Montag, 2. Januar 2012

Hundezucht mit Erbkrankheiten - Gibt es ein Lundehund Syndrom?

Der Lundehund ist ein ganz besonderer Hund. Er wurde für die Jagd auf Papageientaucher (Lunde) an den schroffen Küsten der Nordsee schon vor mehreren hundert Jahren herausgezüchtet. Die Lunde brütet in tiefen und engen Höhlen an den unzugänglichen und schroffen Felshängen hoch über der kalten Meeresbrandung. Diese speziellen Anforderungen ließen einen Hund entstehen, der zahlreiche anatomische Besonderheiten aufweist. Im Beitrag Anfang Dezember 2011 wurde hiervon berichtet.

Da die Jagd auf Papageientaucher vor etwa 100 Jahren an Bedeutung verloren hatte, schien auch der spezielle Jagdhund auf den Lunde ausgestorben zu sein. In den 1960er Jahren fand man jedoch auf einer Insel Restbestände dieses so einmaligen Hundes. Mit nur fünf Exemplaren begann man ein Zuchtprogramm. Heute finden sich in Skandinavien, Deutschland, Frankreich und Nordamerika wieder über 1.200 Exemplare dieser Hunderasse unter dem Patronat Norwegens.

Folge eines genetischen Flaschenhalses?

Schon bei der modernen Gründerpopulation zeigte einer der fünf Hunde Symptome einer Magen-Darm-Krankheit. Heute gibt es zahlreiche Hinweise, dass diese Krankheit in der Lundehund-Population weltweit verbreitet ist. Meist wird sie kurz als "Lundehund-Syndrom" bezeichnet, in der Wissenschaft wird von der "Lundehund-Gastroenteropathie" (1) gesprochen. Weite Teile der Züchter und Zuchtvereine sprechen von rein "gar nichts", doch dazu später.

Eine Definition des Lundehund-Syndroms

Tierärztin Dr. Nora Berghoff fasst das Lundehund Syndrom wie folgt zusammen:
"Das Lundehund-Syndrom kann sich in einem Hundeleben zu jeder Zeit, in verschiedenen Graden und bei jedem Geschlecht zeigen. Der Begriff „Lundehund Syndrom“ umfasst die Komponenten Gastritis, PLE, Intestinale Lymphangiektasie (IL), entzündliche Darmerkrankungen (IBD) und Malabsorption."

Sie schrieb 2006/7 über dieses Thema ihre Dissertation unter wissenschaftlicher Betreuung von Prof. Dr. Ingo Nolte von der TiHo Hannover und Prof. Dr. J. M. Steiner von der Texas A&M University. Man kann die Symptome, jedoch nicht die eigentliche Krankheit behandeln. Fast immer führt die Krankheit trotz immensem diätischen und medizinischem Aufwand zu einem - man muss es so sagen - jämmerlichen Tod der armen Hunde. Was die Hunde zu sich nehmen, kommt gleich wieder heraus, erbrochen oder als Durchfall. Die Blutwerte demonstrieren schnell Anämie sowie Schäden an Leber und Nieren. Die Hunde wirken ausgezehrt, sind schlaff und geschwächt. Eine strenge Diät kann das Problem lindern, aber nicht heilen. Die Behandlungskosten übersteigen zudem nicht selten die Möglichkeiten eines Durchschnittshaushalts (siehe unten *).

Leider keine Einzelschicksale

"Alle Blutwerte sind sehr niedrig. Dagegen müssen wir unverzüglich etwas tun. Wegen des Spuckens müssen wir ihn so lange spucken lassen, bis die Medikamente wirken und er dann das Essen drin behalten kann. Wenn das nicht gelingt, muss er in eine Klinik aufgenommen werden. Darüber hinaus erhält er ein besonderes Diät-Futter und bekommt fünf verschiedene Medikamente über den Tag. Cor und ich bleiben immer in der Nähe und schlafen nachts neben den Hunden, es geht ihm so schlecht, dass wir ihn nicht alleine lassen wollen." So aus einem Bericht von November 2008.

"Liebes Frauchen und Freunde,
Über viele Monate habe ich tapfer gegen diese schreckliche Krankheit gekämpft, gegen das Lundehundsyndrom.
Manchmal glaubte ich, dass es mir gelungen ist und ich konnte, zusammen mit meinem Frauchen, noch richtig fröhliche Sachen machen. An anderen Tagen ging es mir dann wieder schlechter, aber zusammen mit meinem Frauchen bin ich immer wieder schön auf die Füße gekommen.
Aber am letzten Freitag und Samstag ist dann doch etwas mit meinem kleinen Gehirn fehl geschlagen. Danach war ich gelähmt und ich konnte überhaupt nichts mehr tun.
Aber ich habe hier eine so wunderschöne Zeit verlebt, ich hatte ein Frauchen an meiner Seite, das nichts lieber tat, als mit mir herum zu tollen, mich zu verwöhnen und das mich überall mit in die Welt genommen hat.
Auch ich weiß noch nicht, wie ich denn demnächst überhaupt ohne sie auskommen soll.
Jetzt bin ich aber zu müde geworden, um noch kämpfen zu können.
Auf eine Besserung darf ich nicht mehr hoffen und ich werde jetzt bald meine Ruhe im Hundehimmel finden.
Alle werde ich dort so sehr vermissen, mein liebstes Frauchen ..., meinen Betreuer ..., meine Spielkameradin ..., die ganze Familie und all die lieben Freunde.
Es soll Euch allen gut gehen.
Euer kleines Knuddelchen" (so aus einem Brief eines verstorbenen Lundehundes *2007 +2009)

