Beim Lesen des "Schwarzbuch Hund" ist mir aufgefallen, dass Windhunde kaum bzw. gar nicht erwähnt sind. Ist das ein Zeichen dafür, dass diese Rassen besonders gesund sind und ihre Zukunft nicht bedroht ist? Ich habe mir das letzte Zuchtbuch des DWZRV genauer angesehen und bin dabei auf Zahlenangaben zum Zuchtgeschehen gestoßen, die mich besorgt machen.
Gendarstellung einer Sequenziermaschine von Geneart
Daraufhin habe ich weitere Quellen mit ähnlichen quantitativen Informationen hinzugezogen. Das Ergebnis meiner vergleichenden Auswertungen ist in den folgenden Tabellen wiedergegeben.
I. Welpenverluste bei der Geburt
Tabelle 1 (nach Widmann-Acanal, 1992)
Tabelle 2 (nach DWZRV - Zuchtbucheinträgen 2006/2007)
Anmerkung: Der DWZRV benutzt nach wie vor den Ausdruck "nicht belassen". Ich nehme an, dass sich dies im Sinne des Tierschutzgesetzes heutzutage nicht mehr auf die Ausmerze von standarddefinierten "Fehlfarben" oder von nach Marktlage schwer verkäuflichen Wurfstärken bezieht, sondern auf Totgeburten und medizinisch nicht überlebensfähige Exemplare.
Tabelle 3: Rangliste der Welpensterblichkeit, aufgeteilt nach Rüden und Hündinnen 2006/2007
II. Fruchtbarkeit
Tabelle 4: Leer gebliebene Hündinnen von 2004 bis 2007 (nach DWZRV-Angaben)
Tabelle 5: Rangliste der Windhundrassen bei erfolglosen Verpaarungen 2004/2005/2007
Tabelle 5: Rangliste der Windhundrassen bei erfolglosen Verpaarungen 2004/2005/2007
III. Rassenbezogene Wirtschaftsmerkmale
* Als theoretischer Marktwert wurde ein Betrag von 1.200,00 € pro Welpe angesetzt. Die vorgenommene Multiplikation sagt nichts über die tatsächlichen Verkäufe, die Betriebskosten der Zuchtstätte und somit den realen Erlös aus. Angesichts auffälliger Korrelationen mit Angaben unter Teil I und II sollte dieser Gesichtspunkt jedoch in eine Analyse des Zuchtgeschehens bei Windhunden einbezogen werden.
Die Angaben wurden aus folgenden Quellen erhoben:
- Unsere Windhunde 5/05; Protokoll der Jahreshauptversammlung 5./6.03.2005
- Unsere Windhunde4/06; Seite 3, Vorwort
- Unsere Windhunde 5/07; Protokoll der Jahreshauptversammlung 17./18.03.2007
- Unsere Windhunde 07/08; Seite 5, Vorwort
- Deutsches Windhundzuchtbuch Band XLII, Eintragungen der Jahre 2006/2007
- Thomas Bartels und Wilhelm Wegner, Fehlentwicklung in der Haustierzucht, Stuttgart 1998
Die populationsgenetische und tierschutzbezogene Bewertung des obigen Zahlenmaterials liegt für den sachkundigen Leser nahe. Da es sich hier um eine im organisierten Hundewesen als "empfindlich" angesehene und immer noch tabuisierte Fragestellung handelt, beschränke ich mich auf Textstellen aus der wissenschaftlichen Literatur, um dem Vorwurf persönlicher Interessengebundenheit (ich bin Azawakhzüchterin im VDH/DWZRV) zu begegnen.
"Fehlentwicklungen in der Tierzucht resultieren fast stets aus einer rigoros anthropozentrischen Einstellung der Züchter und Halter, ganz gleich ob aus kommerziellen oder "ideellen" Gründen. Rechtfertigen die einen ihr Tun mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten, die ausschließlich dem Wohle der Konsumenten dienen, legitimieren die anderen ihr Schaffen mit Verweisen auf die Konservierung "wertvollen" Erbmaterials, die Erhaltung lebendiger Kulturgüter und die "Gestaltung von Tiermodellen im Rahmen biologischer Gesetzmäßigkeiten", wohl wissend, dass gerade hier die biologisch und veterinärmedizinisch vertretbaren Grenzen häufig weit überschritten wurden. So gilt es denn, nicht nur in der Züchterschaft und bei Tierhaltern ein Problembewußtsein zu schaffen, sondern auch den mit der Tierzucht und ihren "Produkten" befassten Personenkreis (Fachwissenschaftler, Juristen, Politiker etc.) zu sensibilisieren. Gerade Veterinärmediziner und Biologen unterschiedlicher Fachrichtungen dürfen sich von Tierproduzenten und Hobbyzüchtern nicht zu Vollzugsgehilfen degradieren lassen, sondern müssen Auswirkungen fehlgeleiteter tierzüchterischer Aktivitäten offenlegen. Zweifellos haben Kritiker von züchterischen Auswüchsen keinen leichten Stand gegenüber kopfstarken Zuchtverbänden …. Doch können nur offene Worte bestehende Mißstände in der Nutz- und Hobbytierzucht beseitigen und damit im Sinne eines vorbeugenden Tierschutzes wirksam werden…
Azawakh-Importnachkommen: Vitale „Leistungsträger“, die von genetischen Defekten der europäischen Engzucht unberührt sind.
