Freitag, 27. Oktober 2017

Sind Wölfe wirklich die besseren Teamplayer?

Wolf und Mensch verbinden sehr viele Eigenschaften. Eine davon ist ihr hochsoziales Leben. Der einzelne Wolf wie der einzelne Mensch definieren sich über ihre Rolle und Stellung in der sozialen Gruppe. Sie sind, ob nun bewusst gewollt oder nicht, Teamplayer. Ohne soziale Einbindung gehen sie ein, psychisch aber auch körperlich. Als Team sind sie dagegen höchst leistungsfähig.

Wolf, Hund und Mensch sind vom Wesen her Teamplayer - oder doch nicht?

Eine Studie aus Wien kommt zu dem Schluss, dass der Wolf der bessere Teamplayer gegenüber dem vom ihm abstammenden Hund sei. Der Hund habe durch seine Verbindung mit dem Menschen, durch den Domestikationsprozess, an Teamfähigkeit verloren. Die Mitte Oktober vorab veröffentlichte Studie der Vetmeduni Wien titelt mit

"Domestikation macht Hunde nicht zu besseren Teamplayern

(Presseinfo der Uni Wien vom 16.10.2017). Die Verhaltensforscherinnen vom Wolf Science Center (WSC) der Vetmeduni Wien untersuchten Wölfe und Hunde, die in den Gehegen des WSC in Rudeln nach gleichen Regeln gehalten werden. Es wurde der "loose-string" Versuchsaufbau verwendet (siehe Foto). Dabei müssen jeweils 2 Hunde oder 2 Wölfe gemeinsam an je einem Strick ziehen, um an eine Futterbelohnung zu kommen. Nur wenn sie hier als Team agieren, sind sie erfolgreich. Insgesamt konnten die Wolfspärchen in 100 von 416 Versuchen gemeinsam Futter angeln, während das lediglich 2 Hundepaaren gelang - so die Informationen aus der bisher nur im Abstract veröffentlichten Studie. Hierauf bauen die Forscherinnen ihre weitreichenden Schlussfolgerungen von der angeblich schlechteren Teamfähigkeit der Hunde. "Wölfe stechen Hunde in Sachen Teamwork aus" lautet eine Überschrift der Presseinfo der Uni, die nun breit in den Medien verbreitet wird.
"In Sachen Teamwork sind Wölfe ihren domestizierten Nachfahren überlegen."
(Foto: Wolf Science Center/Vetmeduni Vienna)
Ich habe da meine Bedenken...

...und zwar an gleich mehreren grundsätzlichen Punkten. Zunächst einmal steht die Frage, was denn mit Team und Teamwork gemeint ist? Es ist nun einmal ein elementares Merkmal des Hundes, dass er sich auf den Menschen bezieht. Das Team des Hundes ist der Mensch. Es gibt keine wilden Hunde (höchstens teilweise verwilderte). Der Hund kann nicht ohne den Menschen definiert und verstanden werden. Dann wäre er Wolf geblieben. Es zählt gerade zu den hervorstechensten Qualitäten des Hundes, dass er mit dem Menschen arbeitet, dass er fest eingebunden in der Gesellschaft des Menschen lebt und dies bereits seit mehr als 15.000, wahrscheinlich sogar 40.000 Jahren. Von seinen Menschen gestreichelt zu werden, ist ihm sogar wichtiger als eine Futterbelohnung. Dazu werden wir am Schluss noch einmal kommen.

Gehegewölfe sind nicht wilde Wölfe

Die Wiener Verhaltensforscherinnen verweisen darauf, dass weltweit im Grunde nur sie in der Lage sind, Wölfe und Hunde zu vergleichen, da sie im WSC die einzigen seien, die Hunde und Wölfe in exakt derselben Art aufziehen und halten. Doch alleine diese Auffassung verkennt bereits grundsätzlich das Wesen dieser beiden Subspezies. Gleich aufziehen heißt nicht artgerecht. Wenn ich einen Frosch zusammen mit einer Eidechse in einem  heißen Trockengebiet aufziehe, so ist das ebenso gleich - mit aber höchst unterschiedlichen Folgen. Von ihrem Wesen brauchen Wolf wie Hund nicht gleiche, vielmehr artgerechte, das heißt unterschiedliche Biotope oder ökologische Nischen. Der Wolf braucht die Freiheit in einer passenden, weiten Natur, wo er im Rudel beispielsweise Rehe jagen kann.

