Sonntag, 1. November 2015

Tierisch beste Freunde

Ein Beitrag zu meinen/unserem neuen Buch.
Ist sie wirklich etwas Besonderes, die Beziehung zwischen Mensch und Hund? Oder ist es nur Sentimentalität vereinsamter Großstadtmenschen, die von inniger Bindung zwischen Mensch und Hund schwärmen? Diese Frage war lange kein ernsthaftes Thema weiter Teile der Naturwissenschaften. Regelmäßig wurde das Verhältnis Mensch-Hund als trivial erklärt, Besonderheiten dieser Beziehung zweier Spezies als Einbildung der Hundefreunde, als wissenschaftlich unhaltbar abqualifiziert. Zusammen mit Daniela Pörtl, Ärztin im Bereich Neurologie und Psychiatrie, habe ich dieses Thema in unserem neuen Buch genauer beleuchtet.
Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin
von Daniela Pörtl und Christoph Jung
Es klingt zunächst ganz banal. Aus dem Wolf ist einzig durch den Bezug zum Menschen der Hund entstanden. Also kann man den Hund auch nur verstehen, wenn man ihn im Kontext Mensch anschaut. Dieser Kontext ist im wahrsten Sinne des Wortes steinalt. Er beginnt bereits in der Altsteinzeit, kurz nachdem die ersten modernen Menschen Europa erreichten und Schritt für Schritt eroberten. Wir müssen also schauen, wie Menschen und Wölfe zu jener Zeit lebten. Im harten Überlebenskampf in der Mammutfauna der Eiszeit beanspruchten Mensch und Wolf exakt dasselbe Biotop. Und sie jagten mit den gleichen kollektiven Methoden dasselbe Großwild, etwa Mammut und Bison. Diese unmittelbare Konkurrenz im Kampf ums Überleben ist alles andere als eine gute Voraussetzungen für Freundschaft! Nichtsdestotrotz muss es zumindest bei einigen Wolfsrudeln und Menschen-Clans "gefunkt" haben. Sonst gäbe es heute keine Hunde.
Wölfe im Yellowstone jagen einen Wapiti Hirsch (c NPS)
In unserem Buch schauen wir, welche mentalen Funktionen diese Verbindung zweier unmittelbar konkurrierenden, ebenbürtigen Beutegreifer überhaupt möglich machten. Es sind bei beiden Spezies sehr ähnliche elementare Grundfunktionen kooperativer Sozialität, die aus einer Kommunikation und Zusammenarbeit innerhalb der eigenen Art, also innerhalb des Wolfsrudels und innerhalb der Gruppe eiszeitlicher Jäger schließlich eine zwischenartliche ermöglichte. Und tatsächlich sind diese Funktionen noch heute lebendig, sichtbar und bis in die neurobiologischen Abläufe hinein nachweisbar. Hormone wie Cortison, Serotonin oder Oxytocin wirken bei Hunden und Menschen inner- und zwischenartlich sehr ähnlich. Und nicht nur diese. Man kann die Vorgänge der Hundwerdung vor mehr als 30.000 Jahren noch heute in den psychodynamischen, neurobiologischen und epigenetischen Vorgängen nachvollziehen. Dabei zeigt sich auch, dass die Veränderungen, die aus dem Wolf einen Hund werden ließen, nicht hinreichend mit einfachen genetischen Gesetzmäßigkeiten wie Mutation und Selektion auf Zahmheit erklärt werden können.

Mensch und Hund sind viel enger miteinander verzahnt, als wir gemeinhin denken und in unserer Kultur zu denken "erlaubt" ist. Die produktiven Funktionen des Hundes als Jagdhelfer, Beschützer, Hüter, Treiber, Zugmaschine und viele mehr begleiteten die Menschheit bereits seit zig tausenden Jahren, als sie schließlich die ersten antiken Kulturen hervorbrachte. Schon allein aufgrund dieser Funktionen kann man ihn als Katalysator für die Entwicklung der Menschheit bezeichnen. Daher verdient der Hund eine viel höhere Wertschätzung in unserer Gesellschaft. Ganz daneben sind die unsäglichen Verunglimpfungen, die er seit ein paar hundert von Jahren durch manche Religion erfahren muss.
Daniela Pörtl und Zander
In unserem Buch arbeiten wir heraus, dass eine weitere "Funktion" sehr wahrscheinlich noch viel einschneidender war und - im Kern - noch heute ist. Die Freundschaft zum Hund half und hilft der Menschheit beim Stressabbau. Die Kooperation mit dem Wolf im Überlebenskampf der Eiszeit gab den Menschen mehr Sicherheit und senkte damit den Stresslevel (beim zum Hund werdenden Wolf ebenso). Das tendenziell sinkende Stressniveau ließ die kognitive, kulturelle und soziale Kompetenz des Menschen aufblühen und begünstigte zudem Gesundheit und Fertilität. So fällt der sprunghafte Fortschritt der Menschheit in der "Aurignacien" genannten Steinzeit-Epoche genau in die Zeit, wo der Beginn der Kooperation mit dem Wolf vermutet wird. Heute noch lassen sich diese Wirkungen des Hundes auf den Menschen, die uns sozialer, entspannter, mental leistungsfähiger und gesünder werden lassen, feststellen und zum Beispiel in unseren Hormonen messen. Der Hund tut uns gut.

