken können.
  • Bei den Jagden lernte man sich immer wieder kennen. Es entwickelte sich ein ähnlicher Erfahrungshorizont.
  • So kann/muss sich ein zwischenartlicher Resonanzraum entwickelt haben, der z.B. Empathie beeinhaltet.
  • Beide Arten entwickeln Kulturen und sogar zwischenartliche.
Kollektive Jagd auf Großwild - ein Wesensmerkmal der Canis lupus
(Foto: Yellowstone Nationalpark)
Dass dies keine Spekulationen sind, zeigen aktuelle Forschungsergebnisse aus verschiedenen Disziplinen, so:
  • Der Nachweis der Funktion von Spiegelneuronen und Joint Attention zwischen Hunden und Menschen.
  • Der Nachweis sehr ähnlicher Funktionsgrundlagen der Psyche (etwa fMRT G.Berns).
  • Die sehr ähnliche Wirkungsweise der Hormone und Neurotransmitter.
  • Der Nachweis von Empathie zwischen Mensch und Hund.
  • Oder erste Belege für Perspektivenübernahme vom Menschen durch den Hund (ToM).
  • Der Nachweis der zentralen Rolle der Stressachse im Domestikationsprozess (etwa Farm-Fox-Experiment).
Die Ähnlichkeiten der Funktionsweise von Kognition und Psyche sind bei Hund und Mensch so stark, dass der Hund heute als Modell für die Humanmedizin genommen wird, etwa bei der Erforschung einer neuen Generation von Psychopharmaka. Als praktische Berührungspunkte für die Annäherung mindestens einer Gruppe von Wölfen und einer Gruppe von Menschen in der Altsteinzeit sind viele Szenarien und wahrscheinlich eine Kombination hieraus denkbar.
  • Mensch und Wolf lernten sich bei der Jagd kennen und nutzten den jeweils anderen bis sich nach und nach eine Kooperation entwickelte, deren Auswirkungen bereits in 10.000 Jahre alten Höhlenmalereien dokumentiert ist.
  • Man bewachte und beschützte sich gegenseitig. Der Mensch hatte das Feuer und Waffen, der Wolf die schärferen Sinne und größer Kraft. Gemeinsam war man unbesiegbar.
  • Man wärmte sich gegenseitig. In der Eiszeit nicht zu unterschätzen und bei den Polarvölkern noch heute üblich.
  • Menschen interessieren sich über alle naturnahen Kulturen hinweg für die Haltung von Tieren. Von Menschen nicht verfolgte Wölfe, wie die Polarwölfe auf Ellesmere Island im hohen Norden Kanadas, sind ebenfalls interessiert, uns Menschen kennenzulernen. Es gibt ein Bedürfnis nach sozialer Beziehung offenbar auch interspezifisch.
  • Vielleicht teilte man die Beute, wenn reichlich vorhanden war. Gemeinsam konnte man sie gegenüber Dritten besser verteidigen.
Wir wissen es nicht, aber es muss einen solchen Prozess der Annäherung gegeben haben, sonst gäbe es den Hund nicht. Am unwahrscheinlichsten ist, dass der Hund als Aasfresser auf den ersten Müllkippen der Menschheit entstand wie es Ray Coppinger vorschlug und es im Kreis der Wiener Verhaltensforscherinnen ähnlich gesehen wird. In ihrer “Canine Cooperation Hypothesis” charakterisieren sie den Hund als Aasfresser im menschlichen Müll, während der Wolf der gemeinsam Huftiere Jagende sei ("Ecology of Wolves  = Group-hunting of ungulates / Ecology of Dogs = Human refuse scavenging”). Das Problem ist nur, dass zur Zeit der Domestizierung und noch viele tausende Jahren danach gar keine Müllkippen gab. Nahrungsmittel auf den Müll zu schmeißen, ist eine Erfindung, die erst im Zeitalter des Ackerbaus entstand. Die Menschen der Altsteinzeit nutzten alles.
Die soziale Bindung zwischen Mensch und Hund können Neurowissenschaftler heute nachweisen.
(Foto: Christoph Jung)
Weder der Hund noch der Wolf ist der bessere Teamplayer. Sie sind schlicht anders.

Last but not least hätten sich unsere Vorfahren mit ihren Steinwerkzeugen kaum die Mühe gemacht, für einen Müllverwerter ein Grab auszuheben und diesen sorgfältig zu bestatten. Das taten sie für Hunde aber bereits seit 13.000 Jahren. Und vieles spricht dafür, dass es ein Akt der Anerkennung für einen verdienten, vierbeinigen Teamplayer war. Greg Berns zeigte vor kurzem mit seinen fMRT Aufnahmen vom arbeitenden Hundegehirn, das bei Hunden das Belohnungszentrum angesprochen wird, wenn sie ihr vertrautes Herrchen oder Frauchen nur riechen. Der Hund freut sich über uns als Mensch, als Partner - Punkt. Diese Zusammenhänge haben Daniela Pörtl und ich mit dem Modell der "Aktiven Sozialen Domestikation des Hundes" detailliert ausgeführt. Wollte man die Teamfähigkeit vergleichen, so müsste man einen Hund mit seinem Herrchen oder Frauchen und zwei miteinander vertraute Wölfe gegeneinander antreten lassen.


Ein kritischer Kommentar von Christoph Jung



Freitag, 15. September 2017

Dog domestication and human cultural evolution

In Jena fand vom 13. bis 15. September die Inaugural Cultural Evolution Society Conference statt, die vom Max Planck Institute for the Science of Human History veranstaltet wurde. Dort stellten Daniela Pörtl und Christoph Jung Aspekte ihres Models von der Activen Sozialen Domestikation des Hundes mit einem Poster vor. Hier den kurzen Vortrag, den Daniela Pörtl als Teilnehmerin der Konferenz hielt:

Dog domestication and human cultural evolution – co-evolution of cognitive abilities favoured by epigenetic modulations in limbic brain regions

Dogs are the first domesticated animals living together with humans at least 25.000 years - assisting humans until today with hunting, protecting, herding. But primarily dogs have always been important social bonding partners to humans. Recent scientific research proves mutual empathy between humans and dogs. Domestication evoked tameness, that means decreased flightdistance chiefly concerning to humans. And in fact, in the Siberian farm-fox experiment, demonstrating a domestication process, first changes have been found in a decreased activity of HPA stress axis promoting domestication syndrome. Now I will go on to present the hypothesis of the

Active Social Domestication (ASD) – an epigenetic based model of a self-domestication process due to interspecific emotional attachment

During the Palaeolithic period humans and wolves lived as cooperative hunters in similar family clans in the same ecological niche. Similar social skills and the evolutionary continuity of mammalian brains allowed both of them initial interspecific (pro)social communication achieving an evolutionary benefit for both. Knowing each other reduced stress and helped becoming confident. Behavioural cultures between wolf clans and human clans were formed, individual bonding, genetic isolation and domestication processes began.