Gehege ist nicht artgerecht

Der heutige europäische Wolf meidet die Nähe des Menschen wo er nur kann. Der Hund (Canis lupus familiaris) ist dagegen, wie sein wissenschaftlicher Name bereits andeutet, auf den Menschen bezogen. Sein Biotop ist der Mensch, dessen Leben, dessen soziale Strukturen und bis noch vor gut 100 Jahren durchgängig, die gemeinsame Arbeit mit dem Mensch. Wölfe, die von menschlicher Hand aufgezogen wurden und ihr ganzes Leben von Menschen gefüttert und gepampert im Gehege gelebt haben, sind keine Wildtiere mehr. Zumal die Gehegewölfe - nicht nur in Wien - in aller Regel bereits seit sehr vielen Generationen ausschließlich im Gehege leben. Hier ist sogar davon auszugehen, dass bereits psychische und epigenetische Anpassungen erfolgt sind wie es bei Labortieren, etwa Ratten, schon dokumentiert wurde. Es ist zudem seit langem bekannt, dass sich Gehegewölfe in ihrem Sozialverhalten tiefgreifend ändern und eine andere soziale Struktur aufbauen als frei lebende Artgenossen, wie es u.a. Dave Mech überzeugend beschrieb. Will man das natürliche Verhalten von Wölfen studieren, muss man Freilandstudien betreiben. Zudem sind die Wölfe des WSC vom Welpen an darauf trainiert, Versuchsaufgaben in Gegenwart von Menschen zu lösen und hierfür mit Futter belohnt zu werden. Sie repräsentieren also keineswegs den wilden Vorfahren unserer Hunde, zumal dieser nicht von den heute lebenden Formen des Wolfs abstammt (siehe unten).
Hunde im WSC - "menschliche Komponente ausschließen"
(Foto: Christoph Jung)
Gehegehunde sind deprivierte Hunde 

Die Hunde des WSC, die in den Studien der Wiener Verhaltensforscherinnen den Canis lupus familiaris repräsentieren sollen, sind - streng genommen - keine richtigen Hunde. Es handelt sich um psychisch deprivierte Hunde. Sie werden eben NICHT artgerecht gehalten. Denn zum Hund gehört wesentlich die Einbindung in die menschliche Sozialität. Sie ist für sein artgerechtes Leben notwendig. Genau diese wird ihnen bewusst genommen. Die Forscherinnen erklären: "Deswegen war es uns wichtig, bei diesen Tests nicht mit Haustieren zu arbeiten und so die menschliche Komponente auszuschließen“ (Presseinfo vom 16.10.2017).

"die menschliche Komponente ausschließen"

Der Wolf ist aber exakt und nur über diese "menschliche Komponente" zum Hund geworden. Ohne diese gäbe es keine Hunde und auch nicht die vielen Fähigkeiten und Wesensmerkmale, die den Hund gegenüber dem Wolf auszeichnen und seine einzigartige Stellung in Bezug auf uns Menschen ausmachen.

Kaspar-Hauser-Versuche

In der Antike bis ins ausgehenden Mittelalter gab es immer wieder Versuche, Kinder ohne unmittelbaren Kontakt zu anderen Menschen aufzuziehen. In diesen so genannten Kaspar-Hauser-Versuchen wurden diese armen Schicksale ansonsten bestens versorgt. Doch sie starben - ohne Ausnahme. Das Fehlen der sozialen und emotionalen Bindung machte sie lebensunfähig. Der Hund will und braucht die menschliche Bindung, um sich wohlzufühlen, sein Leben und seine Fähigkeiten artgerecht zu entfalten. So zeigt er sich als hervorragender Teamplayer und ist zu hochkomplexer Teamwork in der Lage - mit Menschen. Es ist ein beeindruckendes Erlebnis, einem Schäfer im Border County an der Grenze England/Schottland zuzuschauen, wie dieser mit seinen Border Collies die Herde höchst präzise und schnell manövriert. Und das sogar selbständig, ohne Sichtkontakt, oft nur auf Pfiffe oder auch nur auf eine vorher gegebene Anweisung hin.
Schäfer an der Elster bei Leipzig
(Foto: Christoph Jung)
Hüten, Schlitten ziehen, Assistieren = Teamwork auf höchstem Niveau

