Fragen von Christoph Jung: Vor 10 Jahren haben wir uns in Berlin zum ersten Mal gesehen. Da waren wir als Experten zur Anhörung für ein neues Tierschutzgesetz im Bundestag eingeladen. Wir waren voller Hoffnung. Doch unsere ganz konkreten Vorschläge für ein Gesetz, das Qualzucht hätte wirksam verhindern können, wurden allesamt ignoriert. Was hat sich in der Praxis seither getan?
(Claudia) Ich sehe viele ignorante Züchter, die sich die Probleme weiterhin schönreden und eher nur Hunde produzieren als die Rasse zu erhalten oder zu verbessern. Ich sehe aber auch engagierte Züchter, die weit über den geforderten Standards der Vereine untersuchen und selektieren und ganz wunderbare Erfolge erzielen. Mein Fazit ist, dass jeder für sich sein eigenes ethisches Tierschutzgesetz zwischen Herz und Hirn erfinden und dieses dann verwirklichen muss. Von politischer Seite oder Verbandsebene kommen allenfalls seichte Forderungen, die man wieder Richtung Qualzucht und Profit wunderbar umgehen kann.
Claudia und Christoph vor der Anhörung im Bundestag zur Lesung der Novelle des Tierschutzgesetzes, 2010 |
(Claudia) Mich nervt es mittlerweile, dass das Thema Qualzucht ausschließlich nur um die Plattnasen herum zu existieren scheint. Zu Recht muss man hier vieles kritisieren, was wir auch gerne tun. Aber das Thema ist komplexer. Alleine das Problem der Atmung lässt sich nicht auf wenige cm der sichtbaren Nase reduzieren, wie man es jetzt z.B. in Holland versucht. Man kann keine Atemfunktion gescheit von außen beurteilen!
ohne Worte |
Qualzucht sehe ich bei so vielen Rassen, die Riesen werden riesiger, die Zwerge werden winziger, der Dobermann ist hoffnungslos ingezüchtet, die DCM eine viel schwieriger zu korrigierende Krankheit als unsere Atmung. Die Epilepsierate bei einigen Rassen explodiert, weil auch hier von Züchterseite so herrlich vertuscht werden kann. Qualzucht hat so viele traurige Seiten, in den Medien ist es aber immer nur der keuchende Mops oder Bully.
Zurück zu den Plattnasen, wie ist die Lage dort?
(Claudia) Man kann alles bekommen. Es gibt Trends zu winzigen, verkürzten Qualzuchten, die gerade noch eine unbewegliche Rückenlänge von 12 cm haben, ohne Gesicht, ohne Rute, erschaffen durch künstliche Befruchtungen und Kaiserschnittgeburten. Gerade in den USA sind diese Short Bullys extrem beliebt. Mit Hund hat es nicht mehr viel gemeinsam. Diese Kreationen sollten aus Tierschutzgründen komplett abgelehnt werden.
Dann gibt es eine unglaubliche Entwicklung in der Farbzucht, fast alle Farbschläge sind mittlerweile bei den Bullys vertreten. Einige Farbzüchter achten auf Gesundheit und haben tolle Linien kreiert, die die Bullyzucht durch den erweiterten Genpool sehr bereichern.
Dann gibt es mittlerweile immer mehr Züchter, die wieder mehr Nase und Körperlänge züchten möchten, einen sportlichen Verteter der Rasse bevorzugen. In den sozialen Medien tobt dann immer wieder der Streit darüber, ob diese Tiere denn nun reinrassig sind oder nicht. Ich glaub den Hund im gesunden Körper mit unbändiger Lebensfreude interessiert das wenig.
Der Trend und die Nachfrage gehen aber ganz klar in Richtung sportlicher, leistungsfähiger, kleiner Begleithund für die aktive Familie, die auch wandern will oder sich im Sommer auch mal mit Freund Hund ins Café setzen möchte, ohne Angst haben zu müssen, dass der Hund erstickt. Und das können die gesünder gezüchteten Bullys ohne Probleme auch leisten. Dies sollte eine Selbstverständlichkeit sein, wenn man von der Spezies Hund spricht!
Du züchtest selber Französische Bulldoggen, worauf achtest du ganz besonders?