Epigenetic modulation of stress axis caused by social behaviour

Scientific studies prove, that prosocial care enhances via epigenetic modulations glucocorticoid negative feedback loop in brain, thus decreasing the activity of stress axis and therefore increasing the activity of cross-regulated calming system. This suggests a direct relationship between variations in prosocial behaviour and development of HPA responses to stress. (These mechanisms are explained in more detail on the poster).
In the Palaeolithic period described epigenetic modulations induced lower cortisol levels in all individuals within the attached wolf-human clan, prosocial behaviour improved enhancing mutual empathy and interspecific in-group behaviour. Eventually the wild wolf became a tame wolf regarding known individual humans as his pack mates.
(Photo: Christoph Jung)
But a tame wolf is not yet a dog.

Permanent high cortisol levels impair learning and executive functions. But epigenetically decreased cortisol levels improve social learning capabilities and enabled tame wolves to develop increased emotional and cognitive empathy concerning to humans. Thus first dogs have learned to use human communicative cues and eventually dogs integrated themselves into human social structures, accepting humans as their preferred social binding partner.

But what about ancient humans? Did dogs domesticate humans as well?

During the dog domestication process all individuals of the attached human-wolf clan experienced the same epigenetic modulation of stress axis due to increased interspecific prosocial contacts. Hence it is reasonable to proclaim that the dog domestication had probably influenced human social and cognitive development as well. And in fact, within a narrow time frame of dog domestication, archaeologists describe a sudden further stage of human cultural development in the Aurignacien; first flutes, sculptures, cave paintings and javelin spins occurred. Thus it is reasonable to assume that dogs have influenced human cultural development not only with assisting humans, but also we provide that dogs improved human cognitive capabilities additionally in the sense of a human self domestication process, thus we can think about co-evolution.

And even today social interaction between humans and dogs still reduce stress in both of them and invigorate therefore social and learning abilities, which is known to be the reason of dog facilitated therapy in medical treatment.

Daniela Pörtl, MD Ärztin

References
  • Pörtl D, Jung C. Dog domestication and human cultural evolution – co-evolution of cognitive abilities favoured by epigenetic modulations in limbic brain regions. Poster at Jena, Conference: Inaugural Cultural Evolution Society Conference, Affiliation: Max Planck Institute for the Science of Human History, DOI: 10.13140/RG.2.2.21759.71842
  • Pörtl D, Jung C. Is dog domestication due to epigenetic modulation in brain? Dog behaviour Vol 3, No 2, 2017 (accepted 2017-08-14) DOI: http://doi.org/10.4454/db.v2i3
  • Jung C, Pörtl D. The domestication from the wolf to the dog is based on coevolution. Dog behavior Vol 2, No 3 (2016) DOI: http://dx.doi.org/10.4454/db.v2i3.44
  • Poertl D, Epigenetic regulation of the hypothalamic-pituitary-adrenal stress axis and its effects on social behaviour Exp Clin Endocrinol Diabetes 2013; 121 - OP5_29 DOI: 10.1055/s-0033-1336637
  • Jung C, Pörtl D. Tierisch beste Freunde. Stuttgart: Schattauer 2015, ISBN 978-3-7945-3132-5
  • Jung C, Pörtl D. Die aktive soziale Domestikation des Hundes. Norderstedt: Bod 2014,ISBN 978-3735718389


Dienstag, 27. Juni 2017

Herzkrankheit DCM bei der Deutschen Dogge - alles ok oder?

Stellungnahme zur Auswertung des DDC 1888 e.V. zur Häufigkeit der erblichen Herzkrankheit DCM bei der Deutschen Dogge von Ruth Stolzewski, BSc Umweltplanung, Doggen vom Irschener Winkel, Juni 2017

Vom 01.01.2014 bis 31.12.2016 fand im Deutschen Doggen Club 1888 e.V. eine Datensammlung von Herzultraschallbefunden in Zusammenarbeit mit dem Collegium Cardiologicum (CC) statt. Diese Daten wurden in der Vereinszeitschrift "unsere Deutsche Dogge" (uDD) und auf der Homepage des Vereins www.doggen.de im April 2017 ausgewertet und veröffentlicht. Da die Daten nicht aussagekräftig sind, da vor allem junge Hunde vor dem ersten Zuchteinsatz untersucht wurden, und weil die Auswertung vom DDC irreführend ist und aus ihr die falschen Schlussfolgerungen gezogen werden soll an dieser Stelle ein zweiter, gründlicher Blick auf die Datensammlung geworfen werden.
1. Datenmaterial

Die Daten wurden vom 01.01.2014 bis 31.12.2016 erhoben mithilfe von standardisierten Herzultraschallbefunden (HUS) des Collegium Cardiologicum, der Vereinigung von Tierkardiologen. In diesem Zeitraum bestand eine Untersuchungspflicht für Doggen im DDC vor dem Zuchteinsatz, die alle zwei Jahre wiederholt werden musste, wenn ein weiterer Zuchteinsatz erfolgen sollte. Manche Hunde wurden also zwei oder sogar drei Mal geschallt. Leider geht aus der Auswertung des DDC nicht hervor, ob jeweils nur der aktuellste HUS pro Hund berücksichtigt wurde oder jeder eingereichte HUS-Befund. Es wird lediglich von "637 Hunden" gesprochen. Auf der Homepage des DDC ist eine Liste der Doggen zu finden, die an der Studie teilgenommen haben. Dort sind 642 Eintragungen zu finden, wobei zahlreiche Hunde mehrmals auftauchen. Wenn jede geschallte Dogge nur einmal gerechnet wird verbleiben 565 Hunde. Wenn ein Hund mit 2 Jahren als gesund eingestuft wurde und mit 4 Jahren als DCM krank, dann ergibt sich ein verfälschtes Ergebnis, wenn beide Befunde in die Auswertung mit einfließen. Es sollte jeweils nur der aktuellste Befund berücksichtigt werden. Hier liegt ein schwerer methodischer Fehler in der Auswertung vor. Eine weitere Verzerrung der Datenlage ergibt sich daraus, dass an DCM verstorbene und vorher ohne Befund geschallte Hunde nicht berücksichtigt werden. Außerdem bestand die Möglichkeit, dass Hunde, die Symptome zeigten oder bei einem Kardiologen außerhalb des CC mit Befund vorgeschallt wurden nicht mehr erneut für die Studie untersucht wurden. Da das originale Datenmaterial nicht vor liegt muss im Folgenden aber mit dem fehlerhaften Material, das vom DDC veröffentlicht wurde, weiter gearbeitet werden.

