Sonntag, 13. November 2016

Hund, Barf und Getreide, neue Erkenntnisse der Forschung

Ist Getreide schädlich für unsere Hunde? An dieser Frage scheiden sich nicht selten die Geister der Hundefreunde. Seit einigen Jahren geht die Behauptung durch die Szene, Getreide sei als Nahrung ungeeignet, ja gefährlich für Hunde. Viele Futtermittelhersteller werben seither offensiv mit dem Label, ihr Produkt sei frei von Getreide, als Merkmal guter Qualität. Die meisten BARF- und Rohfutter-Anbieter halten per se schon einmal nichts von Getreide und befeuern diesen Trend.

Dabei wird gerne auf den Wolf verwiesen. Der Wolf sei ein Fleischfresser und der Hund stamme schließlich von diesem ab. Deshalb sei es die natürliche Ernährung des Hundes, wenn diese möglichst weitgehend der Ernährung des Wolfs entspricht. Extremform dieser Auffassung ist die in letzter Zeit in Mode gekommene Prey-Methode, die ganze Tiere, etwa Kaninchen oder Hühner oder große Stücke anderer Tiere, als Futter für den Hund propagiert.
(Foto: Christoph Jung)
Evolution der Ernährung vom Wolf zum Hund

Allerdings sind auch das nur grobe Annäherungen an die Ernährung des Wolfes. Wölfe sind kollektive Hetzjäger, deren Hauptbeute in unseren Breiten aus Rehen besteht, jedenfalls größerem Wild. Zudem sind Wölfe recht flexibel, sie nehmen gelegentlich auch pflanzliche Kost oder Fische. Auf den Kanada vorgelagerten Pazifik-Inseln gibt es eine Wolfspopulation, die sich praktisch ausschließlich von Fischen und Krebsen ernährt. Wilde Wölfe haben zudem einen ganz anderen Nahrungsbedarf als Hunde. Sie sind Hetzjäger, die große Entfernungen zurücklegen und im Ernstfall an ihre körperlichen Leistungsgrenzen gehen müssen, um eine Jagd erfolgreich zu beenden. Dann hauen sie sich den Magen voll mit riesigen Mengen Fleisch, um dann wieder tagelang fasten zu können. Unsere Hunde leben da ein wenig anders - und das seit vielen tausenden von Jahren. Hunde sind nicht als Wölfe, auch nicht als zahme Wölfe zu verstehen. Ich will an dieser Stelle anlässlich aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse nur auf eine Frage eingehen:

Zählt Getreide zur natürlichen Ernährung des Hundes?

Hierzu will ich auf zwei ganz aktuelle, wissenschaftliche Untersuchungen verweisen. Beide Untersuchungen befassen sich mit Alpha-Amylase 2B. Das ist ein Enzym, das bei Mensch wie Hund die Verarbeitung von Stärke (Polysaccharide), etwa aus Getreide, zu Zucker und damit die Aufnahme als Nahrung ermöglicht. AMY2B bezeichnet das Gen, das dieses Enzym kodiert. So kann man anhand der Genausstattung, die man heute viel genauer als noch vor wenigen Jahren lesen kann, auf die Fähigkeit schließen, Stärke in der Nahrung zu nutzen. Bereits 2014 war in einer Untersuchung nachgewiesen worden, dass auch beim Hund die Anzahl der AMY2B-Kopien im Genom mit der Fähigkeit zusammenhängt, das Enzym Amylase zu produzieren (1).
Stand von Mars (hier Royal Canin) auf einer Ausstellung des VDH
(Foto: Christoph Jung)
Im Gegensatz zum Wolf: Hunde können Stärke aus Getreide verarbeiten.