Diese Lundehund-Schicksale stehe für inzwischen Dutzende alleine in Europa und nicht wie aus Kreisen der Zuchtvereins-Funktionäre gerne behauptet wird "für Einzelschicksale".

Anfang 2011 notiert die norwegische Züchterin T.O. auf Facebook: "Ich hasse das Syndrom. Donnerstag musste ich wieder einen meiner Hunde nach einem aussichtlosen Kampf gehen lassen. Der kleine Rüde ist gerade einmal ein Jahr alt geworden." Weiter schreibt sie: "Ich habe jetzt fünf Hunde verloren und weitere drei erkrankte Hunde zu Hause. Außerdem weiß ich, dass vier von meinen gezüchteten Hunden ebenfalls erkrankt sind."

Oder Folge jahrhundertelanger Ernährung ohne Fleisch?

Zunächst wurde vermutet, dass dieses Problem aus der Geschichte des Lundehundes herrühre. Man nahm an, dass sich der Verdauungstrakt des Lundehundes über die Jahrhunderte voll auf die Verwertung von Fisch(-resten) und Vögeln (Lunde) spezialisiert habe. Hieraus würden dann Probleme bei Ernährung mit herkömmlichem Hundefutter rühren. Es gab nur noch wenige Lundehunde und wenig Erfahrung. Mit der Zeit konnte man jedoch beobachten, dass zwei Lundehunde, die in demselben Haushalt lebten und gleich ernährt wurden, völlig unterschiedlich reagierten. Bei dem einen konnte das "Lundehund-Syndrom" voll mit allen Symptomen ausbrechen und schnell zum Tode führen, der andere Hund zugleich problemlos und gesund ein hohes Alter erreichen. Zu beobachten war dann auch, dass sich das Lundehund-Syndrom vorwiegend bei bestimmten Zuchtlinien zeigt.

Verdacht auf eine genetisch bedingte Krankheit

Dieser Verdacht auf eine genetisch bedingte, eine Erbkrankheit konnte inzwischen wissenschaftlich erhärtet werden. Praktisch alle Wissenschaftler, die sich mit dieser Problematik befasst haben, gehen von einer erblichen Disposition aus (2). Tierärztin Dr. Susan Lyn Torgerson aus Seattle (USA): "Lundehunde bekommen diese Erkrankung sehr viel häufiger als andere Rassen, und die meisten werden eine Attacke irgendwann in ihrem Leben haben. Forscher schätzen die Inzidenz zwischen 40% und bis zu 100%." (3)
Der genaue Erbgang und die genaue Ursache des Lundehund-Syndroms sind aber noch nicht verstanden, was bei einer so seltenen Hunderasse nicht unbedingt verwundert. Ein Forschungsprojekt "Lundehund Syndrom" wurde 2006 an der TiHo Hannover ins Leben gerufen. Professor Dr. Otmar Distl hatte sich bereit erklärt, das für diese Erkrankung verantwortliche Gen zu bestimmen (9) **. Leider wurde dieses Projekt von der deutschen Züchterschaft nicht wirklich unterstützt.

Ignoranz aus Liebe zu den Hunden oder warum?

Es verwundert schon, wie die Zucht mit diesem offensichtlichen Problem ihrer Hunde umgeht. Das Lundehund-Syndrom wird von weiten Teilen der weltweiten Zuchtvereine und Züchter kurzerhand verharmlost oder unterschlagen (4, 5). Den Haltern und Welpenkäufern der Lundehunde wird gerne suggeriert, dass es sich um ein Randproblem handele. Tritt die Krankheit auf, wird der einzelne Halter ins Visier genommen und ihm Nachlässigkeiten in der Ernährung oder eine zu große Stress-Belastung seines Hundes unterstellt. Es ist eigentlich ein Skandal, wenn die Zuchtordnung des Deutschen Clubs für Nordische Hunde (DCHN) im VDH keinerlei Regelung für dieses Krankheitsbild enthält (6).