Wir kommen zum Schluss, dass der Hund ganz eng mit uns Menschen und unserem Wohlbefinden verbunden ist. Deshalb ist "Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin" auch ein Buch über Menschen. Den Hund kann man nicht ohne den Menschen, dessen Geschichte, Kultur, Psyche, Neurobiologie verstehen. Zumindest ein Stück weit gehört auch der Hund dazu, wenn wir uns mit der Entwicklung unserer eigenen Spezies beschäftigen. Last but not least wollen wir uns auch an dieser Stelle beim Schattauer-Verlag, Stuttgart, für das Engagement zur Herausgabe dieses Buchs und bei Andreas Kieling für sein Geleitwort bedanken.

November 2015
Daniela Pörtl und Christoph Jung


aktuelle Infos rund um das Thema gibt es auf Twitter:
twitter.com/Chr_Jung
@Chr_Jung


Ergänzung 16.11.15:

Dr. Bertrams BücherBord - Folge 2: "Tierisch beste Freunde"

Der verlegerische Geschäftsführer des Schattauer Verlags, Dr. Wulf Bertram, gibt in der VideoPodcastReihe "Dr. Bertrams BücherBord" Buchempfehlungen zu Neuerscheinungen aus dem renommierten Stuttgarter Medizinverlag.

In Folge 2 geht es um "Tierisch beste Freunde" von Christoph Jung und Daniela Pörtl. Mit seinem Hund Baloo gibt Dr. Bertram einen kleinen Einblick, wieso sich Mensch und Hund so "tierisch gut" verstehen ...













Freitag, 16. Oktober 2015

Joint Attention: Hunde beobachten soziale Interaktionen wie Menschen

In den letzten 10 bis 15 Jahren haben wir zahlreiche wissenschaftliche Experimente gesehen, die nachweisen, dass Hunde den Blicken der Menschen folgen und sich hieran orientieren. Sie tun dies mit einer Intensität wie keine andere nicht-menschliche Spezies, kein Schimpanse, Bonobo oder Wolf. Selbst Hunde-Welpen, die ohne Kontakt zu Menschen aufgewachsen sind, orientieren sich instinktiv an den Blicken des Menschen, wie im Max-Planck-Institut Leipzig nachgewiesen wurde.

Heini Törnqvist und sein Team von der Universität Helsinki gehen dieser Fragen einen Schritt weiter nach. Sie untersuchten die Aufmerksamkeit von Hunden und Menschen in Bezug auf soziale Interaktion und zwar im direkten Vergleich. Hierzu wurden mit 46 Hunden und 26 Menschen Tests durchgeführt. Die Hunde waren aus zwei Gruppen zusammengesetzt. Einerseits gut sozial eingebundene Familienhunde, andererseits Hunde aus Zwingerhaltung. Analog zwei Gruppen auch bei den Menschen: Einerseits Hunde-Experten, andererseits Leute mit wenig Hundeerfahrung. Alle Teilnehmer des Tests mussten Fotos anschauen, die einmal Menschen und einmal Hunde zeigen. Die Fotos zeigten zum einen Menschen die sozial interagieren und sich dabei anschauen, zum anderen Menschen, die voneinander wegschauen. Dasselbe bei den Fotos von den Hunden. Mit einem Eye-Scanner wurde bei Testpersonen und Testhunden gemessen, wie und wie lange diese auf die jeweiligen Fotos schauten.
Eye-Scan Beispiele (C) Törnqvist et al. 2015
Das Ergebnis war eindeutig. Menschen und Hunde verhielten sich gleich. Die Fotos mit der sozialen Interaktion wurden durchweg länger betrachtet und sehr ähnlich analysiert. Dabei nahmen sich sowohl Hunde als auch Menschen mehr Zeit, die Fotos der jeweils anderen Spezies zu betrachten. Besonders interessant: Es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen sozial kompetenten und sozial ungeschulten Teilnehmern. Die Forscher ziehen daraus den Schluss, dass hier kein erlerntes vielmehr ein grundlegendes Verhalten zum Ausdruck kommt. Sie verweisen darüber hinaus auf eine vergleichbare Untersuchung, die zeigt, dass Kleinkinder dasselbe Verhalten wie Hunde zeigen.