(Claudia) Einfach nur auf Kondition und Fitness. Meine Hunde sind lebhafte, bewegliche, kleine Begleithunde, die durch einen etwas moderateren Körperbau extrem leistungsfähig sind. Das will ich erhalten. Mich interessieren keine Farben oder der Rassestandard, der Hund muss als Canide funktionieren. Dazu gehört eine uneingeschränkte Atmung, ein freies Gangwerk mit guter Sprungkraft durch gesunde Wirbelsäule, Hüfte, Bänder, Winkelung. Eine wedelnde Rute, die kommunizieren kann gehört genauso dazu wie eine komplikationslose Geburt mit sicheren Instinkten für die Aufzucht.
Das ist für mich entscheidend.
Christoph Jung mit seiner besten Freundin Madame, 1966 |
Als Jugendlicher war "Madame" meine erste und beste Freundin. Sie war eine Bully-Lady. Und sie war kerngesund. Mit ihr bin ich sogar auf Bäume geklettert. Sie hatte Energie ohne Ende, war voller Liebe und strotzte vor Gesundheit. Sie wurde 14 Jahre ohne je ernsthaft krank gewesen zu sein. Meint, gesunde und zugleich voll rassetypische Bullys sind möglich. Wie ist der Stand in deiner Zucht?
(Claudia) Ich denke schon, dass man solche robusten Bullys wieder züchten kann und ich weiß von anderen Züchtern, die bereits mehrere Generationen durchgezüchtet haben, dass es möglich ist. Bullys, die beschwerdefrei alt geworden sind, gibt es. Meine älteste Hündin wird jetzt 7 Jahre alt, ist immer noch geschmeidig und beweglich wie ein Junghund. Mit ein bißchen Glück kommt uns hier keine gesundheitliche Katastrophe mehr dazwischen.
Bäume klettern ist für uns kein Problem, hier die 10 Monate alte Enkelin meiner Importhündin |
Was muss sich verändern, um Qualzucht ein Ende zu bereiten?
(Claudia) Zuerst muss der Käufer und Hundebesitzer begreifen, welche Bedürfnisse ein Hund tatsächlich hat. Wenn sich hier Erkenntnis breit macht, werden die Züchter auf ihren unbeweglichen, schnaufenden, rutenlosen Exemplaren hoffensichtlich sitzen bleiben. Der Käufer muss fordern, dann werden die Züchter auch umdenken. Hier ist Aufklärung wichtig. Züchter müssen zeigen, wie Freund Bully funktionieren kann. Die Nachfrage nach gesunden Hunden aus kontrollierter Zucht ist enorm.
Ideal wäre natürlich ein durchdachtes Netzwerk von Tierärzten und evaluierten Gutachtern, die Zucht und Auswertung kontrollieren und freigeben. Ein einheitliches Bewertungssystem von Röntgenbildern, eine sinnvolle Untersuchungsstrategie der Brachyzephalen inkl. Atemwege und Wirbelsäule würde für mich dazu gehören. Da die Zucht mittlerweile auf unzählige Vereine verstreut ist, halte ich hier ein transparentes und ehrliches Zusammenarbeiten aber leider für nicht ganz umsetzbar.
Liebe Claudia, herzlichen Dank für das Interview und dein Engagement für unsere besten Freunde.
Fortsetzung der Vorstellung von Claudia:
Auf den beiden HP’s www.gesunde-bulldogge.de in deutsch und www.gesunde-bulldoggen.com in englisch versuchen wir Lösungen und Wege aus dem Labyrinth der Fehlzucht aufzuzeigen.
Und da ich das Elend der anderen Zuchten nicht mehr leiden konnte, in der Zwischenzeit meine drei Rüden aus gesundheitlichen Gründen für bessere Lebensqualität operieren lassen musste, entschloss ich mich auf eigene Faust nach einer gesunden Hündin zu suchen und züchte nun im winzigen Rahmen seit 2015 meine eigenen Bullys. Es gibt für mich keine andere Rasse, die dieses lebenslustige, energische, herzliche Wesen ersetzen kann.
Es folgte die Umstrukturierung des Vereins Gesunde Bulldoggen e.V. und die Neugestaltung der üblichen Zuchtstandards. Seit 2014 untersuchen wir die Hunde per CT, um Aufschluß über die Beschaffenheit der Atemwege und des Wirbelkanals zu erlangen. Ärzte benutzen die Analyse der Computertomographie um Operationen und Korrekturen von Wirbelsäule und Atemwege zu planen. Wir haben diese Möglichkeit genutzt, um den gesundheitlichen Zustand der Zuchthunde zu diagnostizieren. Und mit sehr wenigen Ausnahmen sind unsere Nachzuchten wirklich fit und munter und haben keine Einschränkungen.