Im Juli 2016 veröffentlichte ein Team aus Mikrobiologen und Biochemikern der Universitäten Uppsala (Schweden) und Sydney (Australien) eine weitere Untersuchung zum Thema. Sie untersuchten das Blut von 221 Hunden, darunter 95, die ursprüngliche Hunde repräsentieren (u.a. 25 australische Dingos), sowie 126 Rassehunde. Zusätzlich wurden die Blutwerte der 171 Hunde (darunter 19 Grönlandhunde) genommen, die bereits in der oben angeführten Studie von 2014 untersucht worden waren. Insgesamt lagen also die Daten von 392 Hunden vor. Die Anzahl der AMY2B-Kopien im Genom der Hunde schwankte zwischen 11 und 3. Die regionale Verteilung der Häufigkeit entspricht den Wissenschaftlern zufolge exakt den historischen Schwerpunkten der Herausbildung des Getreideanbaus in der Geschichte der Menschheit. So wundert es nicht, dass die Hunde aus arktischen wie die australischen Gebieten die geringsten Amylase-Fähigkeiten zeigten, im Gegensatz zur breiten Mehrheit der Hunde, die mit 11 AMY2B-Genabschnitten ausgestattet sind. Allerdings ist selbst die relativ schwache Fähigkeit der arktischen Hunde immer noch besser ausgebildet als die der Wölfe. Die Forscher fassen zusammen: "Wir zeigen, dass das Verteilungsmuster geographisch mit der Ausbreitung der prähistorischen Landwirtschaft korreliert und kommen zu der Schlussfolgerung, dass die Ernährungsumstellung nicht mit der ursprünglichen Domestikation, sondern mit der anschließenden Herausbildung und Verbreitung der Landwirtschaft in den meisten, aber nicht allen Regionen der Welt zusammenhängt." (2)

Gemeinsame Evolution: Mit dem Ackerbau kam die Fähigkeit, Stärke als Nahrung zu nutzen.

Im November 2016 wurde wieder eine Studie zu diesem Thema veröffentlicht. Diesmal schaute man direkt in die Vergangenheit. Man untersuchte die DNA aus fossilen Zähnen von 13 früh- und vorgeschichtlichen Hunden, zwischen 4.000 und 15.000 Jahren alt, hinsichtlich der enthaltenen AMY2B-Kopien. Es zeigte sich, dass Hunde die Fähigkeit, Stärke zu verdauen, zur gleichen Zeit wie die Menschen entwickelten. Vor 7.000 Jahren erhöhte sich die Zahl der Kopien des Amy2B-Gens sprunghaft. Der Zeithorizont der genetischen Veränderungen stimmt mit dem Zeitfenster der Einführung der Landwirtschaft in Europa genau überein. Das Forscher-Team aus Frankreich, Schweden, Russland und Rumänien fast zusammen: "In dieser Studie haben wir Beweise für eine Erhöhung der Amylase-Gen-Kopienzahl in alten Hunde-Genomen gefunden, die ein festes ante quem während des 7. Jahrtausends cal BP in Südosteuropa vorweisen. Wir haben gezeigt, dass sich die heutige Fähigkeit der meisten Hunde, Stärke zu verdauen, nicht aus Selektion der Abstammungslinien während der klassischen Antike oder aus der Zucht der modernen Rassen des 19. Jahrhunderts ergibt, vielmehr spätestens im Neolithikum zwischen dem 10. und 7.-5. Jahrtausend cal BP, zumindest in verschiedenen Regionen West- und Osteuropas und Südwestasiens begann." Die Wissenschaftler fahren fort: "Die Geschichte der Amy2B-Erweiterung bei Hunden legt nahe, dass die für die Verdauung von Stärke verantwortlichen Gene bei Mensch wie Hund möglicherweise ähnliche Veränderungen durchaufen haben." (3)*
Wenn`s um die Wurst geht... (Foto: Christoph Jung)
Co-Evolution von Mensch und Hund

Mit seiner bereits vor mehr als 30.000 Jahren beginnenden Domestikation wurde der Mensch mit seinen Lebens- und Ernährungsgewohnheiten für den Hund zu dessen sozialem Zentrum. Der Hund wurde zum Lebens- und Arbeitspartner des Menschen, durchschritt mit ihm sämtliche evolutionären Sprünge seit der Altsteinzeit. Vielleicht ermöglichte erst die Zusammenarbeit mit dem Hund epochale Sprünge wie etwa die Gewinnung der Kontrolle über wilde Ziegen und Schafe, die den Beginn der "Vieh"-Haltung markieren. Der Hund war dabei, als die Menschen nach und nach zum Ackerbau übergingen. Und, wie die angeführten Untersuchungen untermauern, der Hund veränderte auch seine Ernährungsgewohnheiten zusammen mit dem Mensch. Die Menschen mussten sich auf neue Nahrung einstellen. So entwickelten die Menschen Europas im Zuge der Milchwirtschaft die Fähigkeit, Laktose zu verarbeiten. So entwickelten sie immer intensiver die Fähigkeit, die im Getreide enthaltene Stärke als Nahrung zu nutzen.