Von Skleren und Joint Attention

Erst im letzten Artikel auf Petwatch hatte ich über das Buch der Archäologin Pat Shipman berichtet, das einen wegweisenden Beitrag zur Erforschung der gemeinsamen Geschichte von Mensch und Hund darstellt (The Invaders: How Humans and Their Dogs Drove Neanderthals to Extinction). In dem Artikel heißt es: "Als Brücke der Annäherung sieht Shipman die analogen, kollektiven Jagdtechniken von Mensch und Wolf und hier insbesondere die Funktion der Skleren, der weißen Fläche um die Iris der Augen, die es Mensch wie Wolf ermöglichen, die Absichten des anderen selbst aus der Ferne im wahrsten Sinne des Wortes von den Augen abzulesen." Die Untersuchung von Törnqvist und seinem Team kann als weiterer Beleg hierfür gewertet werden. Tatsächlich bieten Skleren eine gute, vielleicht sogar notwendige, Grundlage für eine wichtige psychische und soziale Funktion, die Joint Attention. Die Fähigkeit zu "Joint Attention", einer Form der non-verbalen Kommunikation insbesondere mit den Augen, ist wiederum Grundlage für komplexe kollektive Vorgehensweisen etwa bei der Jagd. Joint Attention, gleichgerichtete Aufmerksamkeit und sozial koordinierte Handlungsabläufe waren Überlebens notwendige Fähigkeiten, die vor 30.000 Jahren die steinzeitlichen Jäger-Clans wie auch die Großwild jagenden Wolfs-Rudel auszeichnete. Hier liegt aber auch ein elementarer Schlüssel für die Annäherung von Wölfen und Menschen und schließlich der Herausbildung des Hundes. Die Fähigkeit zu "Joint Attention" innerhalb der jeweiligen Spezies also innerhalb des Wolfsrudels und des Clans der steinzeitlichen Jäger entwickelte sich mit der Zeit zu einer interspezifischen Fähigkeit höher. Interspezifische "Joint Attention" ließ Wölfe und Menschen zielgerichtet untereinander kommunizieren und machte sie koordiniert handlungsfähig etwa bei der Jagd auf Großwild wie Mammuts oder Bisons.
In dem in den nächsten Tagen beim Schattauer-Verlag, Stuttgart erscheinenden Buch "Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin" gehen der Autor dieses Artikels und Daniela Pörtl auf diesen Prozess weiter ein. Wir zeigen, dass in der Herausbildung der interspezifischen Fähigkeit zu "Joint Attention" eine der wesentlichen Grundlagen lag, dass aus Wölfen schließlich unsere Hunde hervorgehen konnten, dass Mensch und Wolf resp. Hund sogar echte Sozialpartner werden konnten. Die Untersuchung der Finnen belegt ein weiteres Mal, dass diese Fähigkeit auch heute noch lebendig ist. Das Wissen um diese Zusammenhänge ist nicht nur von Interesse für unsere gemeinsame Geschichte, es trägt auch zu einem tieferen Verständnis für unseren besten Freund hier und heute bei. Und es trägt auch zum tieferen Verständnis unserer eigenen menschlichen Psyche bei. Die einzigartige Mensch-Hund-Beziehung sagt mehr über uns Menschen aus als wir gemeinhin denken und manche wahr haben wollen.


Ein Artikel von Christoph Jung


Sonntag, 4. Oktober 2015

The Invaders: How Humans and Their Dogs Drove Neanderthals to Extinction

Die Anthropologie-Professorin Pat Shipman hat ein Buch veröffentlicht, das ein bemerkenswertes Schlaglicht auf die (gemeinsame!) Frühgeschichte von Mensch und Hund wirft. Unter dem o.a. Titel - zu deutsch etwa "Die Invasoren: Wie Menschen und deren Hunde die Neandertaler zum Aussterben brachten" (zZ leider nur in Englisch verfügbar) - beleuchtet sie die Phase, als die ersten modernen Menschen - unsere direkten Vorfahren - vor gut 40.000 Jahren Europa erstmals betraten und schließlich eroberten. Diese Phase ist zeitgleich die des Aussterbens einer anderen menschlichen Spezies, einer Spezies, die hier bereits seit mehr als 200.000 Jahren lebte und erfolgreich überlebte, also mehr als viermal so lange, wie wir heute. Gemeint sind die von uns nach ihrem ersten Fundort nahe Düsseldorf "Neandertaler" genannten Menschen. Und, es ist zugleich auch die Phase als die Domestikation des Wolfes, die Entstehung des Hundes begann.