Der Mensch wählt nach seinem Gutdünken einzelne Tiere aus, die ihm aufgrund ihrer Eigenschaften oder ihrer Fähigkeiten besonders attraktiv erscheinen und daher zur Weiterzucht eingesetzt werden. Zur Verwirklichung bestimmter Zuchtziele sind spezielle Musterbeschreibungen (Rassestandards) als Leitlinien erstellt worden, in denen "Idealbilder" der verschiednen Rassen in ihren Merkmalen beschrieben und abgebildet werden. Biologische Normen und Notwendigkeiten bleiben hierbei jedoch häufig genug vernachlässigt und so verwundert es nicht, dass der Irrglaube, ein in Millionen von Jahren unter andauerndem Selektionsdruck entstandenes Wildtier durch willkürliche Festsetzung wie auch immer gearteter Zuchtziele "veredeln" zu können, zahlreiche Haustierrassen (Nutz- und Hobbytiere gleichermaßen) an den Rand ihrer Existenzfähigkeit gedrängt haben.
Besonders krasse Beispiele fehlgeleiteter Züchtertätigkeit finden sich in den Zuchten sogenannter Rassetiere. Hier sind weder Haushund und Hauskatze vom züchterischen Gestaltungsdrang verschont geblieben. Körperbau und Körpergröße haben sich ebenso wie Organstrukturen und Organfunktionen in vielen Fällen gewissermaßen als "Wachs in Züchterhand" erwiesen. Dabei ergeben sich geradezu zwangsläufig Beeinträchtigungen in der normale Lebensführung der Tiere, die ursächlich häufig der eitlen Geltungssucht ihrer Züchter bzw. ihrer Besitzer zu verdanken sind. Leider nehmen immer noch viel zu viele "Liebhaber" Zuchtdefekte, Minderleistungen und Erkrankungsdispositionen ebenso wie Verhaltungsanomalien bei ihren "Lieblingen" ohne weiteres in Kauf, wenn es das hausgemachte und als "höchstes Gut" angestrebte Zuchtziel erfordert - ob bewusst oder aus mangelnder Sachkenntnis der biologischen Zusammenhänge, sei dahingestellt. Darüber wird nicht vergessen und noch gebührend zu erwähnen sein, dass auch die konsum- und profitorientierte "Nutzung" von Haustieren in Zucht und Haltung längst in Bereiche vorstieß, die nur noch als tierverachtende Ausbeutung zu charakterisieren sind…
Gigantomanie bei Züchtern und Haltern schließlich kann für deren Zuchtprodukt, den übergroßen Hund, gleichfalls traurige Konsequenz haben: Sie verkürzt seine Lebensdauer auf unter 10 Jahre, verschafft ihm Gelenk-, Skelett- und Imageprobleme und sorgt für eine Welpenschwemme mit hohen perinatalen Verlust- und Merzungsraten. Übergrösse kann zu Herzfunktionsstörungen, Reduzierung der Lebenserwartung, Hüftgelenksdysplasie, Osteochondrosen, Knochenkrebs, Fruchtbarkeitsdepressionen führen."
Aus: Fehlentwicklung in der Haustierzucht
von Dr.rer.nat. Thomas Bartels, Tierärztliche Hochschule Hannover, Tierschutzzentrum, und Prof. Dr. med.vet.Wilhelm Wegner, Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung, Tierärztliche Hochschule Hannover, Stuttgart 1998.
Ein renommierter DWZRV-Züchter ist stolz auf seinen IW, der als längster Hund der Welt 2009 ins "Guiness-Buch der Rekorde" eingetragen wurde. Aber es gibt auch die Hoffnung auf Einsicht. So lese ich in einer IW-Zuchstättenanzeige im Zuchtbuch Band XLII von 2008:
"Ich hoffe, dass es mir und allen IW-Freunden, für die der Irish Wolfhound wirklich der "Sanfte Riese" im Windhundbereich ist, irgendwann noch einmal vergönnt wird, so ein Exemplar vorbildlicher Windhundzucht zu entdecken. Augenblicklich sehe ich leider überwiegend hektische Exemplare mit nicht akzeptablem Wesen oder so schwerfällige unbemuskelte Tiere, dass sie kaum noch 500 Meter laufen können."
Steht also wirklich alles so gut um unsere Windhunde?
Elisabeth Naumann
Azawakh of Silverdale