Man sollte einmal Wölfe vor einen Schlitten spannen. Das tun Menschen mit ihren Hunden am Polarkreis seit 8.000 Jahren. Die Schlittenhunden arbeiten hier im Dutzend oder gar in einer noch größeren Gruppe zusammen. Jeder Musher hat seinen Lead, seinen vertrauten Leithund, der von allen anderen Hunden in seiner Führungsrolle anerkannt ist. Diese Hunde sind nicht nur eine als Team arbeitende Zugmaschine, sie machen auch ein gutes Navigationssystem und führen die Menschen sicher zur Jagd oder nach Hause. Auch bei der Jagd in unseren Breiten bilden Mensch und Hund, wie auch Hunde untereinander ein komplex arbeitendes Team. Hunde kann man sogar zu Assistenzhunden ausbilden und zu vielen weitere Aufgaben ebenso. Immer ist Teamfähigkeit eine hervorstechende Eigenschaft des Hundes - selbst wenn diese von uns Menschen zuweilen schlicht ausgenutzt wird.

Hunde und Menschen, seit tausenden von Jahren ein Team

Es ist heute Stand der Wissenschaft, dass der Hund vor mehr als 15.000, wahrscheinlich sogar vor 40.000 Jahren domestiziert wurde. Stammvater und -mutter war eine Unterart des Wolfes, die heute ausgestorben ist. Früher lebte der Wolf auf der ganzen nördlichen Hemisphäre und war sehr viel reicher an Varianten. Alle waren Subspezies des Canis lupis, wie es Prof. Robert Wayne anhand umfangreicher Genanalysen herausgefunden hat. Wir wissen auch recht sicher, dass der Hund in Nord/Mitteleuropa domestiziert wurde. Wir wissen nicht wirklich, wie und warum dies geschah. Wir kennen aber einige Faktoren, die diese einmalige Qualität der Verbindung zweier Spezies ermöglicht hat. Denn (Steinzeit-) Menschen und Wölfe verbinden sehr ähnliche Eigenschaften:
  • Beide leb(t)en in ähnlich strukturieren Familiengruppen.
  • Die Gruppe zieht den Nachwuchs gemeinsam auf.
  • Beide jagten dasselbe Wild (z.B. Mammut, Bison) in derselben ökologischen Nische
  • mit denselben kollektiven Methoden als Hetzjäger.
  • Als kollektiver Großwildjäger mussten sich beide in das Wild ein stückweit hineindenken können.
  • Bei den Jagden lernte man sich immer wieder kennen. Es entwickelte sich ein ähnlicher Erfahrungshorizont.
  • So kann/muss sich ein zwischenartlicher Resonanzraum entwickelt haben, der z.B. Empathie beeinhaltet.
  • Beide Arten entwickeln Kulturen und sogar zwischenartliche.
Kollektive Jagd auf Großwild - ein Wesensmerkmal der Canis lupus
(Foto: Yellowstone Nationalpark)
Dass dies keine Spekulationen sind, zeigen aktuelle Forschungsergebnisse aus verschiedenen Disziplinen, so:
  • Der Nachweis der Funktion von Spiegelneuronen und Joint Attention zwischen Hunden und Menschen.
  • Der Nachweis sehr ähnlicher Funktionsgrundlagen der Psyche (etwa fMRT G.Berns).
  • Die sehr ähnliche Wirkungsweise der Hormone und Neurotransmitter.
  • Der Nachweis von Empathie zwischen Mensch und Hund.
  • Oder erste Belege für Perspektivenübernahme vom Menschen durch den Hund (ToM).
  • Der Nachweis der zentralen Rolle der Stressachse im Domestikationsprozess (etwa Farm-Fox-Experiment).
Die Ähnlichkeiten der Funktionsweise von Kognition und Psyche sind bei Hund und Mensch so stark, dass der Hund heute als Modell für die Humanmedizin genommen wird, etwa bei der Erforschung einer neuen Generation von Psychopharmaka. Als praktische Berührungspunkte für die Annäherung mindestens einer Gruppe von Wölfen und einer Gruppe von Menschen in der Altsteinzeit sind viele Szenarien und wahrscheinlich eine Kombination hieraus denkbar.
