Sonntag, 2. Juni 2013

Der DCM Skandal in der Rassehundezucht (Teil 2)

Am 14. Mai wurde bei Petwatch der erste Artikel zu "Der DCM Skandal in der Rassehundezucht" veröffentlicht. Wir haben auf die dilatative Kardiomyopathie (DCM) als erblich bedingte, seuchenhaft verbreitete, tödliche Herzkrankheit hingewiesen. DCM ist "eine Erkrankung des Herzmuskels, bei der sich das Herz erweitert und schwach schlägt" (LMU München). Wir unterstützen das Engagement einiger Hundefreunde zur Bekämpfung dieser durch den Menschen zur Seuche gemachten Krankheit (wie die Petition für die Einführung der Herzultraschallpflicht oder die beiden Videos zu DCM bei Dobermann und Deutscher Dogge).

Wirklich ein Skandal?

Kann man wirklich von einem "Skandal in der Rassehundezucht" sprechen? Ich meine: Ja man kann. Denn es ist wirklich skandalös (= „ärgerniserregend, anstößig“ sowie „unerhört, unglaublich“ Quelle: Wikipedia) wie hier vom Menschen wissend und bewusst handelnd mit den ihm anvertrauten Tieren umgegangen wird. Eine tödliche Krankheit wird von der Zucht, vom Menschen, wie eine Seuche in einer Hunderasse-Population verbreitet und trotz Kenntnis dieser Gefahr wird seit Jahren, ja Jahrzehnten kein Programm zur Ausmerzung dieser Krankheit gefahren, gar dieses Problem im wahrsten Sinne des Wortes tot geschwiegen.

DCM (dilatative Kardiomyopathie) ist
  1. eine tödliche Krankheit
  2. hier vom Menschen wie eine Seuche verbreitet
  3. dies seit langem wissentlich
  4. und noch immer ohne Programm zur Bekämpfung
  5. und leider kein Einzelfall, vielmehr Teil eines kranken Systems
Es nennt sich trotzdem "kontrollierte Hundezucht", "Liebe zur Hunderasse", "Tierliebe"! Wirklich skandalös.
Djoker vom Schillingsgut - Screenshot aus "DCM beim Dobermann" von Ruth Stolzewski
Es ist unstrittiger Stand der Tiermedizin, dass DCM eine unheilbare, tödliche Krankheit ist. Vertiefende Informationen findet man insbesondere bei der Uni München, die sich seit den 1980er Jahren mit dem Thema wissenschaftlich und klinisch befasst. Inzwischen ist ebenfalls unstrittig, dass DCM eine erblich bedingte Krankheit ist. Man hat sogar Abschnitte im Genom der Hunde exakt bestimmen können, die an der Vererbung der Anlage zu DCM beteiligt sind. Auf die Punkte 2. und 3. soll in diesem Teil eingegangen werden.

Eine Seuche - menschengemacht

Es ist ein Naturgesetz, dass Lebewesen in ihren Genen Anlagen tragen, die sich als Fehlfunktion oder Krankheit äußern können. Kein Säugetier ist frei von solchen Anlagen in seinen Genen. Die meisten hier relevanten Erbkrankheiten werden erst von mehreren Genen von Vater und Mutter im Zusammenspiel angelegt. Daher treten solche Veranlagungen - zumal für schwere Erkrankungen - eher selten auf*. Die Natur legt wert auf genetische Vielfalt. Daher ist das Zusammentreffen einer Konstellation, die eine Erbkrankheit verursacht, schon rein statistisch gesehen sehr selten. Auch DCM tritt "natürlich" auf, aber nur bei weit weniger als 1% der Individuen. Beim Dobermann tritt DCM als Krankheit bei mehr als 50% auf, bei der Deutschen Dogge bei etwa einem Drittel. Diese extreme Häufung ist anthropogen. Eine eher seltene Erbkrankheit ist erst durch Versäumnisse der Zucht, vom Menschen, zu einer Seuche gemacht worden.
Screenshot aus "DCM bei der Deutschen Dogge" von Ruth Stolzewski
Eine solche Entwicklung ist nicht zuletzt auch eine notwendige Folge von Inzucht. Inzucht ist immer noch eine weit verbreitete Methode der Rassehundezucht und wird in den meisten Zuchtordnungen, auch der vom VDH, als ganz "legal" behandelt. Die Folge: Ist der Gendefekt erst einmal verbreitet worden, etwa durch nur einen beliebten Zuchtrüden, so kann sich dieser wie eine Seuche in der Hunderasse-Population verbreiten. Durch den per Inzucht einförmigen, seit vielen Generationen abgeschotteten Genpool finden passende Veranlagungen sehr schnell, eben unnatürlich schnell zusammen. Die übermäßige Verwendung einzelner Zuchtrüden (sog. Popular Sires) tut ihr Übriges.

Auch DCM-Rüden ohne Deckbeschränkung

Der Dobermann Verein im VDH hat in seiner Zuchtordnung bezeichnenderweise keinerlei Deckbeschränkung für seine Rüden! Die Zuchtzulassung wird ab einem Lebensalter von nur 18 Monaten erteilt. DCM-frei ist weder notwendige Voraussetzung, noch in diesem jungen Alter zuverlässig diagnostizierbar. So kann ein schwer mit DCM belasteter Deckrüde, der etwa mit 4 Jahren an dieser Erbkrankheit stirbt, bereits hunderte Nachkommen gezeugt haben und zwar samt seiner DCM-Veranlagung und mit VDH-Papieren aus der guten, "einzig kontrollierten" Zucht.