Der moderne Mensch als Eindringling

Shipman beleuchtet die Entwicklung zunächst aus eher biologischer Sicht. Sie schaut auf das Ökosystem der Eiszeit in Europa, auf die endlosen eurasischen Kaltsteppen und Tundren mit ihren speziellen Pflanzen- und Tiergemeinschaften. Riesige Herden großer Säugetiere vom Ren oder Bison bis zum Mammut durchzogen die eiszeitlichen Kaltsteppen. Entsprechend gab es auch ein Vielzahl großer Beutegreifer, Prädatoren, am Ende der Nahrungskette wie Höhlenlöwen, Säbelzahntiger, Leoparden, Wölfe oder Höhlenhyänen. Und es gab einen weiteren Prädator, den Neandertaler. Dieser behauptete sich über viele Klimaschwankungen und mehr als zweihunderttausend Jahre hinweg sehr erfolgreich. Der Neandertaler war - anders als lange Zeit kolportiert - kein tumber, grobschlächtiger, primitiver Frühmensch. Wie wir heute wissen hatte er Sprache, Kultur, medizinische Kenntnisse und ein teils größeres Gehirnvolumen als der moderne Mensch. Der Neandertaler ernährte sich schwerpunktmäßig von Fleisch, das er mit seinen schweren Speeren im Nahkampf erlegte oder anderen Raubtieren abjagte. In dieses recht stabile Ökosystem drangen nun unsere Vorfahren ein. Sie waren Fremde, Eindringlinge, wie Biologen heute sagen, eine invasive Spezies.

Unsere Vorfahren veränderten schon in der Altsteinzeit das Ökosystem

Invasive Arten, gerade wenn es sich um Prädatoren handelt, können ein Ökosystem nachhaltig verändern. Shipman verweist hier auf die Erfahrungen im US-Nationalpark Yellowstone. Als man dort die zuvor ausgerotteten Wölfe wieder leben und jagen ließ, verdrängten diese zunächst den ihnen am nächsten stehenden Konkurrenten, den Kojoten. Die Folgen waren aber noch viel weitreichender. Da nun die Wapiti-Hirsche starker bejagt wurden, wuchsen viele Pflanzen besser, es entstanden einst untergegangene Wälder neu. Das hatte u.a. die Wiederansiedlung des Bibers zurfolge. Soweit nur als beispielhafter Einblick. Shipman führt aus, dass eine invasive Art am stärksten ihnen nahe stehende Arten bedrängt. So bedrängte wahrscheinlich auch der frühe moderne Mensch den Neandertaler. Die erfahrene Archäologin verweist darauf, das es allerdings kaum Hinweise gibt, dass unsere Vorfahren etwa direkt Neandertaler verfolgt und getötet hätten. Im Gegenteil, haben sie sich sogar zuweilen vermischt.