  • Mensch und Wolf lernten sich bei der Jagd kennen und nutzten den jeweils anderen bis sich nach und nach eine Kooperation entwickelte, deren Auswirkungen bereits in 10.000 Jahre alten Höhlenmalereien dokumentiert ist.
  • Man bewachte und beschützte sich gegenseitig. Der Mensch hatte das Feuer und Waffen, der Wolf die schärferen Sinne und größer Kraft. Gemeinsam war man unbesiegbar.
  • Man wärmte sich gegenseitig. In der Eiszeit nicht zu unterschätzen und bei den Polarvölkern noch heute üblich.
  • Menschen interessieren sich über alle naturnahen Kulturen hinweg für die Haltung von Tieren. Von Menschen nicht verfolgte Wölfe, wie die Polarwölfe auf Ellesmere Island im hohen Norden Kanadas, sind ebenfalls interessiert, uns Menschen kennenzulernen. Es gibt ein Bedürfnis nach sozialer Beziehung offenbar auch interspezifisch.
  • Vielleicht teilte man die Beute, wenn reichlich vorhanden war. Gemeinsam konnte man sie gegenüber Dritten besser verteidigen.
Wir wissen es nicht, aber es muss einen solchen Prozess der Annäherung gegeben haben, sonst gäbe es den Hund nicht. Am unwahrscheinlichsten ist, dass der Hund als Aasfresser auf den ersten Müllkippen der Menschheit entstand wie es Ray Coppinger vorschlug und es im Kreis der Wiener Verhaltensforscherinnen ähnlich gesehen wird. In ihrer “Canine Cooperation Hypothesis” charakterisieren sie den Hund als Aasfresser im menschlichen Müll, während der Wolf der gemeinsam Huftiere Jagende sei ("Ecology of Wolves  = Group-hunting of ungulates / Ecology of Dogs = Human refuse scavenging”). Das Problem ist nur, dass zur Zeit der Domestizierung und noch viele tausende Jahren danach gar keine Müllkippen gab. Nahrungsmittel auf den Müll zu schmeißen, ist eine Erfindung, die erst im Zeitalter des Ackerbaus entstand. Die Menschen der Altsteinzeit nutzten alles.
Die soziale Bindung zwischen Mensch und Hund können Neurowissenschaftler heute nachweisen.
(Foto: Christoph Jung)
Weder der Hund noch der Wolf ist der bessere Teamplayer. Sie sind schlicht anders.

Last but not least hätten sich unsere Vorfahren mit ihren Steinwerkzeugen kaum die Mühe gemacht, für einen Müllverwerter ein Grab auszuheben und diesen sorgfältig zu bestatten. Das taten sie für Hunde aber bereits seit 13.000 Jahren. Und vieles spricht dafür, dass es ein Akt der Anerkennung für einen verdienten, vierbeinigen Teamplayer war. Greg Berns zeigte vor kurzem mit seinen fMRT Aufnahmen vom arbeitenden Hundegehirn, das bei Hunden das Belohnungszentrum angesprochen wird, wenn sie ihr vertrautes Herrchen oder Frauchen nur riechen. Der Hund freut sich über uns als Mensch, als Partner - Punkt. Diese Zusammenhänge haben Daniela Pörtl und ich mit dem Modell der "Aktiven Sozialen Domestikation des Hundes" detailliert ausgeführt. Wollte man die Teamfähigkeit vergleichen, so müsste man einen Hund mit seinem Herrchen oder Frauchen und zwei miteinander vertraute Wölfe gegeneinander antreten lassen.


Ein kritischer Kommentar von Christoph Jung



 
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