Der Cavalier King Charles Spaniel. Von seinem Wesen und Anlagen her ein äußerst liebeswürdiger, idealer Begleiter in der heutigen Zeit. Auch hier wird seit Jahrzehnten wissentlich mit schwersten Erbkrankheiten vermehrt. Heute gibt es kaum noch erbgesunde Exemplare dieser Hunderasse.
Hinweise auf besondere Häufigkeit von DCM seit 1949...

Bereits 1949 werden Herzkrankheiten als auffällig häufige Todesursache beim Dobermann in den USA beschrieben; seit Anfang der 1950er Jahre explizit der "plötzliche Herztod". Erste wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema werden in den 60er Jahren publiziert. Das Problem ist also seit mehreren Züchter-Generationen bestens bekannt. In München, quasi direkt vor dem Haustür des weltweit führenden Dobermann-Vereins, weist der Tiermediziner Prof. Dr. Helmut Kraft von der Ludwig-Maximilians-Universität im Januar 1989 eindringlich auf DCM hin. Bereits vor mehr als 20 Jahren war DCM als ein besonderes Problem beim Dobermann bekannt, ja sogar als die häufigste Todesursache. Professor Kraft nennt lediglich 6,9 Jahre als rechnerisches Durchschnittsalter der Hunde. Der Wissenschaftler gibt klare Hinweise auf Fehler in der Zucht als Ursache für die seuchenhafte Verbreitung von DCM sowie die hohe Wahrscheinlichkeit der erblichen Bedingtheit (dokumentiert in "Unser Dobermann", 1989). Wissenschaftliche Untersuchungen wie die von PD Dr.Wess oder dem Vorsitzenden des Collegium Cardiologicum Dr. Kresken sowie zahlreiche weitere internationale Veröffentlichungen untermauern und bestätigen diese Hinweise Professor Krafts.

...doch weiterhin Ignoranz durch weite Teile der Zucht

Es wäre also lange genug Zeit gewesen, ein fundiertes, systematisches Programm zur Bekämpfung dieser tödlichen, unheilbaren Erbkrankheit ins Leben zu rufen. Tausenden Hunden und ihren Familien hätte man das traurige Schicksal des plötzlichen Herztodes ersparen können. Locker 4 Lebensjahre wurden den Hunden im Durchschnitt geraubt! Ein gesunder Dobermann erreicht locker die 12 und zwar in der Regel mental und körperlich erstaunlich fit. Die Zucht weiß seit langem und zwar sehr genau von der tödlichen Gefahr in den Genen seiner Zuchtprodukte. Doch man sucht beim Dobermann-Verein im VDH vergeblich nach einem Programm gegen DCM. Ja, DCM wird als Thema völlig ausgeblendet. Der DV gibt den Anschein als gäbe es kein Problem in den Genen der unter seiner "Kontrolle" vermarkteten Welpen. Hundefreunde und Welpenkäufer erfahren auf der Website des DV rein gar nichts über die versteckte Zeitbombe in den von ihm gezüchteten Hunden.
Lundehund: eine ganz besondere, einzigartige Hunderasse,
die ebenfalls durch Versäumnisse der Zucht
mit schweren Erbkrankheiten verseucht wurde. (Foto Nicole Kamphausen)
DCM - leider kein Einzelfall

Im kommenden Teil zum DCM Skandal in der Rassehundezucht wird dargelegt, was hinter diesem Handeln der Zucht steht. Wir werden sehen, dass "DCM" leider kein Einzelfall ist. Die wissentliche Zucht mit der Veranlagung zu schweren Erbkrankheiten ist vielmehr ein verbreitetes Kennzeichen der modernen Rassehundezucht. Sie ist eine Form von Qualzucht, die etliche Hunderassen betrifft und bei weitem nicht nur Dobermann, Deutsche Dogge, Cavalier oder Lundehund. Sie ist eine besonders heimtückische Form von Qualzucht, die leider viel weiter verbreitet ist als die vergleichsweise leicht, augenscheinlich erkennbare Qualzucht zum Beispiel beim Mops, Bully oder Deutschem Schäferhund.

Aber es geht auch anders, und zwar zum Wohle der Hunde und im Interesse der einmaligen Partnerschaft Mensch-Hund. Es gibt Zuchtvereine, die die mentale und körperliche Gesundheit ihrer Hunde fürsorglich betreuen und es gibt einfache, leicht umsetzbare und vor allem auch kontrollierbare Maßnahmen, die bereits signifikante Fortschritte erzielen lassen.

(*DCM hat wahrscheinlich eine nach Hunderassen und sogar Rasse-Populationen unterschiedliche erbliche Bedingtheit. Bei der Dobermann-Population in Deutschland liegt dem heutigen Stand der Wissenschaft nach ein autosomal dominanter Erbgang zugrunde)

Ein Artikel von Christoph Jung



 
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