Sonntag, 8. September 2013

Schluss mit dem heutigen System der Ausstellungen!

Das Ausstellungswesen ist eine der tragenden Säulen der modernen Rassehundezucht. Diese entstand vor etwa 150 Jahren. Im Zuge der Industriealisierung hatten nach 1800 fast alle Arbeitshunderassen ihre Arbeit verloren. Der Metzger brauchte sie nicht mehr als Zughunde, um den Karren mit Schweinehälften zu ziehen, der Schmied hatte nun Maschinen, um die Blasebälge der Schmiedefeuer anzutreiben, die Rinderherden wurden vom Stacheldraht "gehütet" und per Eisenbahn "getrieben". Schließlich wurden die in England über Jahrhunderte so beliebten Hundekämpfe endlich verboten. Nur wenige Hunde-Spezialisten, eben Hunderassen, behielten ihre Arbeit, Jagdhunde etwa. Zugleich wuchs in den rasant wachsenden Städten ein breiter Bedarf an Hunden als Begleiter. So entstand die moderne Rassehundezucht.

Ausstellungen statt Arbeit als Kriterium der Qualität eines Hundes

Man wollte die alten Arbeitshunde vom Typ erhalten. Doch die Leistung bei der Arbeit als unbestechlicher Richter über einen guten, typischen Rassehund war weggefallen. So schuf man "künstliche" Instrumente, um die Qualität eines Hundes zu beurteilen. Neben Rassebeschreibungen, den Standards, und künstlich isolierten Genpools per Ahnentafeln, wurde der Ring auf Ausstellungen zum entscheidenden Maßstab. Einzelne Richter beurteilen nun seit über 140 Jahren die Hunde im Wesentlichen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild. Eine kurze Beschau, ein, zwei Runden im Ring - so werden bei den meisten Hunderassen auch heute noch Bewertungen und Championate vergeben. Das Wesen, die körperliche und mentale Gesundheit spielen hier kaum eine Rolle. Ja, durch darüber hinaus isolierte Genpools und Inzucht wurde die ursprünglich extrem robuste Gesundheit der Hunde systematisch demontiert. Äußerlichkeiten - und diese zumeist ins Extreme ausgebildet - sind das Kriterium. Das sind die Konstruktionsfehler der modernen Rassehundezucht, längst bekannt aber unbeirrt weiter praktiziert!
Deformierter Kopf ohne Nase - hier ein Japan Chin
auf der VDH Ausstellung Leipzig 2013 (Foto: Christoph Jung)
Konstruktionsfehler der modernen Rassehundezucht

Das Ausstellungswesen ist einer der wesentlichen Konstruktionsfehler der modernen Rassehundezucht. Es bedarf schleunigst einer grundlegenden Reform, um die Rassehundezucht zu retten und von Menschen systematisch erzeugtes Tierleid zu beenden. Das ist keine Übertreibung, denn die Rassehundezucht krankt im wahrsten Sinne des Wortes. Allein hier auf Petwatch haben wir Dutzende Hunderassen vorgestellt, die an schwersten, oft tödlichen, jedoch allein durch den Menschen gemachten oder/und verbreiteten Krankheiten leiden (Beispiel Dobermann, Lundehund, Bulldog, Cavalier King Charles Spaniel). Doch wenden sich die Hundezuchtverbände bereits gegen die kleinsten Reformen wie beispielsweise eine unabhängige tierärztliche Kontrolle auf den Ausstellungen zur Verhinderung der ärgsten, evidenden Auswüchse (siehe Bulldog, VDH Leipzig 2013).
Dieser Bulldog wurde im August 2013 Champion bei der VDH Ausstellung in Leipzig trotz evidentem Verstoß gegen den geltenden Standard, der Nasenfalten explizit als schweren Fehler verbietet
(Foto: Christoph Jung)
Namhafte Tiermediziner, Genetiker, Kynologen stellen dem heutigen Ausstellungswesen ein vernichtendes Zeugnis aus. Und das nicht erst seit ein paar Jahren. Trotzdem ändert sich rein garnichts zum Wohle der Hunde. Denn es gibt mächtige Kräfte, die am Erhalt des Status Quo im Hundemarkt interessiert sind: Ein Wirtschaftszweig im Volumen von mehr als 5 Milliarden Euro pro Jahr allein in Deutschland. Verdient wird an der schieren Masse der Hunde und besonders gut am kranken Hund, wie es der Autor bereits 2009 in "Schwarzbuch Hund" nachgewiesen hat.

