Dienstag, 15. Juni 2010

Warum noch Rassehund?

Immer wieder höre ich die Meinung, "ein Rassehund, was soll das?" Rassehunde seien eh überzüchtet und es gäbe doch genug Hunde im Tierheim. Neuerdings wird diese Argumentation von manchen "Tierschützern" ausgeweitet unter Hinweis auf die tatsächlichen und vermeindlichen Nothunde auf Mallorca oder Ibiza, die man im großen Stil nach Deutschland exportiert und hier vermarktet. Natürlich geben solche Argumente zu denken.

Über den Dortmunder Appell habe ich inzwischen von mehr als 80 Hunderassen Berichte erhalten, die Erscheinungen von Qualzucht dokumentieren. Meist sind es die auf den ersten Blick nicht ersichtlichen Wirkungen einer am Profit und nicht am Wohl der Hunde orientierten Zucht: Erbkrankheiten, wo man hinschaut, Herz, Auge, Nieren, Immunschwächen, Epilepsie... - alles keine Seltenheit bei Rassehunden. Und nicht nur das.

"Es gibt genug Hunde in Tierheimen"

Sicher gibt es viel Hundeelend auf der Welt. Wobei die von vermeindlichen Hundefreunden angeführten Straßenhunde oft genug nicht hierzu zu zählen sind. In vielen Regionen der Welt haben Straßenhunde ein besseres Leben als Rassehunde hier in den Ballungsgebieten Deutschlands. Sie können artgerecht streunern, sich ihre sozialen und sexuellen Partner eigenbestimmt aussuchen und müssen weder Leine noch Maulkorb ertragen. Natürlich haben sie Hunger.
Straßenhund in Spanien (Foto: Sylvia Bosse)

Aber haben es ihre satten Verwandten bei uns alleine deswegen besser? Und weil immer noch Hunde in Tierheimen auf ein neues Herrchen oder Frauchen warten - soll man auf den Kauf eines Welpen beim Züchter verzichten? Mit dieser Argumentation dürfte man auch keine eigenen Kinder in die Welt setzen, denn es gibt auch (mehr als) genug Kinderelend auf der Erde.

Das Übel an der Wurzel packen

Man sollte besser das Übel an der Wurzel packen, als nur an den Symptomen herum zu kurieren - auch wenn jeder einzelne Hund im Tierheim der Fürsorge bedarf. Mindeststandards für die Zucht und Haltung von Hunden einzuführen und insbesondere den Handel mit Hunden verbieten, wäre die beste Vorsorge vor Hundeelend. Auch sollte jeder Züchter bzw. Zuchtverein verpflichtet sein, sich um die verkauften Welpen im Notfall zu kümmern, eine Hundeleben lang. Seriöse Züchter machen das eh selbstverständlich.

armer Hund in Deutschland (Belgischer Zwerggriffon)

Hunderassen schreiben Geschichte

Wenn heute Rassehunde krank sind und wie Kleidung und Mode nach Farben und Felleigenschaften gezüchtet und vermarktet werden, so muss deswegen Rassehund als solches nicht schlecht sein. Die allermeisten Hunderassen gehen letztlich auf eine uralte gemeinsame Geschichte von Mensch und Hund zurück. Hunderassen sind aus den Anforderungen an die Zusammenarbeit mit dem Menschen entstanden. Jede einzelne Hunderasse wurde durch spezielle Anforderungen an die Arbeit, die sie im Dienste der Menschen verrichten mussten, geformt und geprägt. Insofern ist jede Hunderasse auch ein Zeugnis der Geschichte und ein Kulturgut.

Hirtenhunde entstanden aus der Notwendigkeit, die Ziegenherden zu kontrollieren und die Herdenschutzhunde wiederum entstanden hieraus als selbständige Beschützer vor Bären, Wölfen und feindlichen Menschen. Es gibt sogar handfeste Hinweise, dass der Mensch diesen epochalen Fortschritt der Viehhaltung nur durch die Mithilfe des Hundes geschafft hat.