2. Die Altersstruktur

"Der Auswertung lagen nur Befunde von Hunden zugrunde, für die eine Zuchtuntersuchung gemacht wurde". Im DDC dürfen Hunde ab dem 18. Lebensmonat in der Zucht eingesetzt werden, und so ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Hunde, die Herz geschallt wurden, sehr jung sind. Die Altersstruktur zeigt folgende Verteilung: 22,61% der Hunde waren bei der Untersuchung unter 2 Jahre alt, 44,43% unter 3 Jahre, 61,86% unter 4 Jahre, 77,72% unter 5 Jahre, 89,65% unter 6 Jahre, 95,3% unter 7 Jahre und 98,44% der Hunde unter 8 Jahre. Nur 1,56% der untersuchten Hunde waren über 8 Jahre alt.
Bitte anklicken, um die Tabelle besser lesen zu können.
Die DCM (Dilatative Kardiomyopathie) ist eine Herzkrankheit, die meist erst zwischen dem 4. bis 6. Lebensjahr auftritt. Sie ist genetisch bedingt, entwickelt sich aber erst im Laufe des Lebens. Darum gibt die Prävalenz - also die Befallsrate - bei einem niedrigen Durchschnitts- alter der untersuchten Hunde nicht die tatsächliche Befallsrate der Population wieder. Ein Hund kann erst als mit großer Sicherheit gesund eingestuft werden, wenn er mit über 6 Jahren ohne Befund Herz geschallt wurde. D.h. lediglich bei 10,35% der im DDC untersuchten Hunde kann überhaupt mit Sicherheit gesagt werden, ob sie gesund oder krank sind. Alle Hunde die unter 6 Jahren geschallt wurden können noch an DCM erkranken! Diese Tatsache wird bei der Auswertung durch den DDC verschwiegen, stattdessen wird behauptet: "Wir denken, dass die Zahlen aussagekräftig sind, um die aktuelle Situation rund um die DCM-Erkrankung bei DDC-Hunden darzustellen."

Es wird wohlweislich auch nicht das Durchschnittsalter der untersuchten Hunde erwähnt. Dieses liegt bei etwa 3,6 Jahren. Trotz dieses niedrigen Durchschnittsalters der 637 untersuchten Doggen liegt bereits eine Prävalenz von 4,39% an DCM-kranken Hunde (DCM 2 und 3) und 8,79% an Hunden in einer Übergangsphase, die als DCM 1 bezeichnet wird, vor. D.h. insgesamt haben 13,18% der untersuchten Doggen einen auffälligen Herzbefund!

3. Befallsrate/Prävalenz nach Alter

Wie bereits erwähnt wurde ist die DCM eine Krankheit, die sich im Laufe des Lebens entwickelt. Somit steigt die Prävalenz mit zunehmendem Alter an. Genau dies zeigt sich auch in der Datensammlung des DDC. Leider wurde in der vom DDC veröffentlichten Auswertung die Befallsrate nach Alter fälschlicherweise nicht mit der Anzahl der Hunde der jeweiligen Altersklasse in Relation gesetzt sondern mit der Gesamtzahl der insgesamt untersuchten Hunde. So ergibt sich ein falsches und irreführendes Bild. Um die Prävalenz nach Altersklasse zu berechnen müssen die erkrankten Hunde mit der Gesamtzahl der Hunde der jeweiligen Altersklasse verglichen werden!!!

Daraus ergibt sich folgende Verteilung:
Bitte anklicken, um die Tabelle besser lesen zu können.
Während die Prävalenz der DCM-kranken Hunde bei unter 2 Jahren noch bei 0,7 % liegt steigt sie bis zum Alter von 7 bis 8 Jahren auf 20% an. Berücksichtigt man alle Doggen mit Herzbefund steigt die Prävalenz sogar auf 30% im Alter von 7 bis 8 Jahren an. Danach sinkt sie wieder, was aber auf die viel zu geringe Datenzahl zurückzuführen ist. Wir erinnern uns: Nur 10 von 637 Doggen, also 1,56% der untersuchten Hunde waren über 8 Jahre alt.
Bitte anklicken, um die Tabelle besser lesen zu können.
4. Vergleich mit anderen Studien und Datensammlungen

Trotz der verzerrten Datenlage ergibt sich aber ein Bild, das sich mit anderen Studien zur DCM bei der Dogge - aber auch beim Dobermann - deckt. So hat Dr. Kresken (Vorsitzender des CC) in Zusammenarbeit mit seiner Kollegin Dr. Roggon insgesamt 397 Doggen über einen Zeitraum von mehreren Jahren untersucht, wovon 31% einen Herzbefund hatten. Die Ergebnisse seiner Datensammlung stellte er auf dem Kongress "Experten Erklären" in Düsseldorf im Jahr 2012 vor.

Im selben Jahr wurde in England im Journal for Vet.Intern.Med eine Studie veröffentlicht von Stephenson et al. (2012). Für diese Studie wurden 103 Doggen von 2008-2011 ab 4 Jahren untersucht, die von ihren Besitzern als augenscheinlich gesund eingestuft wurden. Nur 27% der untersuchten Hunde waren jünger als 6 Jahre und die Prävalenz der DCM lag bei 35,9%!
Beim Dobermann wurde nach Phase I des VDH-Untersuchungs- programms eine Befallsrate von nur 6 Prozent festgestellt. "Es wurden 315 Hunde zwischen 2,5 und 5 Jahren untersucht. Lediglich 6% der untersuchten Hunde wurden nicht zur Zucht zugelassen (Hatten also DCM 2 und 3, Anm.d.Verf.). Daraufhin wurde der Antrag zur Fortführung der Herzuntersuchungen abgelehnt" (Auszug aus der HV des Dobermann-Vereins am 21.05.2009). Laut Dr.Wess, dem Leiter der Tierkardiologie der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitglied des CC, der in den letzten 10 Jahren über 2800 Untersuchungen an Dobermännern durchgeführt hat, liegt die tatsächliche Prävalenz weit höher: "Wenn man unsere Ergebnisse auf das komplette Dobermannleben umrechnet kamen wir darauf, dass die Prävalenz beim Dobermann bei 58 Prozent liegt. D.h. jeder 2. Dobermann wird im Laufe seines Lebens diese Krankheit entwickeln. Und diese Zahlen sind identisch mit denen in den USA oder in Kanada." Dabei liegt die Befallsrate bei den 2-4 Jahre alten Dobermännern "nur" bei 9,9%, bei den 6-8 Jahre alten schon bei 43,6%, (Studie aus dem Jahr 2010, die im Journal for Veterinary Medicine veröffentlicht wurde).