Mensch und Hund - ein unschlagbares Team seit der Steinzeit

Nichtsdestotrotz, der moderne Mensch ist nach ihrer Auffassung entscheidend dafür verantwortlich, dass der Neandertaler recht bald nach seiner Ankunft in Europa ausstarb. Hierfür sieht Shipman im wesentlichen zwei Ursachen. Zum einen die bessere Anpassungsfähigkeit und kognitive Überlegenheit unserer Vorfahren, die über modernere Waffen, insbesondere Distanzwaffen wie schlanke Wurfspeere und später sogar Speerschleudern, oder weitere Technologien wie etwa die Nadel aus Elfenbein mit der man aus den Fellen bessere Kleidung schneidern konnte. Der Durchbruch gelang unseren Vorfahren jedoch erst mit Einführung einer weiteren Innovation der Menschheitsgeschichte: Die erste Domestikation einer anderen Spezies, des Wolfes. Durch die Zusammenarbeit zweier Spitzenprädatoren, des Wolfs resp. Hundes und des Menschen, waren die anderen auf der Verliererstraße. Shipman nennt dabei die ersten nicht mehr Wolfe und noch nicht ganz Hunde vor mehr als 30.000 Jahren "Wolf-Dogs". Und tatsächlich sehen wir in der Phase nach 40.000 Jahren vor unserer Zeit ein großflächiges Aussterben von anderen Spitzenprädatoren wie Höhlenlöwen, Höhlenhyänen und eben auch Neandertaler. Primär klimatische Veränderungen als Ursache zu sehen, kann nicht erklären, warum die Fauna mit eben diesen Beutegreifern bereits etliche Klimaschwankungen über zig tausende Jahre hinweg erfolgreich gemeistert hatte.
Altsteinzeitliches Lager von Mammut-Knochen
Foto: Piotr Wojtal
Shipman führt ferner an, dass ziemlich exakt aus der Epoche des Auftauchens des modernen Menschen neue archäologische Funde gemacht werden. So Fundorte, in denen massenhaft Überreste von Mammuts liegen, 10.000 Knochen mit 150 identifizierbaren Individuen. Diese sind sämtlich dem modernen Menschen zuzuschreiben, von Neandertalern hat man bisher nur einen einzigen Mammut-dominierten Fundort in Spy/Belgien ausgegraben. Dort handelte es sich durchweg um ganz junge Mammuts/-kälber. Shipman führt diesen sprunghaft höheren Jagderfolg nicht nur auf die moderen Distanzwaffen unserer Vorfahren zurück, vielmehr auch auf die Zusammenarbeit mit den "Wolf-Dogs". Mit diesen sei es auch besser gelungen, die Beute gegen andere Prädatoren zu verteidigen und so für eine längere Nutzung zu sichern. Shipman führt noch eine Reihe weiterer archäologischer Indizien wie auch Hinweise aus der Paläo-Genetik an (Petwatch berichtete hierzu mehrfach).

Von den Augen ablesen

Als Brücke der Annäherung sieht Shipman die analogen, kollektiven Jagdtechniken von Mensch und Wolf und hier insbesondere die Funktion der Skleren, der weißen Fläche um die Iris der Augen, die es Mensch wie Wolf ermöglichen, die Absichten des anderen selbst aus der Ferne im wahrsten Sinne des Wortes von den Augen abzulesen. Der Autor dieser Rezension, Christoph Jung hat 2012 zusammen mit der Medizinerin Daniela Pörtl genau hier anknüpfend das Modell der "Aktiven sozialen Domestikation" vorgestellt, das die psychischen und neurologischen Prozesse dieser Annäherung und der besonderen Beziehung zwischen Mensch und Hund erklärt. In dem zeitnah erscheinenden Buch "Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin" werden die Gesetzmäßigkeiten dieser Beziehung umfassend erläutert. Es knüpft dabei exakt an Shipmans Ausführungen an.

Das Buch von Pat Shipman ist ein spannendes, äußerst lesenswertes, innovatives Buch über die Geschichte der Menschheit und - was eben auch eine neue Sicht ist - der zugleich gemeinsamen Geschichte von Mensch und Hund seit der Altsteinzeit. Mit Shipman schließen wir mit der Frage: Ob der moderne Mensch, der sich Homo mit dem Zusatz "sapiens" schmeichelt, tatsächlich in der Lage sein wird auch nur annähernd so lange zu überleben, wie es der Neandertaler bis vor knapp 40.000 Jahren in Europa erfolgreich schaffte, wird sich noch erweisen müssen. Angesichts seines heute weltweit und massenhaft gezeigten Verhaltens sind Zweifel hieran durchaus begründbar.


Eine Rezension von Christoph Jung


Freitag, 28. August 2015

Dein Freund ist auch der Freund deines Hundes

Das könnte man aus einer im August 2015 veröffentlichten Studie aus Japan folgern (1). Professor Kazuo Fujita und sein Team vom Department of Psychology der Kyoto Universität untersuchen die Einbindung des Hundes in das soziale System des Menschen. Dazu entwarfen sie ein spannendes Experiment mit Hunden und deren jeweiligen Haltern.