Hunderassen als Kulturgut

Als das Eigentum an Haus und Hof entstand, brauchte man Wächter zum Schutz vor Neidern. Auch diese Arbeit machte der Hund. Diese Hunde brauchten wieder ganz andere Fähigkeiten als ein Hirtenhund. Sie mussten melden, Fremden Angst einflößen und eventuell auch mal einer Ratte nachsetzen. Auf keinen Fall konnte man hier einen Hund gebrauchen, der hinter jedem vorbeilaufenden Kaninchen herjagde und seinen Wachposten verließ. Bei der Jagd aber brauchte man exakt diese Eigenschaft und hier zudem die unterschiedlichsten Spezialisten. Ohne Hunde, die anzeigen, Schweißarbeit leisten, hetzen, apportieren, nachsuchen wäre die Jagd um ein vielfaches weniger einträglich gewesen.

Rassehunde sind berechenbar

Wenn man heute einen Rasse-Welpen kauft, so erhält man ein Paket, das sehr berechenbar ist. Und zwar berechenbar nach Erscheinung, Wesen und auch den Anforderungen an sein künftiges, artgerechtes Leben. Will ich als Jäger einen Hund haben, der mir eine geschossene Ente aus dem Wasser apportiert, so liege ich beim Labrador richtig. Für ihn ist Apportieren Lebensinhalt geworden und ohne solche Tätigkeiten kann er nicht mehr artgerecht leben. Ein Greyhound wäre hier fehl am Platze. Er hat wieder ganz andere Fähigkeiten aber auch Bedürfnisse. Und wenn ich in einer Etagenwohnung lebe und nicht jeden Tag und bei jedem Wetter Zeit und/oder Lust habe, zwei bis drei Stunden mit dem Hund zu arbeiten, sollte ich keinen Border Collie oder anderen ehemaligen Hütehund zu mir nehmen. Wer es etwas gemächlicher liebt und keinen sportlichen Ehrgeiz hat, ist wiederum mit einem Mops oder einem Bulldog als Begleiter bestens bedient.

Rasseeigenschaften als Tierschutz

In den kleinen Welpen stecken alle diese unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Eigenschaften bereits drin. Ich kann den wirklich passenden Hund zu mir holen. Auch das ist ein wesentliches Element von Tierschutz. Es schafft die Voraussetzung, dass der Hund artgerecht mit uns leben kann.

Ein Mischling ist dagegen eine Wundertüte, bei der man nie so recht weiß was drin ist. Und vielleicht habe ich gerade das Pech, dass der Hund Eigenschaften hat, die nicht zu den eigenen passen. Oft genug ist das Tierheim die nächste Station. Natürlich kann ich auch Glück haben und den Hund finden, der ideal zu mir passt. Mischlinge sind zudem aufgrund der nicht oder nur selten auftretenden Inzucht im Durchschnitt gesünder und um 1,5 Jahre langlebiger als ihre oft "linien-" oder anderweitig ingezüchteten Rasse-Verwandten. Aber dieser Vorteil ist kein Argument gegen den Rassehund, vielmehr nur eines gegen die heutige Praxis der Hundezucht.

Ich selbst erfreue mich immer wieder an den unterschiedlichen Eigenschaften und Fähigkeiten der Hunde. Und wenn ich wieder einmal die Harzer Füchse beim Wetthüten der Schäfer beobachten kann, so geht mir das Herz auf angesichts der imposanten Leistungen dieser Hunde. Ich weiß dann aber ganz genau, dass sich ein solcher Hund nicht als "mein Hund" eignen würde, schon alleine weil ich ihm keine adäquate Beschäftigung bieten kann - und auch nicht wollte. Da halte ich es für mich persönlich dann lieber mit dem Vertreter einer gemütlichen Rasse...
 
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