Verhaltensentwicklung bei einem Azawakhwurf in den ersten acht Lebenswochen - ein ontogenetischer Beitrag aus der Züchterpraxis:
Untersucht wurde der O-Wurf in der VDH-Zuchtstätte >of Silverdale<, Wurftag 03.09.2010. Vater ist der Imp.1-Rüde Kalil of Silverdale (2000 - 2011), die Mutter Azenfouk (geb.2006) stammt aus der Region Menaka in Mali. Beide sind die Alpha-Tiere in einer gemischten Gruppe von damals elf Azawakhs zwischen drei und vierzehn Jahren mit drei Direktimporten und sieben F1-Nachkommen von Azawakhs aus den Ursprungsländern. Die Niederkunft am 64. Trächtigkeitstag verlief komplikationslos, menschliches Eingreifen war nicht notwendig. Es wurden ein Rüde (O'Noufou of Silverdale) und eine Hündin (Ofra of Silverdale) mit Ersttagsgewichten von 350 g und 400 g geboren. Örtlichkeit des Wurfs war das von den Züchtern bewohnte Einfamilienhaus mit Nebengebäude in München mit Wintergarten und zwei für Hunde speziell eingerichteten Räumen sowie vier nach Bedarf trennbaren Spiel-, Ruhe- und Lösebereichen im Freien. Den Azawakhs stehen Haus und Garten zur Verfügung, sie nehmen am Familienleben teil und folgen dabei in den Sozialbeziehungen eingeübten Verhaltensregeln. Je nach Alter und individueller Neigung sind die Hunde bei Renn- und Coursingwettbewerben aktiv.
Das Verhalten der zwei Welpen wurde vom Tag der Geburt an bis zur Abgabe an die neuen Besitzer in der 11. bzw. 12. Woche schriftlich und fotografisch dokumentiert.
Zur Darstellung der altersabhängigen Verhaltensmuster wurden alle Protokolle sowohl qualitativ als auch quantitativ folgendermaßen ausgewertet:
- Aufschlüsselung von Verhaltensweisen und physiologischen Entwicklungsprozessen nach dem von Dr. Dorit Feddersen-Petersen erstellten Schema.
- Gruppierung dieser Einheiten nach Zugehörigkeit zu Funktionskreisen sowie nach ihrem zeitlichen Auftreten im Entwicklungsverlauf.
- Erstellung von vergleichenden Entwicklungsethogrammen.
Entwicklungsprotokoll des Azawakhwurfs nach Lebenstagen (Bitte Grafiken anclicken)
Entwicklungsprotokoll des Azawakhwurfs im Vergleich mit den bei Feddersen-Petersen dokumentierten Hunderassen und dem Wolf (Bitte Grafiken anclicken)
Der Vergleich zeigt auf, ob und inwieweit Abweichungen von den bei Feddersen-Petersen verfügbaren Daten für die Rassen Labrador, Golden Retriever, Siberian Husky, Großpudel, Zwergpudel und Schäferhund und dem europäischen Wolf hinsichtlich des ersten zeitlichen Auftretens vorliegen. Die Daten erlauben u.a. Korrelationen zwischen einzelnen der neun untersuchten Würfe in jeweiligem Bezug auf die 72 vorgegebenen Verhaltensindikatoren.
Der hier unternommene Versuch kann vorerst nur zu Thesen anregen. Deren Prüfung und allfällige Vertiefung bleiben Sache der kynologischen Forschung. Im aktuellen Zusammenhang geht es darum, das Augenmerk auf erkennbare Besonderheiten von ursprünglichen Vertretern des canis familiaris zu richten.
Vorweg ist festzuhalten, dass die hier erhobenen Daten insgesamt eine vergleichsweise frühzeitige Verhaltensentwicklung der Azawakhwelpen belegen. Dies ist in den Bereichen II (Lokomotion), III (Komfortverhalten), IV (Orientierung), V (Stoffwechsel) und VIb (Ausdrucksverhalten zwischen den Welpen) besonders auffällig. In der Abteilung VII (Verhaltensweisen der unbelebten Umwelt gegenüber) sprengt die sehr frühzeitige "Flucht auf unbekannte Umweltreize" den dortigen Rahmen. Dies würde einer Eigenheit der Rasse entsprechen - und hier ohne erworbene Negativerfahrungen mit ungewohnten Szenarien. Vieles deutet im Vergleich mit den beobachteten Welpen der "Kulturrassen" darauf hin, dass der Azawakhwurf Anlagen zugunsten einer frühzeitigen Verselbständigung (wie in der Ursprungsregion üblich) sowie die physischen und verhaltensmäßigen Voraussetzungen für die Nutzung als Lager-, Herden- und Jagdhund mitbringt. Die durchschnittliche Nähe zu den Daten für die übrigen Rassen ist beim Siberian Husky am größten, in Bezug auf den Deutschen Schäferhund am geringsten.