Wir erinnern uns: bei den Doggen liegt die Befallsrate von DCM 1,2 und 3 zwischen 2 und 4 Jahren bei 10,4% und zwischen 6 und 8 Jahren bei 21,4%. Lägen mehr Befunde von Doggen über 6 Jahre vor und wäre von jedem Hund nur der aktuellste Befunde berücksichtigt  ist also mit einer weit höheren tatsächlichen Prävalenz in der Gesamtpopulation zu rechnen.
Zum Abbruch der HUS-Pflicht beim Dobermann äußerte sich auch Dr. Kresken, Leiter des Collegium Cardiologicum und Leiter der damaligen Dobermann-Studie in der VDH-Zeitschrift "Der Rassehund" kritisch: "In Deutschland wurde von 2006-2008 die Dobermänner untersucht, die neu zur Zucht zugelassen werden sollten. Die untersuchten Hunde waren zwar noch relativ jung, aber trotzdem konnten schon Hunde mit subklinischer und einige mit klinischer DKM erfasst werden. Da das Durchschnittsalter dieser deutschen Population bei unter zwei Jahren lag sind die Werte der Prävalenz der DKM in der gesamten Dobermannpopulation nicht repräsentativ und wirken geschönt". Mittlerweile sind so viele Dobermänner von der DCM betroffen, dass viele Halter und Züchter sich von der Rasse abwenden und sich die Welpeneintragungszahlen in den letzten 5 Jahren fast halbiert haben. Auch die Welpenzahlen der Deutschen Dogge im VDH sind in den letzten 10 Jahren um gut ein Drittel zurückgegangen!

Auch sämtliche Studien und Datensammlungen weltweit zu den häufigsten Todesursachen der Deutschen Dogge zeigen ganz klar, dass Herzerkrankungen zusammen mit Krebs und Magendrehung an oberster Stelle liegen. Dazu habe ich im Januar 2016 einen ausführlichen Artikel veröffentlicht:
Lebenserwartung-und-häufige-Todesursachen-der-Deutschen-Dogge.pdf

Selbst das Gesundheitsmonitoring des DDC aus dem Jahr 2008 ergab folgendes Bild: "Bei den Krankheiten fällt auf, dass sehr häufig Gelenkkrankheiten und Augenprobleme genannt werden. Aber das Hauptproblem dürfte bei den Krebserkrankungen, der Magen- drehung und den Herzerkrankungen liegen." (Zuchtleiter des DDC Herr Fischbach im Almanach 2004-2008) Aus einer Grafik aus dem Almanach geht hervor, dass die häufigsten bekannten Todesursachen (also ohne "unbekannt" und "Altersschwäche") Krebs (80 Fälle - 28,4%), Magendrehung (63 Fälle - 22,3%) und Herzerkrankungen (57 Fälle - 20,2%) sind.

5. Zusammenfassung

13,18% der untersuchten Doggen mit einem Durchschnitts- alter von nur 3,6 Jahren haben also einen auffälligen Herzbefund, davon sind 4,39% an okkulter und klinischer DCM erkrankt. Nur 10,35% der im DDC untersuchten Hunde sind über dem aussagekräftigen Alter von 6 Jahren, in dem sie erst mit Sicherheit als krank oder gesund eingestuft werden können. Die Auswertung des DDC weist aufgrund der Berücksichtigung mehrerer Befunde pro Hund außerdem methodische Fehler auf!

Trotz dieser Zahlen und der Erkenntnisse aus anderen Datensamm- lungen und Studien wird die Problematik der Herzerkrankungen bei der Dogge von Teilen des DDC-Vorstandes und einiger Mitglieder verharmlost und eine verpflichtende Herzuntersuchung nicht für notwendig erachtet. Diese Einschätzung ist völlig unverständlich, vor allem angesichts der Tatsache, dass am HD-Röntgen weiterhin festgehalten wird, obwohl seit Jahrzehnten weniger als 5% der Doggen HD-D oder E aufweisen. Auch am Zuchtausschluss von Hunden mit fehlenden P1 im Oberkiefer wird weiterhin festgehalten, obwohl sogar die FCI das Fehlen dieser Zähne folgendermaßen einschätzt: "Wissenschaftlich ist bewiesen, dass es sich bei fehlenden PM1 und PM3 um Variabilitäten und nicht um vererbbare Merkmale handelt. Sie sollten deshalb nicht als disqualifizierende Fehler betrachtet werden." (siehe FCI Modellstandard http://fci.be/medias/FCI-REG-RGT-MOD-ANN-002-de-1722.doc)

Wieso wird auf verpflichtende Untersuchungen für seltene, durchselektierte Krankheiten wie die HD weiterhin bestanden und auf den Zuchtausschluss von gesunden Hunden mit fehlenden Reliktzähnen, während auf eine bei der Dogge häufige, tödliche und erblich bedingte Krankheit wie die DCM nicht untersucht werden muss? Wo ist da die Logik?