Das Hilf-mir-Experiment

Der erste Teil: Herrchen oder Frauchen sollten aus einem Container ein Stück Müll herausholen. Dazu brauchten diese die Hilfe einer dritten Person. Hierfür stand ein Schauspieler im Versuchslabor. Herrchen oder Frauchen schauten diese Person lediglich hilfesuchend an. In der einen Versuchsreihe half diese Person, in der anderen dreht sich diese Person einfach nur weg und verweigerte so die Hilfe. Der Hund beobachtete diese Situation. Schließlich gab es noch eine Kontroll-Variante bei der ein Schauspieler sich lediglich umdrehte, ohne nach Hilfe gefragt worden zu sein.
Foto: Christoph Jung
Der zweite Teil: Nun führte man die Hunde und die Schauspieler zusammen, einmal den helfenden, das andere Mal den Hilfe verweigernden. Die Schauspieler boten dem Hund Leckerli an. Und das Erstaunliche: Die Hunde verweigerten die Annahme des Futters von dem Hilfe verweigernden Schauspieler, nicht aber von dem helfenden oder dem "neutralen" der Kontroll-Variante.

Hund erfährt soziale Beziehung unter Menschen als eigene

Dieses Experiment gibt einen bemerkenswerten Einblick in die enge soziale Verbundenheit des Hundes mit der Spezies Mensch. Der Hund hatte keinen Vorteil oder Nachteil aus einer der Variante der Aktionen. Für ihn sollte es eigentlich belanglos sein, ob jemand seinem Herrchen oder Frauchen hilft. War es aber nicht. Denn es war für die Hunde offenbar wichtig, wie ein anderer Mensch der eigenen menschlichen Bezugsperson gegenüber steht. Sie verweigern sogar die Annahme von Futter nur aus dem Grund, weil eine negative soziale Beziehung zur eigenen menschlichen Bezugsperson erlebt worden ist. Der Freund von Herrchen und Frauchen ist auch mein Freund, so scheint es der Hund zu sehen.
Eine uralte, enge Verbindung von Mensch und Hund im Überlebenskampf.
Foto: Christoph Jung
Diese auch im wissenschaftlichen Experiment nun bestätigte Erfahrung, kennen aufmerksame Hundehalter bereits. Dein Freund ist zugleich der Freund deines Hundes. Das kann allerdings Grenzen haben. Denn Hunde können eifersüchtig sein, ebenfalls inzwischen durch die Verhaltensforschung belegt (...und bis dato von der Wissenschaft als allein menschliche Fähigkeit beurteilt). Der Hund sieht sich in das soziale System des Menschen eingebunden und erfährt es als sein eigenes. Dies verwundert letztlich kaum, verfolgt man die mehr als 30.000 Jahre währende enge Verbundenheit dieser beiden Spezies im Überlebenskampf bereits seit der Altsteinzeit. Wir werden demnächst noch Erstaunliches zu dem Geheimnissen dieser Freundschaft veröffentlichen.


(1) Hitomi Chijiiwa, Hika Kuroshima, Yusuke Hori, James R. Anderson, Kazuo Fujita. Dogs avoid people who behave negatively to their owner: third-party affective evaluation. Animal Behaviour Volume 106, August 2015, Pages 123–127

Ein Artikel von Christoph Jung


Montag, 4. Mai 2015

Dokumentarfilm "Freund oder Feind"

Die Filmemacherin Ruth Stolzewski hat sich durch engagierte Videos zu den Missständen in der Hundezucht anhand der tödlichen, durch die Zucht als Seuche verbreiteten Herzkrankheit DCM beim Dobermann hervorgetan. Sie zählt zu den - leider - sehr wenigen Medien-Leuten, die wirklich ernsthaft für das Wohl unserer Hunde Partei ergreift und nicht lediglich schwülstiges Hundchen-Tata ablässt.

Nun bereitet sie ein neues Filmprojekt vor, für die sie um weitere Unterstützer wirbt. Zu einem auf Youtube veröffentlichten Vorschau-Video schreibt sie:

"Im Dokumentarfilm "Freund oder Feind" geht es um die ambivalente Beziehung zwischen dem Menschen und seinem ältesten Haustier, dem Hund. Der Hund ist der beste Freund des Menschen, aber ist der Mensch auch der beste Freund des Hundes? Oder sein schlimmster Feind?"

Ein ausgesprochen interessantes Thema!
Christoph Jung

Samstag, 25. April 2015

Der besondere Hundeblick

Der Blick unseres Hundes kann das Herz von Herrchen und Frauchen zum schmelzen bringen. Auch Hunde scheinen den Blick vertrauter Menschen zu mögen. Dabei vermeiden Hunde untereinander meistens, sich in die Augen zu schauen. Es gilt häufig als Provokation, als eher aggressiver denn emotional entspannender Akt. Auch bei Menschen untereinander hat das "in die Augen schauen" zwei Bedeutungen. Es kann eine Geste der Dominanz, der Ermahnung sein. Unter vertrauten Menschen ist es zumeist eine Geste der Zuneigung, des Vertrauens und Mittel zur Stärkung der Bindung. Dabei wird das Hormon Oxytocin ausgeschüttet.