Der Silverdale-Wurf verfügt über eine "desert bred" - Abstammung. Vergleichsbeobachtungen mit Azawakhwelpen aus europäischen Engzuchtlinien wären unter genotypischen Gesichtspunkten interessant.
Anhang: Notizen aus dem Beobachtungsprotokoll
Erste Umweltkontakte
Die Welpen reagieren ab dem 4.Tag auf Berührungsreize. Ab dem 5.Tag werden sie in einem Korb zu Azenfouks Fütterung in die Küche mitgenommen. Sie beginnen, auf akustische Reiz zu reagieren, speziell auf die von Azenfouks Futterschüssel verursachten Geräusche. Ab dem 6.Tag befindet sich ein Hundebett in der Wurfkiste. Die Hündin Ofra versucht, über den ca. 15 cm hohen Rand zu klettern. Am 12. Tag mussten die Wände der Wurfkiste erhöht werden.
Ab dem 7.Tag: Besuche eines 14-jährigen Mädchens im Wurfzimmer. Sie bekommt die Welpen auf den Schoß gesetzt und streichelt sie. Azenfouk kennt sie gut, zeigt volles Vertrauen und fordert auch selbst Streicheleinheiten ein.
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Am 8.Tag: Die Welpen werden in den Wintergarten getragen und dort von einer 86-jährigen Bekannten besucht, Besuchsdauer 1 Stunde. Azenfouk verweigert ihr den Handkontakt mit den Welpen, besteht aber darauf, selbst gestreichelt zu werden.
Am 10.Tag: Die Augen beginnen sich zu öffnen. Bei der Hündin am 11.Tag vollzogen, beim Rüden am 12. Tag.
16.Tag: Ofra reagiert auf olfaktorische Reize. Auf den Kaffeetisch gesetzt geht sie gezielt auf den Pflaumenkuchen zu und schleckt. Nimmt erstmals einen Hundekuchen auf.
Selbst eine Nase aus dem Sahel lässt sich von Pflaumenkuchen verführen ;)) |
Ab dem 17.Tag regelmäßiger Besuch einer 17-Jährigen mit ihrer Mutter und gelegentlich ihrem 12-jährigen Bruder mit oft recht wilden Knuddelspielen. Besucher wurden angewiesen, stärkeres Beißen und Kratzen seitens der Welpen zu unterbinden (Schnauzengriff, lautes Verbot, Unterbrechen des Spiels). Dies war unsererseits schon ab dem 14.Tag so gehandhabt worden. Bei den hier beschriebenen Besuchen war nur eine einzige derartige Intervention seitens der Tochter nötig. Auch bei späteren Spielen mit Menschen haben die Welpen sodann grobes Zubeißen und Kratzen unterlassen. Bei allen Besuchen war die Mutterhündin dabei und hat für sich Zuwendung eingefordert. Ab der 4.Woche war auch der Vater des Wurfs anwesend.
Am 19.Tag erste Autofahrt der Welpen.
Verhalten der Mutterhündin
Azenfouk ist die ranghöchste Hündin im Rudel. Sie hat sich diese Position durch Dominanzäußerungen gegenüber den anderen Hündinnen Schritt für Schritt erarbeitet. Die Rüden ließ sie unbehelligt. Als anerkannte Chefin ist sie souverän und eher sanftmütig. In den ersten drei Wochen hat sie keine Hündin in Türnähe des Wurfzimmers geduldet. Am 8. Tag hatte Mila, eine fünfjährige Hündin, mit der sich Azenfouk gut versteht, aus Versehen Zugang zur Wurfkiste. Es erfolgte sofort ein ernsthafter Angriff der Mutter, die nur mit Nachdruck zu beherrschen war.
Am 13.Tag kann ich mit Azenfouk erstmals das Grundstück verlassen. Während des dreißigminütigen Spaziergangs markiert sie, scharrt demonstrativ und hält Ausschau nach anderen Hunden. Diese werden mit gesträubtem Fell bedroht.