Stattdessen wird lediglich eine freiwillige Untersuchung empfohlen und auf den guten Willen und die Ehrlichkeit der Züchter gesetzt. Angesichts der Tatsache, dass eben erst eine Hündin in der Zucht eingesetzt wurde (Daphne von den Borkener Türmen), von der nachweislich 4 Vollgeschwister und 2 Halbgeschwister herzkrank sind (davon bereits drei unter 3 Jahren verstorben) und eine Hündin belegt wurde mit DCM-Befund 1 (Quinta vom Solling im Zwinger vom Hospodar) ist es verheerend, nur auf die Einsicht der Züchter zu setzen und darauf zu hoffen, dass sich das Problem von selbst löst, wenn man nur fest genug die Augen verschließt und daran glaubt. Außerdem werden so wieder einmal die Züchter benachteiligt, die verantwortungsbewusst sind und bereits seit vielen Jahren freiwillig schallen, denn für den Welpenkäufer ist ein Unterschied zwischen "guten" und "schlechten" Züchtern kaum ersichtlich. Es sollte zumindest ein Prädikat für Züchter eingeführt werden, die besonders auf die Gesundheit achten,  um deren Engagement von Seiten des Vereins endlich einmal öffentlich Wert zu schätzen und Welpenkäufern die Möglichkeit zu geben, eine Auswahl zu treffen.
Über die nationale und internationale Außenwirkung einer solchen verharmlosenden Einschätzung der DCM von Seiten des standardführenden Vereins für die Deutsche Dogge brauchen wir gar nicht erst zu sprechen. Es ist bedauerlich, dass so viele DDC-Mitglieder die Datenauswertung nicht hinterfragen und keiner es für nötig erachtet hat, einen Antrag für die Wiedereinführung der HUS-Pflicht für die nächste Hauptversammlung des DDC im Herbst 2017 zu stellen. (Angesichts des undemokratischen Delegiertenwahlsystems im DDC ist eine "Politikverdrossenheit" aber auch nachvollziehbar.)
Ich habe einen solchen Antrag gestellt (ebenso wie drei weitere Anträge zu P1, Höchstalter von Rüden und Farbverpaarungen), die aber nicht berücksichtigt werden, da ich mich an die Anweisungen der Geschäftsführerin des DDC im Vorwort der uDD März 2017 gehalten habe und diese falsch waren: "Anträge einreichen können jede Landesgruppe und Ortsgruppe, aber auch Einzelpersonen. Bitte senden Sie Ihre Anträge als Word-Dokument an service@doggen.de und gleichzeitig per Post an unsere Geschäftsstelle (...). Dieser "doppelte Weg" soll keine Schikane sein - er dient vielmehr der Kontrolle, dass der Text, den Sie als Word-Dokument geschickt haben, nicht verändert wird." Elke Baltzer, uDD März 2017. Dass die Anträge auch noch an die entsprechende Landesgruppe geschickt werden müssen laut Satzung wurde nicht erwähnt.

Im Phasenprogramm des VDH ist nicht definiert, ab welcher Prävalenz eine Hunderasse als häufig betroffen gilt. Sind es 10%, 20% oder 30%? (Beim Menschen liegt die Häufigkeit der DCM bei 36 pro 100.000 Einwohner, also bei 0,036%. Quelle: Doktorarbeit der Freien Universität Berlin). Der Interpretationsspielraum ist also groß und letztendlich liegt es in der Verantwortung aller Vereinsfunktionäre und Züchter, die weitere Ausbreitung dieser erblich bedingten und unheilbaren Herzkrankheit in der Population der Deutschen Dogge zu verhindern. Eine Herzultraschallpflicht bringt erst dann aussagekräftige Ergebnisse, wenn Hunde bis an ihr Lebensende geschallt werden und mehrere Generationen geschallt wurden. Dabei muss die Veröffentlichung der Befunde - egal ob positiv oder negativ - verpflichtend sein. Eine Aussetzung des Herzultraschalls wäre grob fahrlässig und würde auch gegen die Satzung und die Zuchtordnung des DDC verstoßen. "Die ZO dient der Förderung planmäßiger Zucht funktional erbgesunder, verhaltenssicherer Rassehunde. Erbgesund ist ein Rassehund dann, wenn er Standardmerkmal, Rassetyp und rassetypisches Wesen vererbt, jedoch keine erheblichen erblichen Defekte, die die funktionale Gesundheit seiner Nachkommen beeinträchtigen könnten.(...) Mit dieser ZO verpflichtet sich der DDC zur Verhinderung einer Ausbeutung der Zuchttiere und zur methodischen Bekämpfung erblicher Defekte." (Zuchtordnung I.Allgemeines)

Dem Vorsitzenden des Collegium Cardiologicum war die frühzeitige Veröffentlichung der Daten, die entgegen der Vereinbarungen vom Doggenverein vorgenommen wurde, nicht bekannt. Eigentlich war eine wissenschaftlich fundierte Veröffentlichung von Seiten des Kardiologenverbandes geplant. Diese wird hoffentlich bald folgen und einige Dinge in das rechte Licht rücken!

Ein Gastbeitrag von Ruth Stolzewski

Sonntag, 4. Juni 2017

Hundezucht vor 8000 Jahren

Die renommierte Wissenschaftszeitung Science berichtet vorab von einer Studie, die in der August Ausgabe des "Journal of Archaeological Science" veröffentlicht wird. Russische Forscher haben die bisher ältesten Hinweise auf eine gezielte Hundezucht gefunden, 8.000 Jahre alt. Fundort ist eine kleine Insel weitab in der Ostsibirischen See, die erst 1914 entdeckt worden ist: die Schochow-Insel (engl. Zhokhov Island). Diese Insel war in der Steinzeit mit dem Festland verbunden und zeigt sich heute als Paradies für Archäologen. Hier lebte vor 8.000 und mehr Jahren ein hochentwickeltes Jägervolk. Es machte sogar aktiv Jagd auf Eisbären, das größte Landraubtier der Welt. Diese Paläo-Eskimos, deren Hauptbeute Rentiere waren, sind die einzigen Jäger, die je ohne Schusswaffen Eisbären jagten. Das ist seit längerem bekannt. Die Forscher um Wladimir Pitulko und Aleksej Kasparow von der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg fanden nun weitere Spuren dieses geheimnisvollen Volkes: Reste von Schlitten und Reste von insgesamt 11 Hunden.