Oxytocin nicht nur zum "kuscheln"

Oxytocin, 1906 von Henry Dale entdeckt, wird gemeinhin als "Kuschelhormon" bezeichnet. Tatsächlich ist es ein neurobiologisches Steuerungselement zur Stärkung der Bindung von Menschen und anderen Säugetier-Spezies untereinander, innerhalb ihrer jeweiligen Spezies. Es spielt für die Mutter-Baby-Bindung eine grundlegende Rolle, wie etwa von der schwedischen Physiologie-Professorin Kerstin Uvnäs-Moberg nachgewiesen wurde, die zugleich deren stressreduzierende Wirkung beschrieb. Oxytocin als Steuerungselement hat seine verbindende Bedeutung aber nur bei individualisierten Beziehungen von Menschen untereinander bis hin zur Größenordnung einer Kleingruppe. Bei einer großen Anzahl von Individuen wirkt es zugleich als innere Abgrenzung der eigenen Kleingruppe gegenüber Außenstehenden.
Foto: Christoph Jung
Mensch und Hund verbindet Besonderes. Für die meisten Hundehalter ist diese Feststellung nichts Neues, eine Selbstverständlichkeit. Sie entspricht der täglichen, langjährig erlebten Erfahrung, oft über Generationen hinweg. Die Wissenschaft ist da etwas vorsichtiger mit ihren Aussagen. Da müssen erst einmal belastbare Belege her. Lange Zeit haben es Wissenschaftler als melancholische Verklärung angetan, dem Hund eine besondere Stellung einzuräumen. Seit einigen Jahren wird die Mensch-Hund-Beziehung von verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen systematisch erforscht. Schritt für Schritt werden die Erfahrungen aus der Praxis des Zusammenlebens mit Hund bestätigt und wissenschaftlich untermauert.

Erfahrungen der Hundefreunde werden wissenschaftlich bestätigt

Dabei wurde nachgewiesen, dass in der Beziehung Mensch - Hund ebenfalls Oxytocin aktiv ist. So lässt das Streicheln des Hundes vermehrt Oxytocin ausschütten wie Untersuchungen in Italien und Südafrika zeigten. Das gilt besonders im Zusammenhang mit der Begrüßung des Hundes durch den Halter, wie Therese Rehn von der Uni Uppsala in Schweden erst kürzlich belegen konnte. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Studien, die eine entspannende, stressreduzierende Wirkung des Kontaktes von Mensch und Hund neurobiologisch nachweisen.
Foto: Christoph Jung
Japanische Forscher um Miho Nagasawa haben jetzt aktuell eine Studie veröffentlicht, die noch einen Schritt weitergeht. Erstmals wurde ein selbsterhaltender Oxytocin-basierter Regelkreis zwischen Mensch und Hund nachgewiesen. Wenn sich Hund und Halter, also vertraute Individuen, gegenseitig in die Augen schauen, so fördert das bei Beiden die Ausschüttung von Oxytocin. Die Forscher konnten nachweisen, dass eine oxytocinvermittelte Gefühls-Rückkopplung aktiv ist, die es ansonsten nur innerhalb einer Spezies, etwa unter vertrauten Menschen gibt. Hier wirkt zwischen Halter und Hund, also Vertretern zweier unterschiedlicher Spezies. Bei Wölfen, auch wenn sie vom Menschen handaufgezogen wurden, diesem also sehr vertraut sind, zeigt sich kein Oxytocinanstieg beim Blickkontakt. Zudem vermeiden selbst zahme Wölfe solchen Blickkontakt eher. Die Studie aus Japan ist der erste wissenschaftliche Nachweis eines zwischenartlichen selbsterhaltenden Oxytocin-Regelkreises überhaupt.
Foto: Christoph Jung
Die Wirkung von Mensch und Hund aufeinander ist einzigartig

Die Beziehung zwischen Mensch und Hund ist eine besondere. Sie hat sich in über 30.000 Jahren gemeinsamen Kampfs ums Überleben herausgebildet. Es ist eine Partnerschaft, die schon seit und mit ihrer Entstehung in der Altsteinzeit half, Stress abzubauen und zwar für Mensch und Hund resp. Wolf. Gemeinsam war man in den eiszeitlichen Mammutsteppen ein starkes Team. Weniger Stress im alltäglich Überlebenskampf bedeutete mehr Potential für die kreativen und kulturellen Fähigkeiten der Menschen, für deren Fähigkeit, größere soziale Strukturen mit Handel und Arbeitsteilung zu entwickeln. Auch die einzigartige Fähigkeit der Hundes, vielfältigste Aufgaben für den Menschen und in teils engster Teamwork mit dem Menschen zu übernehmen, hat hier ihre Wurzel.