Zwischen Tag 15 und 21 verlangt die Mutterhündin zunehmend nach Ausgang, wobei sie die Welpen unter ihrem Bettlager zu verbergen sucht. Sie nimmt vermehrt die Gelegenheit wahr, sich auf einem Sessel zeitweise von den Welpen abzusondern.
Ab der dritten Woche erlaubt sie zunächst den Rüden die Kontaktaufnahme mit den Welpen, dann nach und nach den Hündinnen, wobei die älteste den ersten Zutritt hatte. Die Mutter entfernt sich häufiger aus der Sichtweite der Welpen und sucht Liegeplätze innerhalb des Rudels auf.
Am 19.Tag Beginn der Fütterung, Anlegen der Halsbänder. Bei der Fütterung werden die Welpen auf Pfeife, Lockruf und Namen geprägt. Ebenso Einübung von "Sitz" und "Schau mal her". Ab der 5. Woche rezidiert zuerst die rechte Milchleiste. Azenfouk beginnt, für die Welpen Futter zu erbrechen, stellt dies jedoch bald ein.
Ab der 6.Woche zeigt sich Azenfouk zunehmend von den Aktivitäten der Welpen "genervt". Der Vater Kalil übernimmt immer mehr die Erziehungsaufgaben.
Fluchtverhalten, Reaktion auf andere Hunde
Ab dem 29.Tag wurde zum ersten Mal Fluchtverhalten beobachtet, zunächst bei ungewöhnlichen Geräuschen, dann auf unbekannten Bodenstrukturen und schließlich bei Begegnungen mit Rudelmitgliedern. Diese Fluchtreaktionen verschwanden innerhalb von zwei Wochen.
Ab dem 40.Tag trat Fluchtverhalten gegenüber fremden Menschen auf, beim Rüden mehr als bei der Hündin. Bei fremden Hunden gab es ein solches Verhalten nicht. Im eigenen Rudel zeigte der Rüde O'Noufou ab der 5. Woche dagegen Expensionstendenzen: Mit durchgedrückten Läufen, erhobener Rute und gesträubtem Fell inszenierte er Attacken auf den 5-jährigen und dann den 3-jährigen Rüden. Beide flüchteten. Der Versuch beim 10-jährigen Rudelchef, dem Vater, scheiterte. Der drückte ihn auf den Boden und verhinderte jede weitere Bewegung. Fluchtversuche endeten mit den gleichen und dann auf Dauer wirksamen Unterwerfungsaktionen.
Ab 45.Tag Ausführen der Welpen mit Leine und Brustgeschirr oder Halsband auf der Straße. Anders als die Hündin verweigert der Rüde am ersten Tag vor der Gartentür die Fortbewegung und schreit. Dies wiederholt sich auch beim Weitertragen und erneuten Versuchen. Am Tag darauf in Begleitung von Azenfouk: Die Mutterhündin ignoriert das Protestverhalten des Rüden und geht weiter und nun folgt ihr der Welpe schwanzwedelnd und an lockerer Leine. Ab diesem Zeitpunkt waren die Spaziergänge kein Problem mehr.
Beim ersten Ausgang mit dem Vater setzt sich O'Noufou mit Imponiergehabe an die Spitze, der Rudelchef drängt ihn mit Körpereinsatz, Knurren und Drohmimik zurück. Beim Versuch, über einer Markierung des Vaters Urin abzusetzen, wird O'Noufou auf offener Straße von ihm so lange zu Boden gedrückt, bis er schreit und jede Bewegung aufgibt. Diese einmaligen Interventionen des Rudelführers genügen für das künftige Verhalten.
48. Tag: Nachbarschaftsbesuch bei einem 6 Monate alten Riesenschnauzerrüden. O'Noufou betritt dessen Garten mit gesträubtem Fell in Imponierhaltung, bellt und knurrt mit gerunzeltem Nasenrücken und spitzen Mundwinkeln. Der Riesenschnauzer unterwirft sich aktiv, nimmt Spielhaltung ein und pfötelt. Es folgen einvernehmliche Rennspiele, die jeden zweiten Tag wiederholt werden.
Ab der 6. Woche erfolgte ein mehr oder weniger gängiges Sozialisierungsprogramm mit täglichen Autofahrten, Begegnungen mit neuen Menschen und Hunden und dem Tierarzt, das Aufsuchen von Geschäften und Verkehrszentren und mit Wohnungsbesuchen bei Bekannten und Verwandten.
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