8.000 Jahre alte Reste von Schlitten und Schlittenhunden

Bei der Untersuchung der Hundefossilien, die zum Teil sehr gut erhalten sind, konnten 10 der 11 Hunde einem recht einheitlichen Typ zugeordnet werden. Von Gewicht und Konstitution her sollen es Schlittenhunde gewesen sein, einem heutigen Sibirian Husky vergleichbar, so die Forscher. Der elfte Hund war deutlich größer und schwerer und würde als Schlittenhund viel zu schnell überhitzen. Hier wird angenommen, dass dieser noch sehr wolfsnahe Hundetyp bei der Jagd auf Eisbären geholfen hat. Im Vorabbericht von Science Redakteur David Grimm wird vermutet, dass die Hunde der Schochow-Insel jeweils gezielt für ihre Arbeitsaufgaben herausgezüchtet worden sind.
Hundeschädel von der Schochow-Insel (Foto: Elena Pawlowa)
Dieser Fund der russischen Archäologen ist ein wichtiger Beleg für das bereits 2009 beschriebene und in "Tierisch beste Freunde" umfassend begründete Modell der "Aktiven sozialen Domestikation des Hundes". Der Wolf wurde nicht als "geretteter", handaufgezogener Welpe zum Hund. Der Wolf wurde auch nicht auf einer vermeintlich existierenden ökologischen Nische "Müllplatz des Menschen" zum Hund. Er mutierte in einer solchen Nische auch nicht vom Jäger zum Müll- und Aasfresser, wie es Ray und Lorna Coppinger sowie die Wiener Verhaltensbiologinnen Friederike Range, Sarah Marshall-Pescini und Zsófia Virányi unterstellen. Eine solche Nische gab es schlicht nicht. Wie auf Petwatch bereits ausgeführt, kennen Archäologen aus der Steinzeit keine Müllkippen, die ein solches Biotop hätten abgeben können. Hierfür gibt es keinerlei Belege. Es gab bestenfalls solche aus Resten der Steinwerkzeugproduktion, Muscheln oder viel später aus zu Bruch gegangenem Steingut. Die Menschen verwerteten noch bis in die frühe Neuzeit hinein alles Essbare. Da wurde nichts weggeschmissen oder zurückgelassen - vielleicht einmal als Ausnahme. In der Steinzeit wurden aus Knochen Werkzeuge, aus Fellen Kleidung und Zelte, aus Sehnen Garn und Spannmaterial. Da blieb - zumindest in der Regel - nichts über, was eine ganze Population von "ansonsten nutzlosen" Hunden auch nur annähernd hätte am Leben erhalten können.
Schlittengespann in Sibirien, Illustration von 1856 (Quelle: Science)
Domestizierung des Hundes als Arbeitspartner

Der Hund verband sich aktiv und über seine nützliche Rolle im Überlebenskampf mit den Menschen. Er jagte, wachte, beschützte die Gemeinschaft und - wie jetzt belegt wurde - er machte sich auch schon sehr früh als Transporthelfer nützlich. Gemeinsam war (und ist) man stärker. Mit der Rolle als Arbeitspartner des Menschen wurden die erstaunlichen, einzigartigen Eigenschaften des Hundes in Bezug auf den Menschen herausgebildet. Der Hund denkt, fühlt und arbeitet mit dem Menschen. Die Schlittenhunde von Schochow sind ein weiterer Beleg für dieses Modell. Sie mussten nicht nur spezielle körperliche Eigenschaften haben, um für diese Arbeit zu taugen, wie es die Archäologen anhand der Fossilien belegen können. Sie mussten darüber hinaus auch über spezielle mentale Eigenschaften verfügen. Wer schon einmal Musher war und einen Schlitten mit mehreren Hunden geführt hat, weiß wovon ich spreche.

Mehr hierzu am
17. Juni 2017
auf dem
Wissenschaft trifft Hund - Der Wolf. Der Hund. Der Mensch."


Ein Artikel von Christoph Jung

Sonntag, 21. Mai 2017

3. Rostocker Vierbeinersymposium

A17.Juni 2017, 09:00 - 17:00 Uhr findet das 3. Rostocker Vierbeinersymposium statt. Das Motto lautet:
Wissenschaft trifft Hund
Der Wolf. Der Hund. Der Mensch.

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir laden Sie recht herzlich zum 3. Rostocker Vierbeinersymposium ein. Im Mittelpunkt des diesjährigen Symposiums stehen Domestikation, Sozialverhalten und Bindung.

Veranstalter:
Universität Rostock, Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät
Kathrin Richter, Privatinitiative "Pfotenpenne"
Heike Rudnik, Tierklinik Rostock

Veranstaltungsort:
Hörsaal JLW8-HSL
Justus-von-Liebig-Weg 8, 18059 Rostock
Referenten:
Dr. Marie Nitzschner, Christoph Jung, Daniela Pörtl

Links:






Montag, 1. Mai 2017

Rezension: What is a Dog? von Ray and Lorna Coppinger

Im April 2016 erschien das neue Buch von Raymond Coppinger und Lorna Coppinger "What is a Dog?", das jetzt als Taschenbuch (in Englisch) verfügbar ist. Es enthält die Weiterführung ihrer bereits 2001 mit "Hunde" veröffentlichten Hypothese, dass der Hund auf und durch den Müllplatz zu einem domestizierten Tier wurde und der Müllplatz die natürliche ökologische Nische des Hundes sei.

Domestikation des Hundes erst vor 8.000 Jahren

Vor 7.000 bis 8.000 Jahren seien die ersten Hunde auf den Müllplätzen der Dörfer und Städte unserer ersten Ackerbauerkulturen entstanden. Die heutigen Straßenhunde oder "Village Dogs" seien die ursprünglichen und zugleich die natürlichen Hunde. Unsere bekannten Jagd-, Arbeits- und Begleithunde seien hingegen lediglich das Produkt "eugenischer" (!) Zuchtprogramme im Europa der letzten 200 Jahre. Überhaupt, so die Coppingers, gäbe es keine belastbaren Hinweise für Hundezucht älter als 2.000 Jahre. Dazu genügen ihnen Verweise auf die Bibel und Homer.

Kein bester Freund des Menschen

Für Ray Coppinger ist es, so wörtlich, ein hohles Statement, vom "besten Freund des Menschen" zu sprechen. Hunde seien nicht anders als Tauben, Hühner oder Ratten, alles "domestic animals" auf derselben Ebene. Der Hund habe lediglich den - so wörtlich Coppinger - Trick heraus, einen Menschen als Wirt für die Aufzucht seiner Welpen zu instrumentalisieren, um damit seinen Fortpflanzungserfolg zu erhöhen. Coppingers vergleichen dieses Verhalten ausdrücklich und wiederholt mit dem des Kuckucks. Sie stellen ferner die Behauptung auf, ein Hund würde wie eine Gans in seinen Lebenswochen 4 bis 14 auf ein beliebiges Objekt als Sozialpartner geprägt und - so wörtlich - sei es auch nur eine Milchkanne (diese Behauptung wird sogar im Summary wiederholt und durch vermeintliche Beobachtungen belegt). Es gäbe keinen genetischen Faktor für Zahmheit. Der ganze Tenor des Buchs unterstellt einen caniden Vierbeiner, dem jegliche emotionale oder kognitive Fähigkeit oder gar Verbindung zum Menschen abgesprochen wird - außer den hier dargestellten. Vielmehr wird ausführlich aufgelistet, welche Schäden der Hund anrichtet, dass zum Beispiel 70.000 Menschen im Jahr nicht an Tollwut sterben müssten und die Menschen besser schlafen könnten, würden Hunde von der Erde verschwinden (Seite 133).