29.000 Jahre alter Hundeschädel, dem man einen Mammutknochen ins Maul gelegt hat: "Dank an einen verdienten Jagdpartner?" fragen die Archäologen
(Anthropos Museum, Brno, mit freundlicher Genehmigung Mietje Germonpré)

Mehr als nur Selektion auf Zahmheit

Hormone wie Oxytocin, Serotonin oder Dopamin zeigen die tiefgehende Bedeutung der Bindung Mensch Hund bis auf neurobiologische Ebene an. Deren Wirkung wirft auch ein neues Licht auf die Entstehung und das Verstehen des Hundes. Sie erzählt uns viel mehr über den Menschen als bisher gedacht wurde. Und sie zeigt, dass die Entstehung des Hundes nicht allein aus genetischer Selektion zu erklären ist. Ein spannendes, bisher kaum erforschtes Kapitel auch der Menschheitsgeschichte. Zusammen mit der Neurologin Daniela Pörtl hat der Autor dieser Zeilen hierzu 2012 das Modell der aktiven sozialen Domestikation des Hundes vorgestellt.

Ein Beitrag von Christoph Jung, Diplom-Psychologe



Montag, 12. Januar 2015

Quo vadis Dobermann?

Unter diesem Titel hat Ruth Stolzewski ein Video zur Lage beim Dobermann veröffentlicht - knapp zwei Jahre nach ihrem ersten Video zum Dobermann. Auf Petwatch hatten wir mit einer kleinen Serie von vier Artikeln über den DCM-Skandal (dilatative Kardiomyopathie) im Verband für das deutsche Hundewesen (VDH) berichtet. Geändert hat sich leider (noch immer) nichts.

Tierschutzskandal

Der für die Zucht des Dobermanns verantwortliche Mitgliedsverein des VDH verweigert seit nunmehr Jahrzehnten die Realisierung eines Zuchtprogramms zur Zurückdrängung dieser tödlichen, erblich bedingten Herzkrankheit, die mittlerweile mehr als 50% der Zuchtpopulation erfasst hat. Es handelt sich um eine zuchtbedingte Seuche, die wissenschaftlich gut beschrieben und zudem unstrittig ist. Das widerspricht nicht nur diametral den Zuchtrichtlinien des VDH (Papier ist geduldig in der "einzig kontrollierten" Hundezucht), es ist vielmehr ein handfester Tierschutzskandal. Es zeigt, was von der realen Tierschutzsituation in Deutschland zu halten ist, wenn hier keine Institution eingreift und solche systematischen Taten zulasten des Wohls und der Gesundheit der Hunde ohne zivil- und strafrechtliche Konsequenzen bleiben.

Artikelserie bei Petwatch:

Skandal beim Dobermann - nur eine Spitze des Eisbergs

Zucht mit schwersten Erbkrankheiten, Zucht mit Merkmalen, die nur das Urteil "Qualzucht" erlauben, sind leider keineswegs ein Einzelfall mitten in Deutschland. Auf Petwatch wurden bereits zahlreiche Berichte veröffentlicht und - leider - hat sich dort genauso wenig zum Positiven verändert wie oben beschrieben beim Dobermann. Ganz im Gegenteil. So ist es gängige Praxis in der Hundeszene, dass Menschen, die auf Missstände in der Zucht hinweisen, nicht selten auf das Übelste diffamiert und verleumdet, teils sogar mit Gewalt bedroht werden. Positive Ausnahmen, wie etwa beim Leonberger, gibt es nur wenige. Unzählige einschlägige Berichte zu den verschiedensten Hunderassen erreichten und erreichen Petwatch. Die allermeisten Absender wollen - verständlicherweise aber leider - allerdings nicht an die Öffentlichkeit treten. Auch deshalb nochmal meinen Dank an alle Autorinnen und Autoren, die Artikel auf Petwatch veröffentlicht haben.

Der Shitstorm kommt so sicher wie die fehlende Antwort der Zuchtvereine/-verbände zur Sache.

Hier einige Beispiele von auf Petwatch öffentlich gemachten Missständen in der Zucht spezieller Hunderassen:

Ein Beitrag von Christoph Jung



 
Petwatch Blog