Es gibt gewichtige Kräfte, die ein Interesse am Erhalt des heutigen Zucht- und Ausstellungssystems haben. Hier wurde bereits mehrfach über das Interesse der Zuchtverbände berichtet. So erwirtschaftet der VDH den Löwenanteil seiner Einnahmen durch Ausstellungen. Auch die Mehrheit der Züchter hat ein Interesse am Erhalt des heutigen Ausstellungssystems, sichert es doch den Wert des prämierten Zwingers und das Ansehen in der Szene. Mit einem Champion in der Ahnentafel lassen sich Welpen teurer vermarkten und steigen die Decktaxen der Rüden. Im Hintergrund aber halten mächtige Industriekonzerne die Fäden in der Hand. Sie konnten bisher erfolgreich durchsetzen, dass es in der EU keinerlei Vorschriften zur Hundezucht und kein Verbot des Hundehandels gibt.
Es gibt leider nur wenige Tierärzte wie Dirk Schrader, der hier eine Franz. Bulldogge operiert, die das Hundezuchtsystem offen kritisieren. Foto aus 3-Sat Wissenschaftsdoku "Mensch, Hund! Der Rasse-Wahn und seine Folgen", die am Donnerstag, 12.9.13 um 20.15h gesendet wird.

Agrar- und Nahrungsmittelkonzerne beherrschen das Hundegeschäft

Der wohl mächtigste Player ist ein Zuckerriegel-Produzent aus Virginia, USA. Mars mit seiner Heimtiersparte Mars Petcare ist seit Jahrzehnten der größte Lobbiist der Hundebranche sei es in Brüssel oder Berlin, in Veterinär-Universitäten oder eben in der Hundezucht. Kaum eine Ausstellung in Deutschland oder Europa findet ohne Mars als Hauptsponsor statt. Mars-Marken wie Pedigree oder Royal Canin dominieren die Werbung auf den Hundeausstellungen, im Hundezuchtwesen und der gesamten Hundeszene. Mars-Werbung dominiert TV-Sendungen wie Hundkatzemaus und praktisch alle Print-Magazine. Neben Mars beherrschen weitere Big-Player die Hunde-Branche. Fast alle sind Sparten der großen internationalen Nahrungs- und Agrarkonzerne, jene Konzerne, die auch die industrielle Massentierproduktion zu verantworten haben. Sie mutieren beim Heimtierfutter zum Tierfreund.
Die meisten Hundefutter-Produzenten und Vetpharma-Konzerne zeigen in Brüssel und Berlin keinerlei Interesse an einer Verbesserung der Lage in Hundezucht und Hundehandel. Sie verdienen hervorragend an jedem Hund im konsumstarken Deutschland. Je mehr Hunde in Deutschland desto mehr, je höher die Mindeststandards in der Zucht desto weniger Profit. Wenn europaweit billigst und unter elenden Bedingungen produzierte Hunde den deutschen Markt bedienen, so ist es auch recht. Danach fragt keine Kasse bei Aldi oder Fressnapf. Ein kritisches Bewusstsein der Welpenkäufer und Hundehalter hinsichtlich der realen Tierschutz-Zustände in Deutschland, der Zuchtstandards, Herkunft der Welpen oder Ernährung stört diesen Markt nur. Gesetzliche Mindeststandards bei Hundezucht oder Hundeausstellungen stören nur das hoch profitable Geschäft mit dem Hund. So wurde bei der Novellierung des Tierschutzgesetzes 2013 selbst die Vorschrift gestrichen, die ein explizites Ausstellungsverbot für Hunde mit Qualzuchtmerkmalen vorsah.

Warum gibt es keine gesetzlichen Mindeststandards?

Es ist schon bemerkenswert, dass es in der EU zu jeder Banane und jeder Gurke seitenweise penible Vorschriften gibt, aber keine einzige zur Hundezucht. Jeder Angler, der eine Rotauge aus dem Tümpel holen will, braucht einen Angelschein und zusätzlich eine konkrete Erlaubnis. Wer Hunde züchten will braucht hiervon nichts. Zwielichtige "Tierschutz"organisationen importieren massenweise Hunde nach Deutschland. Selbst einen Hundezuchtverein kann jeder gründen ohne den geringsten Nachweis der Fachkunde und dann ganz legal "Papiere" ausstellen und auf Ausstellungen Champions küren. Und so ändert sich auch nichts am Ausstellungswesen trotz der teils skurrilen und evident tierschutzwidrigen Auswüchse.

Es gibt mächtige Interessen am Erhalt des "kranken" Ausstellungswesens. Das funktioniert aber nur solange wir Hundefreunde still und leider oft genug unkritisch mitmachen. Für eine Zukunft der einmaligen, besonderen Partnerschaft Mensch - Hund bedarf es einer grundlegenden Reform des Zuchtwesens. Heute ist der kritische, bewusst agierende Hundefreund gefragt, der sich nicht vom seichtem Tierliebe-Geschwafel in Werbung und Medien sedieren lässt. Hunde brauchen keine selbstgerechten Konsumenten vielmehr nüchtern denkende Anwälte ihrer Interessen. Es liegt auch an uns als "Verbraucher", als Hunde- und Tierfreund, diesem System die Rote Karte zu zeigen - "Stell dir vor es ist Hundeausstellung und keiner geht hin."

(ein Artikel von Christoph Jung)






 
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