Darcy Morey´s Idee von der ökologischen Nische Mensch

Nur wenigen Aussagen der Autoren von "What is a Dog?" kann der Rezensent zustimmen. Eine ist, dass sich der Hund selbst domestiziert habe. Dass der Hund sich die neue ökologische Nische, die durch den Menschen entstand, erschlossen habe, ist hingegen kein originärer Gedanke von Coppinger. Bereits 1994 hat der Archäologe Dracy F. Morey dieses Konzept der Erschließung der ökologischen Nische Mensch durch den Hund ausgeführt (1). Allerdings eben nicht mit dem zentralen und einzigen Element "menschlicher Abfall", wie es Ray und Lorna Coppinger tun, und eben ausgehend von einer Abstammung vom Wolf. Der emeritierte Biologie Professor Ray Coppinger behauptet zudem allen Ernstes, dass der Hund nicht vom Wolf abstamme, viel mehr dass dies angeblich "für alle Wissenschaftler unter uns" eine offene Frage sei.

Skurrile Ignoranz

Freilich lässt er offen, wer dann Stammvater und -mutter der Hunde seien. Hier deutet er diffus einen Prozess der Hybridisierung mit einer unbekannten Canis-(Sub-)Spezies als inneren Motor zur Erschließung der Nische menschlicher Müll an. Als biologische Funktionen der Evolution werden daneben lediglich Mutation, Founder Effekt und schließlich "postzygotic selection" angeführt, sprich, dass der Mensch aus den bereits geworfenen Welpen selektiert, welcher Welpe getötet und welcher weiterleben darf. Die Erkenntnisse der modernen Genetik etwa zur Epigenetik oder Paläogenetik werden vollständig ignoriert. Vielmehr werden alle wissenschaftlichen Disziplinen, die Erkenntnisse liefern, die dem Müll-Konzept zuwiderlaufen schlicht ignoriert oder als nicht relevant abgekanzelt.
Das spiegelt sich in den Quellenangaben im Buch wieder. Von 188 Quellen stammen ganze 8 aus den letzten 5 Jahren, nur wenige mehr aus den letzen 10 Jahren. Dabei haben gerade die letzten Jahre eine Menge handfester, wissenschaftlich solide begründeter Belege gebracht, was die Abstammung des Hundes und seine Fähigkeiten in Bezug auf uns Menschen angehen. Die ernsthafte Wissenschaft ist sich über die verschiedenen beteiligten Disziplinen (Archäologie, Biologie, Paläogenetik, Paläontologie, etc) hinweg längst einig, dass der Hund einzig vom Wolf abstammt. Man ist sich ebenfalls einig, dass die Trennung der beiden Linien erstmals vor 15.000 oder mehr Jahren stattgefunden haben muss. Man hat Gräber aus der Steinzeit, teils aus Epochen lange vor der Sesshaftwerdung, gefunden, in denen Menschen mit Hunden gemeinsam bestattet wurden. Es waren Hunde und keine Wölfe, Füchse oder Schakale. Soviel Ehre für einen Paria vom vermeintlich existierenden Müllplatz? Paläogenetiker wie ein Svante Pääbo vom MPI Leipzig können anhand der DNA sogar Unterformen fossiler Wölfe samt deren Alter sowie entsprechend fossile Hunde sicher bestimmen. Auch kann man immer genauer anhand der DNA rezenter Hunde und Wölfe den Stammbaum der Entwicklung nachzeichnen. Ein Schakal oder ein Fuchs kann als Ahne sicher ausgeschlossen werden. Das schert die Coppingers nicht.

Wo waren die Müllkippen der Steinzeit?

Die Coppingers machen sich nicht einmal die Mühe, auf die von ihnen unterstellten Müllberge der Jungsteinzeit vor 8.000 Jahren zu schauen. Die Archäologie liefert keinerlei Hinweise, dass die Menschen vor 7.000 oder gar 10.000 Jahren massenhaft Lebensmittel auf irgendeinen Müllplatz geworfen hätten. Ganz im Gegenteil, wurde Nahrung noch bis in die Neuzeit hinein sehr sorgfältig genutzt und kaum etwas Essbares - wie es heute leider üblich ist - einfach weggeschmissen. Was die sesshaften Menschen der Ackerbaukulturen nicht mehr selber aßen, bekamen die Schweine und Hühner - und eben auch die Jagd-, Wach- oder Schäferhunde. Die Sammler- und Jägerkulturen, die den Entwicklungsstand der Menschheit noch vor wenigen tausend Jahren in den meisten Gebieten der Erde repräsentierten, waren Meister in der Verwertung schlicht von allem, was die Beute hergab. Hier wurden selbst Knochen und Sehnen praktisch restlos verwertet. Knochen, die als Werkzeug, Rohling für Schnitzereien oder Baumaterial nicht taugten, wurden noch in der ausgehenden Eiszeit als Brennmaterial verwendet. Wie sollte sich da eine neue ökologische Nische auftun, die zumal so ergiebig sein musste, dass eine neue Subspezies entstehen und sich ganze Populationen dieser neuen Subspezies - woher auch immer kommend - bilden konnten? Coppingers legen detaillierte Berechnungen vor - aber welche? Ihr Ergebnis, dass 15 Menschen mit ihrem Müll einen Hund ernähren, basiert auf ihren Beobachtungen der Müllproduktion des heutigen Menschen, konkret von Megacities wie Mexiko, Städten wie Tijuana oder ostafrikanischen Dörfern auf Pemba. Von achtlos weggeworfenem Müll eines Jäger- und Sammler-Clans oder einer steinzeitlichen Ackerbauersiedlung konnte demgegenüber kein Hund je satt werden.

Wenn es diese Nische nicht war, dann eben eine andere...

Das Schlusswort dieser Rezension überlasse ich Ray and Lorna Coppinger selber: "Where there dogs before the age of agriculture? Probably not, but if there were, they adaptet to a different niche." (Seite 43)


Eine Rezension von Christoph Jung

(1) Morey, D.F. 1994. The Early Evolution of the Domestic Dog. American Scientist 82:336-347.