Begleiter des Menschen auch bei der Nahrung

Die Ernährung des Hundes war seit tausenden von Jahren der des Menschen angepasst. Wahrscheinlich bestand sie - neben Mäusen und Ratten, die der Hund im Sinne der Menschen kurz hielt und beispielsweise gelegentlich im eigenen Interesse erjagten Kaninchen - in Wesentlichen aus Abfällen und Resten der menschlichen Nahrung, die sich ständig veränderte. Die quasi natürliche Ernährung des Hundes hat diese Entwicklung unmittelbar mitgemacht. In diesem Umfeld bildete der Hund sogar die Fähigkeit heraus, Getreide als Nahrung zu erschließen; eine Nahrungsquelle, die dem Wolf weitestgehend fremd war und ist (bestenfalls als Mageninhalt von im Ganzen verspeisten Kleinsäugern oder Vögeln). Entsprechend kennen wir aus der Antike zahlreiche Belege für die Ernährung von Hunden mit Getreideprodukten oder auch Milch. Der römische Agrarwissenschaftler Columella, der um das Jahr 50 ein zwölfbändiges Standardwerk über die Landwirtschaft "De re rustica" verfasste, empfahl "Gerstenmehl und Molke" als besonders hochwertige Hundenahrung, etwa für einen kranken Hund oder eine säugende Hündin. Aber auch noch viel ältere Zeugnisse der Menschheit weisen auf diesen Bestandteil der Hundenahrung hin.

Es soll hier allerdings keineswegs dafür gesprochen werden, dass Hunde kein rohes Fleisch oder andere tierische Nahrung erhalten oder überwiegend mit Getreide ernährt werden sollten. Es ist auch nichts gegen eine ideologiefreie, gemäßigte Rohfütterung einzuwenden. Für Hunde zählt es zu den höchsten Genüssen, ungestört an einem fleischigen Rinderknochen zu nagen und das tut ihnen sicher nicht nur ernährungstechnisch vielmehr auch psychisch gut. Eine pauschale Ablehnung von Getreide als Teil der Ernährung des Hundes hat jedoch keine Grundlage aus dem wissenschaftlichen Verständnis des Hundes - weder evolutionär noch physiologisch betrachtet. Die zuweilen geschürte Angstmacherei vor Getreide in Hundenahrung hält einer genaueren Betrachtung nicht stand und scheint wohl eher einem wirtschaftlichen Konzept denn dem Wohl der Hunde und ihrer Menschen geschuldet. Dieser Schluss ergibt sich alleine schon aus einem tieferen Verständnis der gemeinsamen Geschichte von Mensch und Hund. Die aktuellen Studien* stützen eine solche Sicht lediglich. Zudem muss darauf hingewiesen werden, dass der Hund bei aller Co-Evolution mit dem Menschen immer noch über ein anders konzipiertes Verdauungssystem als der Mensch verfügt, ein Verdauungssystem, dass eben weit mehr dem des Wolfes als dem eines Menschen gleicht.

Quellen
  • (1) Arendt M, Fall T, Lindblad-Toh K, Axelsson E (2014), Amylase activity is associated with AMY2B copy numbers in dog: implications for dog domestication, diet and diabetes. Anim Genet, 45: 716–722. doi:10.1111/age.12179
  • (2) Arendt M, Cairns KM, Ballard JWO, Savolainen P, Axelsson E. (2016), Diet adaptation in dog reflects spread of prehistoric agriculture. Heredity 117, 301–306. doi:10.1038/hdy.2016.48
  • (3)* Morgane Ollivier, Anne Tresset, Fabiola Bastian, Laetitia Lagoutte, Erik Axelsson, Maja-Louise Arendt, Adrian Balasescu, Marjan Marshour, Mikhail V. Sablin, Laure Salanova, Jean-Denis Vigne, Christophe Hitte, Catherine Hänni (2016) Amy2B copy number variation reveals starch diet adaptations in ancient European dogs. R. Soc. open sci. 2016 3 160449; Published 9 November 2016. doi:10.1098/rsos.160449 
(Die Zitate sind eigene Übersetzungen)

Ein Artikel von Christoph Jung

* Anmerkung zum Thema "unabhängige Forschung":
folgt, Stichwort "Funding durch Nestlé Purina"
 
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