Und es erscheint natürlich nicht als Skandal, wenn man das Problem kurzerhand als exotisches Randproblem darstellt, welches nur 10% der Lundehunde in Norwegen beträfe, wie es die IG Norwegischer Lundehund und der Lundehund e.V. machen. Sie berufen sich dabei auf die Ausarbeitung der norwegischen Lundehund-Züchterin und -Zuchtverbands-Funktionärin Espelien, die mit einem netten Aufsatz mal nebenbei die versammelte Wissenschaft Lügen straft, freilich ohne selbst einen belastbaren Beleg zu erbringen. Zu ihrer "nur 10%"-Behauptung räumt sie freimütig ein: "Diese Schätzung basiert auf empirischen Daten, denn eine diesbezügliche Statistik gibt es gegenwärtig nicht." Der Lundehund-IG reicht das aber völlig: "Um vielen Horrorgeschichten (z. B. kurze Lebensdauer, kranke Rasse (IL), Diät erforderlich), die im Hinblick auf den Lundehund im Umlauf sind, entgegenzutreten, wurde ein hervorragendes Exposé von Ingvild Svorkmo Espelien – ... Diplombiologin (cand.scient. ...) und tätig als Oberstudienrätin/ Dozentin für Kleintierkunde – ausgearbeitet." (7) Die meisten anderen Zuchtvereine stoßen ins gleiche Horn.

Diese Ignoranz weiter Teile der Zucht macht Sorge um die Zukunft dieser so besonderen, erhaltenswerten Hunderasse. Mit einer Vogel-Strauß-Taktik mag man zwar Welpenkäufer und geprellte Hundehalter im Zaum halten können, nicht aber die Krankheit. Der Lundehund muss dringend vor einer weiteren Ausbreitung dieser Erbkrankheit geschützt werden - wie auch vor Züchtern, die solche Erbkrankheiten ignorieren. Hunde, die als (wahrscheinlicher) Carrier dieser Krankheit identifiziert wurden, müssen aus der Zucht genommen werden. Eine - soweit medizinisch machbar - negative Diagnose sollte verpflichtende Voraussetzung für eine Zuchtzulassung sein.

Was ist das für eine "Liebe" zu den Hunden, wenn man sie dem Risiko einer solch fatalen Erbkrankheit sehenden Auges aussetzt!? 

Der 1988 gegründete "Norwegian Lundehund Club of America, inc." (8) nennt das Problem beim Namen: "Die Lebenserwartung eines norwegischen Lundehunds gilt als unberechenbar aufgrund des Lundehund Syndroms." Deshalb:

Wir brauchen dringend eine Wende in der Zucht des Lundehundes zur Rettung dieser einmaligen Hunderasse!


* Kostenrisiko Lundehund:
Ein Lundehundwelpe kostet mittlerweile 1.500 €. Die entstehenden Tierarztkosten eines kranken Lundehundes belaufen sich mtl. auf um die 300,- € + teures Spezialfutter. Ein kranker Lundehund kann schnell bei der Erstbehandlung (stationärer Aufenthalt und das Einstellen der Medikamente) 1.000,- € und auch weitaus mehr kosten.

** Möglicherweise ist das LS eine kanine Form des Morbus Crohn  (Inflammable Bowel Disease); Dr. Hellmuth Wachtel weist darauf hin, dass eine Erforschung des LS möglicherweise entscheidende Fortschritte für die Humanmedizin im Verständnis des Morbus Crohn bringen könnte.

(1) Dr.med.vet. Nora Berghoff, Prävalenz und Teilcharakterisierung von Gastroenteropathien mit Proteinverlust beim Norwegischen Lundehund in Nordamerika http://elib.tiho-hannover.de/dissertations/berghoffn_ws06.html
(2) Prof. Dr. Ingo Nolte, Dipl. ECVIM-CA/ ECVON-CA, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Schreiben vom 22.11.2007
(3) DVM Dr. Susan Lyn Torgerson, Lundehund Intestinal Syndrome http://lundehunds.com/lundehundsyndromeinfo.html
(4) Norwegian Lundehund Association of America: "There is a small group of Lundehund owners who, prior to the establishment of the NLAA, coined the phrase "Lundehund Syndrome" in an effort to paint an all encompassing picture of the Lundehund GI problems. Please take note that this term is NOT found in any official medical textbooks."
http://www.nlaainc.com/main_page.htm
(5) Norwegischer Lundehundeclub
Suomen Lunnikoirayhdistys Ry
Dänischer Lundehundeclub (keine Erwähnung des Lundehund-Syndroms)
Svenska lundehundsällskapet
(6) Zuchtordnung des Deutschen Clubs Für Nordische Hunde (rassespezifischen Anhang der ZO/DCNH für den Lundehund http://www.dcnh.de/satzung/ralundehund.pdf
(7) Interessengemeinschaft Norwegischer Lundehund, http://www.norwegischer-lundehund.de/informationen.html
Lundehund e.V. http://www.lundehund.eu/
10%-"Untersuchung" von Ingvild Svorkmo Espelien: www.norwegischer-lundehund.de/images/EXPOSE_IL.pdf
(eine Anfrage des Autors an die IG nach Informationen zum Lundehund Syndrom blieb unbeantwortet)
(8) Norwegian Lundehund Club of America http://lundehund.com/health.htm
(9) zur Studie TiHo Hannover Prof. Dr. Otmar Diestl http://quistel.de/Merkblatt_COBOL_Hund.pdf
(10) Warnung vor dem Lundehund-Syndom auf einer kanadischen Info-Seite

Ein Beitrag von Christoph Jung in Zusammenarbeit mit Nicole Kamphausen
 
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