Donnerstag, 13. April 2017

Hunde können die Perspektive des Menschen verstehen

Als hochsoziale Wesen können wir Menschen uns in andere Menschen ein stückweit hineinversetzen. Wir können das Erleben des Anderen miterleben. Hier unterscheiden wir zwei Fähigkeiten: Empathie und TOM. Empathie ist das gefühlsmäßige Miterleben mit den Gefühlen anderer Menschen. TOM ist eine Abkürzung für "Theory of Mind" was die kognitive Fähigkeit meint, die Perspektive eines Anderen einzunehmen, quasi dessen Erkennen, Denken, Absichten mit- oder nachzudenken. Die Wissenschaft beharrte lange Zeit darauf, dass diese beiden Fähigkeiten ausschließlich dem Menschen vorbehalten seien. Inzwischen ist mehrfach nachgewiesen, dass auch Tiere wie Schimpansen, Raben oder Hunde Empathie empfinden können. Hunde leiden mit, wenn Herrchen oder Frauchen leiden, entsprechend freuen sie sich. Die Kognitionsbiologen der Veterinärmedizinischen Universität Wien um Ludwig Huber haben nun einen sehr starken Beleg geliefert, dass Hunde auch zu TOM in der Lage sind.

Empathie und Theory of Mind bei Hunden? 

Neuere Untersuchungen, die auf die Fähigkeit von TOM bei Hunden hinwiesen, waren bisher sehr umstritten. Huber und seine Mitarbeiter haben sich einen cleveren Versuchsaufbau ausgedacht, um diese Fähigkeit überzeugend auszuforschen. Sie verwendeten das Guesser-Knower-Paradigma, ein Standardtest in der Erforschung der Wissenszuschreibung (TOM), den sie weiterentwickelten.

Ich weiß, ob du was gesehen hast!

In der Standardversion gibt es immer zwei Personen, einen "Wissenden", der das Futter - für den Hund unsichtbar - unter eine von mehreren Schalen platziert oder weiß, wo es von jemand anderem platziert wurde, und einen "Unwissenden". Der Unwissende war beim Verstecken des Futters in Futterschalen entweder nicht im Raum oder hielt sich die Hände vor das Gesicht. Eine undurchsichtige Wand versperrt den Tieren die Sicht auf das Verstecken des Futters. Danach werden die beiden Menschen, der Wissende wie der Unwissende zu Informationsgebern, indem sie mit der Hand auf unterschiedliche Futterschalen zeigen. Etwa 70% der Hunde folgen dem Hinweis des "Wissenden". Das belegt, dass die Hunde beobachtet und erkannt hatten, wer die richtigen Informationen überhaupt haben konnte und dieses Wissen gezielt nutzten. Eine solche Untersuchung hatten neuseeländische Forscher bereits 2014 publiziert. Dies kann man als ersten Hinweis auf TOM werten. Eine solche Interpretation blieb aber in der Fachwelt umstritten.
Die Vierbeiner übernehmen die Perspektive, also die Blickrichtung des richtigen Informanten, um an verstecktes Futter zu kommen. Ludwig Huber/Vetmeduni Vienna
Ich weiß, was du gesehen hast!

Die Wiener Forscherinnen um Prof. Huber bestätigten zunächst einmal das Ergebnis aus Neuseeland. Dann setzten sie noch einen drauf. "Wissende" und "Unwissende" waren nun zwei Menschen, die in dieselbe Richtung schauten, aber an zwei verschiedenen Ecken standen. Es waren aber - anders in dem Versuchsaufbau der Forscher aus Neuseeland - diesmal beides "Sehende". Nur: Von der einen Ecke konnte der potenzielle Informant das Verstecken beobachten, von der anderen nicht; eine Frage der Sichtweise. Wieder war es so, dass das Verstecken selbst für die Hunde nicht einsehbar war. Sie konnten daher auch nicht unmittelbar sehen, dass ein Informant das Verstecken beobachten konnte. Doch sie konnten offenbar berechnen, welcher Informant das Verstecken beobachten konnte und wer nicht. Das heißt, sie mussten die Perspektive beider Menschen einnehmen können, um dann aus der Geometrie erschließen zu können, was wer sehen kann. 70% der Hunde hatten offensichtlich genau das getan und folgten dem "Wissenden".
Hunde beobachten uns genau und können erkennen, welcher Mensch einen Hinweis auf verstecktes Futter geben kann. Ludwig Huber/Vetmeduni Vienna
Coevolution von Mensch und Hund als Sozial- und Arbeitspartner

Aus Sicht des Autors dieses Artikels ist die Wiener Arbeit eine großartige Bestätigung für die Fähigkeit zu TOM und zwar sogar interspezifischer TOM. Die Hunde konnten sich in die Sichtweise einer anderen Spezies, des Menschen, hineindenken und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Dabei gingen sie wie selbstverständlich davon aus, dass der Mensch ihnen wohlgesonnen ist, ihnen hilft und sein Wissen an den Hund korrekt weitergibt. Der Versuch ist ein weiterer Beleg für die besondere Qualität der Bindung zwischen Mensch und Hund. Der Hund ist eben nicht lediglich ein Paria, ein an der Müllkippe zahm gewordener Wolf. Der Hund hat eine weit über 15.000-jährige Geschichte der Coevolution mit dem Menschen hinter sich, ist dessen Sozial- und Arbeitspartner geworden. Der Hund hat sich freiwillig und aktiv domestiziert und domestizierte dabei auch ein stückweit den Menschen, so dass dieser neurobiologisch in die Lage versetzt wurde, höhere Kulturen und größere soziale Strukturen zu entwickeln und das schon lange vor seiner Sesshaftwerdung.

Ein Beitrag von Christoph Jung

Links:
zu den Hintergründen und Studien des Autors zum Thema Coevolution:
  • Vortrag:
    3. Rostocker Vierbeinersymposium "Wissenschaft trifft Hund - Der Wolf. Der Hund. Der Mensch." am 17.Juni 2017 (in Zusammenarbeit des Vierbeinerforums mit dem NABU und der Universität Rostock)
  • Artikel in der aktuellen Ausgabe 27 von SitzPlatzFuss
    "Koevolution von Mensch und Hund"
  • Bericht im Spiegel 11/2017 und online (Spiegel Plus)
  • "Tierisch beste Freunde - Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin" von Daniela Pörtl und Christoph Jung
  • Poertl D., Jung C. "The domestication from the wolf to the dog is based on coevolution." Dog Behavior Vol 2, No 3 (2016) DOI: http://dx.doi.org/10.4454/db.v2i3.44 (peer-reviewed)


 
Petwatch Blog